„Stell dir vor: Lenguja selbst hat von dem Gang erzählt! Der alte Schamane!“
Skalli starrte Dorin an.
„Lenguja? Der sitzt doch sonst eher in seinem Zelt zwischen seinen Töpfen und Kräutern.“
Sogar über die Entfernung hinweg sah Sunny, wie seine Augen aufblitzten.
„Das muss ich Sunny erzählen!“
Dorin tippte sich an den Kopf.
„Bist du irre? Du willst doch nur wieder Eindruck schinden bei der grünäugigen ...“
Skalli stürzte sich auf Dorin und hielt ihm den Mund zu. Dorin ließ sich das natürlich nicht gefallen und so rangen die Beiden auf dem staubigen Boden miteinander.
„Du bist doch selbst in sie verschossen“, keuchte Skalli, ließ sich auf den Rücken fallen und atmete gierig die Luft ein. Auch Dorin ließ sich jetzt auf den Rücken fallen, verschränkte die Arme unter seinem Kopf und starrte in den blauen Himmel.
„Mensch, Alter“, sagte er,
„sie ist einfach ... so ... so ... in Ordnung!“
Skalli setzte sich auf und starrte zu Dorin.
„Sie ist ein echt feiner Kerl“, bestätigte er.
„Ich glaube, ich würde alles für sie tun.“
Dorin’s bernsteinfarbene Augen fixierten ihn.
„Würdest du unsere Freundschaft für sie opfern?“
Skalli's Kopf ruckte hoch.
„Himmel, nein“, rief er.
„Das ist doch etwas ganz anderes!“
Dorin setzte sich auf.
„Ja, ich mag sie auch gern. Eines Tages werden wir uns wegen ihr streiten.“
Skalli schüttelte den Kopf.
„Es ist ihre Entscheidung. Sie wird bestimmen, was geschieht.“
Sunny bemerkte eine Bewegung rechts von sich und erkannte Lenguja. Der hockte auf den Fersen und schaute lächelnd zum Dorfältesten hinüber. Sunny’s Herz pochte. Hatte er etwa ihren missglückten Streich mitbekommen? Sie konnte sich nicht länger zurückhalten, musste etwas tun, um nicht Lenguja womöglich Rede und Antwort stehen zu müssen. Ihre Stimme ließ die Beiden zusammenfahren:
„Wer wird bestimmen, was geschieht?“
Dorin und Skalli sprangen auf die Füße. Skalli wurde rot.
„Ich habe gestern die Alten am Lagerfeuer belauscht und du wirst entscheiden, ob wir es wagen werden“, rief Dorin hastig und setzte listig hinterher:
„Ab wo hast du meine Neuigkeiten mitgehört?“
Sie lächelte, als sie seine List erkannte. Würde sie jetzt zuviel sagen, wüssten beide, dass sie nicht nur das Ende ihres Gespräches mitbekommen hatte. Lieber beschloss sie, für sich zu behalten, dass sie das ganze Gespräch mitverfolgt hatte. Sie wollte ihn nicht bloßstellen. Skalli's roter Kopf hatte sich wieder zur normalen bräunlichen Hautfarbe zurückverwandelt, nur die Ohren leuchteten noch rot vor Aufregung und Sunny lachte.
„Ich habe gar nichts gehört“, log sie.
Sie hasste es zu lügen, aber in diesem Fall hielt sie es für angebracht, um ihn nicht erneut in Verlegenheit zu bringen.
Skalli erzählte aufgeregt, was er von Dorin wusste, während dieser ihn amüsiert musterte. Er erzählte von dem geheimnisvollen Gespräch, das Dorin belauscht hatte, während Dorin ungeduldig darauf wartete für seine Lauschaktion gelobt zu werden.
Sunny sah von einem zum anderen. Sie wusste, dass es viel besser ist, wenn nicht der Held von seinen Taten berichtet, sondern ein anderer. So war es ja auch bei den Erzählungen der Krieger am Lagerfeuer. Insgeheim wartete sie, dass Skalli seinen Freund gleich einbeziehen würde, sodass Dorin seinen Mut noch einmal selbst bekräftigen und davon berichten konnte, dass sie ihn fast erwischt hätten.
Doch Skalli erwähnte Dorin mit keiner Silbe!
Darüber ärgerte sich Sunny. Nüchtern gab der das Geheimnis der Alten preis, ohne auch nur mit einer Silbe Dorin zu erwähnen, der voller Ungeduld von einem Fuß auf den anderen trat! Auch dessen Miene verfinsterte sich zusehends.
Endlich holte er Luft, um sich weiter selbst in Szene zu setzen.
Sunny bemerkte es.
„Wow“, unterbrach sie ihn, „Da muss ich gleich versuchen, etwas mehr von meiner Oma zu erfahren.“
Ihr Blick fiel zu Dorin.
„Mensch Dorin, was schaust du denn so miesepetrig?“
Sie bot Dorin ihre Hand an.
„Komm doch mit, dann können wir beide versuchen etwas von ihr zu erfahren!“
Dorin wurde rot.
„Ja, gern“, stotterte er.
Skalli starrte beide sprachlos an. Es stand ihm im Gesicht geschrieben, dass er Sunny hatte beeindrucken wollen und jetzt verwirrt war, dass sie ihm nicht ihre Hand anbot.
In diesem Augenblick erscholl ein Ruf quer über den Marktplatz: „Dorin! Komm und hilf mir mal!“
Dorin stöhnte auf:
„Mist!“
Dann senkte er den Kopf und trottete zu seiner Mutter, die mit einem Korb vor dem kleinen Zelt stand und auf ihn wartete.
Sunny lächelte Skalli an.
„Komm Skalli.“
Sie bot ihm die Hand.
„Wenn du nicht so sauer dreinschaust, dann kannst du mit mir kommen!“
Skalli stampfte seinen Fuß in den Boden und raunte.
„Nee, lass mal.“ Offensichtlich wütend drehte er sich um und trottete in den Wald.
Sunny nickte und murmelte:
„So ist es, wenn man seinen Freund um seinen Ruhm bringen möchte. Man kann es nicht wirklich genießen.“
Sie zuckte die Schultern und lief zügig nach Hause. Als sie die Zeltwand zur Seite schlug, drang ihr der köstliche Duft von gedünstetem Obst entgegen.
„Hmmm! Das riecht aber lecker, Oma!“
Die Oma schaute sie gespielt ernst an. Ein leichtes Lächeln huschte über ihr runzliges Gesicht, während ihre Mutter Brombeeren und Wurzeln im Topf umrührte.
„Na, Sunny, was soll denn Oma für dich tun?“, fragte sie und blinzelte der Oma zu, die am Tisch Erdknollen schälte.
Sunny setzte sich ganz dicht neben ihre Oma und flüsterte ihr zu:
„Erzählst du mir eine Geschichte?“
Die Oma schaute ihr liebevoll ins Gesicht: „Die Brombeeren, die deine Mutter dort mit den Wurzeln verrührt, schmecken nicht nur, sondern helfen sogar bei Fieber! Wusstest du das?“
Sunny lächelte: „Und aus den Blättern kann man auch Tee kochen. Ach Oma, das weiß ich doch längst.“
Sie stellte ihre Stimme tief und raunte: „Eine Geschichte von verbotenen und geheimen Abkommen?“
Der Löffel im Topf klapperte und ihre Mutter drehte sich um: „Was hast du denn jetzt wieder aufgeschnappt, Kind?“
Sorge lag in ihrer Stimme. „Ich kenne nur ein Abkommen und das ist ganz bestimmt nichts für Kinderohren!“ Jetzt hörte Sunny sogar einen wütenden Klang heraus.
Die Oma reagierte nicht.
„Du erzählst ihr nichts von den Geschichten!“ Die Stimme von Sunny’s Mutter überschlug sich schrill und sie beugte sich über den Tisch. Ihr Gesicht war nur noch eine Handbreit vom Gesicht der Oma entfernt: „Kein Wort“, zischte sie langsam und eindringlich.
Читать дальше