Die Alte nutzte die Zeit, in einer Pfanne Speck auszulassen. Mit einem Pistill und einer Tonschale zerstampfte sie Schafgarbe und Bockshorn und tat Johanniskrautöl und Bienenwachs dazu, sowie drei Eigelb. Ein Pilz, der nach nächtlichem Regen unter Weiden nur so aus dem Boden schießt, verfügte über die nötige Betäubungskraft, und sie rührte das Ganze und schlug es, bis eine Salbe daraus entstand. Die füllte sie in drei runde Kupferdöschen. „Das führt ein, wo es brennt, und reinigt zuvor eure Hände. Dann lindert es den Schmerz und entspannt den Muskel in der Scheide. Wiederholt die Behandlung jeden Abend vor dem Einschlafen, bis es völlig abgeklungen ist.“
Danach ging es Ulrike nicht nur spürbar besser, sie fühlte sich auf eine befremdende Art und Weise vital - bereit, die Welt wieder anzulachen; Geldis und Birte mochten es ebenso empfinden. Birte weinte hemmungslos, weil es alle Erwartungen in den Schatten stellte, und ihr dafür eine Mark auf den Tisch zu legen, war billig. Agnes schmunzelte und sagte mit einem zwinkernden Auge: „Täglich zwei Spülungen, und achtet auf das Leinensäckchen, verliert es nicht. Von jeder Sorte eine Handvoll. Die Alantblätter gehören ordentlich zerrieben.“
Mit gründlichem Nachdenken hielt sich weder Birte noch Geldis allzu lange auf, aber Ulrike sagte sich, Sibo Aumund würde sicherlich Stillschweigen bewahren über den Vorfall auf der Burg. Sie durften sich bloß nicht selber in Verruf bringen und keinem davon erzählen. Anschließend grübelte sie über diesem Problem; und hatte sich der Floh im Ohr erst mal festgesetzt, packte sie das für sie notwendige in ihrer bestimmenden Art an. „Noch sind wir unter uns“, stellte sie fest. „Was meint ihr, wollen wir gemeinsam bei Gott und allen Heiligen schwören, niemandem ein Sterbenswörtchen von der Widrigkeit im Rittersaal zu verraten?“
Geldis war bei dem Gedanken nicht geheuer, auf Gedeih und Verderb an so etwas gebunden zu sein. „Kindisch, sowas“, schnarrte sie verdrossen und gab sich aufreizend desinteressiert. Auch Birtes Lachgrübchen reflektierten eine abweisende Haltung, weil sie schwerwiegende Entschlüsse gewöhnlich auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben pflegte.
„Sie denkt weiter als ihr“, bemerkte Agnes und wies mit dem Kinn auf Ulrike. „Haltet ihr den Mund, bleibt alles unter euch. Das ist so.“
Also beschworen sie das zu dritt und ritzten sich, um den Schwur vor Gott zu bekräftigen, mit einem kurzen, blutigen Schnitt den Handrücken, und Birte, froh, sich durchgerungen zu haben, fiel Ulrike spontan um den Hals und fächerte Geldis weitere Bedenken leichter Hand hinweg. Ulrike ahnte, sollte es kritisch werden, würde Geldis voraussichtlich eine hartnäckig sture Haltung beziehen und sich eigenwillig darüber hinwegsetzen. Hinterher konnte sie sich leicht herausreden, man habe sie einfach überstimmt und gezwungen, mitzumachen. Ein oberflächlicher Mensch wie Geldis fühlte sich an nichts gebunden, solange sich eine Ausrede finden ließ, das bereitete Ulrike Magendrücken und Kopfzerbrechen, aber Geldis hatte sich nicht ausgeschlossen, und die Anwesenheit der Hexe erhob den Schwur zu einer feierlichen Angelegenheit. „Eigentlich habt ihr es selber in der Hand, ob sich die Sache herumspricht“, ermahnte die greise Agnes sie und beschloss, was sie den Mädchen mitgab auf den Weg ins Leben zurück, mit der Bemerkung: „Versucht unter die Haube zu kommen und sprecht mit keinem über die Sünde, an der ihr so unschuldig seid wie ein Baby am Tod seiner Mutter.“
Im Schatten des Erlenbruchs wucherten Wildkräuter, und sie traten ins Freie, da nahm Ulrike zum ersten Mal in ihrem Leben wahr, wie angenehm würzig Brennnesseln duften.
Der ausgesperrte Knecht hatte es sich bequem gemacht. Er lag, die Hände unter dem Hinterkopf gefaltet, im Schatten einer Weide und schnarchte leise, als sie ihn weckten, um gemeinsam den Heimweg anzutreten.
Burg Keyhusen erhob sich im sumpfigen Uferbereich eines großen Sees, den man das Zwischenahner Meer nannte, anzusehen wie eine umgedrehte Kommode mit ihren vier Ecktürmen. Die Dorfstraße reichte bis an das Wasser, und ein breites Steggerüst führte an verblühten Schwertlilien, Schilf und Rohrkolben vorbei zur Zugbrücke. Die Bucht, an der sich die versteckte Ortschaft Zwischenahn ausbreitete, war fast zugewuchert. Nach Westen hin, unter dem Steg beginnend, erstreckte sich davor im Sonnenuntergang ein Sumpf voll blauer Lilien, mit Libellen, grünen Fröschen und vielen Mücken. Wenn es im April viel regnete, schimmerte der See dort bis Ende Juli wie mit blauer Tinte gefüllt.
Es war bis nach Bremen bekannt, der greise Burgherr Jürke von Keyhusen machte sich wenig aus Geld. Fiel die Ernte schlecht aus, verzichtete er manchmal sogar auf seinen Teil. Die Bauern von Zwischenahn und Elmendorf liebten ihn dafür. Ebenso war bekannt, ihm bereitete sein einziger Sohn Kummer, da der sich meistens in der Fremde herumtrieb. Am Tag nach Erntedank zog es ihn früh auf den Söller des Burgtores, obwohl die Lilienbucht noch unter Dampf lag – und tatsächlich näherte sich durch die Nebelschleier bald ein Ritter in den Hausfarben gelb und weiß langsam über die Dorfstraße dem Torhaus. Hinter der Zugbrücke, auf dem Kopfsteinpflaster des Innenhofs, saß der Reiter ab und warf die Zügel seines Rosses einem Stallknecht zu. Er hörte es noch befreit wiehernd die anderen Pferde begrüßen, während der Vater erstaunlich schnell die Stufen herab stürmte, um ihm zur Begrüßung die Hände auf die breiten Schultern zu legen. Dirk lächelte breit. „Da bin ich Vater, du kannst die Meute antreten lassen und zum Halali blasen.“
„Die Saujagd fällt ins Wasser“, klärte ihn sein Vater ohne Umschweife auf. „Drei unserer Knechte klagten gestern über Schwindelgefühl und haben gekotzt bis Rotz und Galle kam. Unser Bader ist auch krank, und ein Quacksalber, den ich vom Markt holen ließ, meinte bloß, Blattern oder Typhus schließe er aus. Himmelherrgott, so klug ist selbst mein jüngster Stallknecht. Nur gut, dass wenigstens du gesund und munter bist, mein Junge. Was sagt Konrad?“
Dirk lächelte erlöst, er sehnte die Saujagd nicht unbedingt herbei. „Ich überbringe gutgemeinte Grüße, aber er ist nicht mehr der Draufgänger, mit dem ich zu Lüneburg auf den Turniersieg des Wittelsbachers anstieß. Keine Spur mehr von dem, was seinen Witz ausmachte, sag ich bloß. Es befriedigt ihn, ein Lakai von Graf Moritz zu sein. Dass der selbst ein Speichellecker ist und allein deshalb beim Kirchenfürsten so gute Karten hat, scheint ihn kaum zu stören, dabei schwatzen es die Spatzen von den Dächern. Der reist nie ab, ehe er nicht durchgekriegt hat, was er wollte.“
„Du bist zu streng Dirk, oder sollte ich sagen, zu schrullig“, belehrte ihn sein Vater. „Du findest an den Besten bloß Tadel. Wer einen Freund ohne Fehler sucht, bleibt ohne Freunde.“
„Ich bin alles andere als allein in meinem Denken. Godeke ist ein Freund, wie man ihn sich wünscht. Der steht zu mir, wie eine Portalsäule zur anderen.“
„Das ist gut. Lass‘ uns das Gespräch im Großen Saal fortsetzen. In der Kühlkammer hängt ein Hirsch. Der Koch ist zum Glück noch wohlauf und weiß Bescheid. Ich lasse den Kamin anfeuern, damit es gemütlich ist, wenn wir speisen können.“
Der Holzboden war gründlich ausgefegt und mit Binsenstroh bestreut worden, und ein Knecht im hellen Wappenrock kniete sich vor den Kamin. Die Flammen prasselten und knackten, als sie einander am Eichentisch des Großen Saals gegenüber saßen. Eine Weile betrachtete Dirk bewegt den neuen Brokatteppich aus Flandern, der im Grünstich gehalten eine Jagdgesellschaft darstellte und seit kurzem die Wand über der balkonartigen Empore schmückte.
„Ich schätze ich weiß jetzt, wie Graf Moritz es hingekriegt hat“, begann Dirk seinen Bericht, „dass ihm der Erzbischof von Bremen Stedingen als Lehen zuerkannte. Er ist ein Neffe der letzten Gräfin von Versfleth. Der alte Tunichtgut sieht übrigens schon einen Weg, dem Bistum aus der anhaltenden Geldknappheit zu helfen. Bekanntlich führt die Handelsstraße von Friesland durch Berne; eine Burg aus Stein ist geplant und eine Zollschranke. Er will dort seinen Sitz aufschlagen.“
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