Etwas verloren sah Helen um sich und antwortete nach einer längeren Pause gefasst
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>>Natürlich, kommen Sie mit.<<
Durch die Glastür betraten sie wieder die Intensivstation. Dort konnte sie ihn durch eine Scheibe betrachten. An Geräten hängend, einen Schlauch in seiner Nase und in seinem Arm eine Infusionsnadel, lag Brian in einem sterilen Raum. Bei diesem Anblick weiteten sich Helens Augen. Sie hatte bis jetzt mit Krankenhäusern nichts zu tun gehabt, sie war offensichtlich schockiert.
>>Kommen Sie, es wird zuviel für Sie.<<
Becky schob sie sanft von der Scheibe weg. Sie wusste, dass es den Besuchern nahe ging, wenn sie ihre Angehörigen in einer solchen Lage sahen, aber das Hospital konnte es ihnen nicht verweigern. Sie hatten ein Recht darauf.
>>Keine Sorge, Schwester. Ich werde nicht den ganzen Tag hier herumhängen. Ich kann nichts tun, noch weniger als Sie. Also werde ich erst morgen früh wiederkommen. Hoffentlich ist er bis dahin aufgewacht. <<
>>Wir hoffen es auch, Mrs. Caine. <<
Sonntag, 22 Uhr
Melanie sah besorgt auf den PC-Schirm. Brians Atem war flach, sein Herzschlag wies Unregelmäßigkeiten auf, das Fieber war gestiegen.
Wieder versuchte er mit Helen zu sprechen, aber statt Helen stand seine Mutter vor ihm und brüllte ihn an. Sein Vater zog an seiner Hand – die Szene wechselte und er kämpfte mit einer Frau – lange drückte er zu, bis sie keinen Laut mehr von sich gab. Es war Nacht und ihm war kalt, danach fand er sich in seinem Kinderzimmer wieder und vernahm das übliche Gezänke seiner Mutter......
Als sein Zustand sich nicht besserte, eilte sie zu Dr. Lewis. Er eilte herbei und betrachtete den Engländer, dessen Lebenszeit sich von Stunde zu Stunde dem Ende näherte.
>>Warum hast du es denn so eilig mit dem Sterben? Du wirst doch jetzt nicht aufgeben, ohne dass ich einen ordentlichen Bericht abgeben kann.<<, brummte er unzufrieden vor sich hin.
Sämtliche Blutproben und andere Untersuchungen hatten kein Ergebnis gebracht, er konnte mit den vorliegenden Symptomen nichts anfangen und hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Diese Situation der Unwissenheit machte ihn unsicher und das ärgerte ihn. Für Edward war der Tod allgegenwärtig. Emotionen ließ er nicht zu, doch er tat alles, um einen Patienten durchzubringen. Für ihn bedeutete das Sterben der Patienten sein persönliches Versagen und somit kämpfte er dagegen mit einer Heftigkeit an, die Melanie noch nie bei einem Arzt beobachtet hatte. Der nicht zu ändernde Zustand eines leblosen Körpers erregte in ihm ein tiefes Grauen.
......je länger ihn seine Mutter anschrie, umso tiefer fiel er in ein dunkles Loch - Margit weinte und rief ihren Vater um Hilfe, der vor ihnen in eine nebelige Landschaft eintauchte, bis er begann sich darin aufzulösen und mit dem Dunst eins wurde. Verzweifelt rief Brian seine Frau.....fest zog Helen an seiner Hand - er entglitt ihr......
Unter der Sauerstoffmaske röchelte Brian nach Luft, wobei sich seine Halsmuskeln unnatürlich anspannten. Verbissen kämpfte Edward mit allen medizinisch-technischen Mitteln um sein Leben. Melanie sah ihm traurig dabei zu.
........gleich darauf wurde Brian in einen dunklen Tunnel gesogen, an dessen Ende ein strahlend weißes, seltsam lebendiges Lichtbündel zu erkennen war. Eine Sehnsucht mit diesem Punkt zu verschmelzen, trieb ihn unaufhaltsam vorwärts, mit der Hoffnung, seinen Vater dort wiederzufinden, bis er endgültig darin verschwand.
Sein Herz hörte auf zu schlagen.
Auf dem Monitor zeigte sich eine gerade Linie, begleitet von dem gefürchtetem Piepston und gleichsam vom irdischen Dasein erlöst, lag friedlich der junge Körper, während die Maschinen unbeirrt weiterratterten, bis Melanie, mit einer Handbewegung, auch dem ein Ende setzte. Stille.
Nach zwei Minuten unterbrachen Edwards Schritte die gespenstische Totenruhe. Er verließ den Raum und hinterließ eine bedrückende Schwere. In solchen Momenten empfand sie sogar ein wenig Sympathie für Dr. Lewis, einem der unbeliebtesten Ärzte dieses Hospitals.
Mit einem leeren Gefühl im Magen ging er Richtung Kantine, die bereits geschlossen war. Er benötigte dringend eine heiße Tasse Kaffee und drückte auf einen der Automaten, die vor der Kantine standen. Angewidert starrte er auf den dünnen, schwarzbraunen Faden, der in den Plastikbecher rann. Am nächsten Morgen musste er den Bericht über den Engländer fertig haben und hatte die unangenehme Aufgabe, der Familie eine Erklärung abzugeben. Der Kaffee hinterließ einen bitteren Geschmack.
Jedes Mal, wenn einer seiner Patienten starb, tauchte das Bild seines vierjährigen Bruders vor ihm auf und wieder hörte er die verzweifelten Vorwürfe seines Vaters >>Du bist sein großer Bruder gewesen ...... du hättest besser aufpassen müssen!<<
In dieser Minute blickte Helen auf die Uhr in der Hotelhalle, die halb Elf anzeigte. Sie wollte nach einem langen Spaziergang noch nicht in das leere Hotelzimmer zurückkehren, selbst die kühle Nachtluft konnte ihr die innere Unruhe nicht nehmen.
Seit sie die Hotelhalle betreten hatte, wurde sie von einem älteren Herrn beobachtet, dem ihre Zerfahrenheit aufgefallen war. Er überlegte, ob er ein Gespräch beginnen sollte, ließ es dann aber bleiben. In der heutigen Zeit konnten Frauen auf sich selbst aufpassen. Damals war ein Mann noch in der Lage einer Frau beizustehen, aber heute fühlen sich die meisten Frauen belästigt, wenn ein Mann seine Hilfe anbot. Sie wirkt stark, unabhängig und eigensinnig. Sie ist in ihrem Beruf sicher erfolgreich, oder vielleicht täusche ich mich. Nein, ich irre mich nicht, jedenfalls nicht mehr so oft wie in meiner Jugend, dachte sich der alte Mann, trank sein Glas aus und ging an Helen vorbei, um sie unauffällig näher zu betrachten. Blitzschnell versuchte er anhand ihrer Mimik und Körperhaltung eine Persönlichkeitsanalyse zu erstellen.
Als Kriminalpsychologe fiel ihm dies nicht schwer. Sie ist durch ein Ereignis belastet. Extrovertiertheit zeigt sich daran, dass sie mit ihren Sorgen nicht in ihrem Zimmer verschwindet, sondern unbewusst die Nähe von Menschen aufsucht. Einer Unterhaltung auszuweichen, weist auf ein privates Problem hin. Sie hat mein Interesse bemerkt und ihre Haltung hat Abwehr signalisiert, analysierte er weiter.
Sie spürte den Wind, den seine große Gestalt machte, als er an ihr vorbeiging und dachte an ihre einsame Kindheit. In ihrer Schulzeit beneidete sie andere Kinder, welche die Geborgenheit einer Familie hatten. Sie erzählten von ihren Ausflügen und vielen anderen schönen, für Helen unerreichbare Stunden. Ihre Mutter war fürsorglich, aber sehr verschlossen. Als Helen drei Jahre alt war, starb ihr Vater an Krebs. Wie Brian war auch sie vaterlos aufgewachsen.Nachdem sie der alte Mann freundlich angelächelt hatte, fühlte sie sich schon besser. Sein Gesicht mit dem weißen Bart zu betrachten, hatte ihrer Gemütsverfassung gut getan. Sie war müde geworden und ging in ihr Zimmer.
Am nächsten Morgen um Acht trafen sie sich beim Hotelaufzug wieder. Höflich grüßte der alte Mann und dabei vernahm sie seine hohe Stimme. Wieder fiel ihm ihre Gereiztheit auf. Dieses Mal schwieg er nicht
>>Geht es Ihnen heute besser?<<
>>Wie bitte?<<, wunderte sich Helen.
>>Ich habe Sie gestern Abend in der Hotelhalle gesehen und Sie machten einen verstörten Eindruck auf mich. Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber ich habe eine Antenne für die Probleme meiner Mitmenschen.<<, gab er mit sanfter Stimme zurück.
Sie blickte ihm direkt ins Gesicht. Er hatte ein volles Gesicht, ein kurze gebogene Nase und klare blaue Augen. Sein Äußeres war wenig einnehmend und seine Stimme glich dem eines Eunuchen. Es war die Selbstverständlichkeit seiner Worte, die Helens Vertrauen weckte und verwirrt lächelte sie >>Es geht so, danke!<<
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