>>Erwürgen hätte ich sie können, erwürgen mit nur einer Hand!<<, brüllte er. Über den Vorfall verlor er später kein Wort mehr.
Angespannt überlegte sie, ob sie die beiden nicht erst nach dem Gespräch mit einem Arzt informieren sollte, wählte dann jedoch hastig die Nummer
>>Hallo, Margit, reg dich bitte nicht auf! Du weißt ja, Brian ist wegen eines Seminars in Houston. Man hat mich eben informiert, dass man ihn in das Hospital Eden eingeliefert hat. Er ist ohnmächtig geworden, wahrscheinlich der Kreislauf. Um diese Zeit ist es im Juli sehr heiß ....ich fliege also morgen zu ihm und ruf dich dann wieder an.<<, mit diesen Worten wollte Helen es schnell hinter sich bringen, doch Margit plapperte bereits aufgeregt in den Hörer >>Wie geht es ihm denn jetzt? Hast du dich nicht laufend erkundigt........<<
Von Margits Pessimismus angesteckt, stieg sie nach dem Gespräch erschöpft die Treppen in ihre Wohnung hinauf. Trotzdem war sie erleichtert, nicht mehr mit Brians Mutter sprechen zu müssen.
Helen hatte vor, die Situation erst dann zu beurteilen, wenn sie sich selbst ein Bild davon gemacht hatte. Unsinn, was wird schon sein? Morgen wird er sich über mich lustig machen, weil ich von Newcastle nach Houston geflogen bin, nur weil ihm schlecht geworden war und mein Handeln mit der Hysterie von Margit vergleichen, versuchte sich Helen zu beruhigen und erinnerte sich an ihren letzten gemeinsamen Urlaub in Kenia.
Dabei wunderte sie sich, dass er das heiße Klima dort so gut vertragen hatte.
Helens Cousine Ambra lebte in Ostafrika. Sie wollte einen Abenteuerurlaub mit Brian machen, um ihn ein wenig aus seiner Melancholie zu reißen. Zu ihrer Überraschung war er wie ausgewechselt und nicht davon abzubringen, dauernd mit dem Jeep durch die Gegend zu düsen. Zum Vorschein kam ein Gesicht von ihm, dass sie nicht für möglich gehalten hätte. Er entwickelte sich zu einer echten Stimmungskanone.
Ab zwölf Uhr mittags herrschte in der Kantine des Hospitals hektisches Treiben. Nachdem das Essen besser geworden war, nahm das Personal bedeutend mehr Mahlzeiten dort ein. Der Speiseplan wurde erweitert, es gab mehrere Menüs zur Auswahl, sogar eine vegetarische Kost und Diätmahlzeiten wurden eingeführt.
Zur Freude von Becky Fox, Oberschwester der Intensivstation, welche im Laufe ihrer fünfundvierzig Jahre doch einige Kilos zugelegt hatte. Marc bevorzugte ebenfalls ein spezielles Menü - er war Vegetarier. Seit einem halben Jahr aßen sie gemeinsam, wenn es ihr Dienstplan erlaubte. Obwohl sich in ihrer Nähe sein Puls beschleunigte, hatte sie doch etwas an sich, was ihn gleichzeitig ruhiger werden ließ. In ihrer Gegenwart umgab ihn ein Gefühl von Wärme und Behaglichkeit, auf das er nicht mehr verzichten mochte. Seine zarten Hände gefielen Becky, sie berührten ihr Inneres besonders. Er sprach kaum über sich, doch als sie sich über Musik unterhielten, veränderte er seinen sonst so starren Gesichtsausdruck und erzählte ihr leidenschaftlich von seiner Liebe zum Geigenspiel. Becky versuchte dieses Thema noch öfter anzuschneiden, doch er lenkte immer wieder ab. Es schien, als ob er ihr nur kurz einen Einblick in sein Innerstes gewährte, um sich ihr dann wieder zu entziehen.
An diesem Tag aß sie mit Melanie zu Mittag. Diese schnatterte auf Becky ein
>>Wenn man ihn auf der Straße sieht, kann man sich nicht vorstellen, dass er Pathologe ist. Aber ehrlich bemerkt, welchen Menschen kann man diesen Beruf schon ansehen?<<, dabei spielte sie mit ihrem Joop-Ring, den sie von einem ihrer Kurzzeit-Liebhaber bekommen hatte, hielt den Kopf etwas geneigt und fuhr überzeugt fort >>Du kannst ja sagen, was du willst, aber ich denke, Dr. Andrews ist in dich verknallt.<< Abwehrend schüttelte Becky heftig den Kopf. Drei Tische weiter saßen die Krankenpfleger. Leòn Comachio von der Kinderstation diskutierte eifrig mit Harry Bell von der Notaufnahme über die Klimaveränderung.
>>Sicher, wirst schon sehen, durch die Klimaveränderung gehen wir trostlosen Zeiten mit Überschwemmungen und anderen Naturkatastrophen entgegen und kein noch so kluger Kopf kann uns davor bewahren. Die Natur macht was sie will, sehe ich selbst bei den Patienten. Die Ärzte glauben, alles im Griff zu haben und hops... wieder ein Fall für den Pathologen.<<, übertrieb Harry. Er liebte es, mit Leòn zu diskutieren, weil dieser das Leben so ernst nahm.
>>Also ich wäre gern Arzt geworden und ich kann nichts Lustiges daran finden, wenn Patienten leiden!<<, zischte er.
>>Ja, ja, die alte Leier mit dem verpassten Studium. Das Leben ist ungerecht, schon mitgekriegt? Du kannst froh sein, dass du einen Job hast. Sei nicht so unzufrieden mit dir! Du hast eine Familie und bist fähig, sie zu ernähren. Betrachte es einmal von dieser Seite her. Möchtest du vielleicht das Leben eines Arztes führen? .......Jetzt im Ernst, du glaubst also, dass mir die Patienten gleichgültig sind! Für eine falsche Behandlung oder den Tod von ihnen möchte ich nicht verantwortlich sein. Als Chirurg kann man, wenn man Pech hat, an seinem Tod schuld sein, aber als Krankenpfleger musst du sie nur zu Tode pflegen.<<, gab ihm Harry zurück und setzte dabei sein typisches Grinsen auf.
>>Jetzt vergeht mir gleich der Appetit. Könnt ihr nicht ein anderes Thema durchdiskutieren?<<, raunte Scott, der kurz von der Tageszeitung aufblickte.
Becky und Melanie hatten ihr Essen beendet und drängten sich mit ihren Tabletts an ihnen vorbei.
Harry rief Melanie zu
>>Wie geht es dem Neuen ?<<
>>Nicht besonders, er ist noch nicht wach. Manches Mal glaube ich, er sieht mich an und dann ist er wieder weggetreten.<<
>>Kein Wunder, der sieht dich und kippt sofort ins Kissen zurück.<<, gab Harry lautstark von sich. Schallendes Gelächter. Dessen ungeachtet sprach Melanie weiter
>>Es ist irgendwie ungewöhnlich. Er hat zwar Fieber, aber so hoch ist es nicht, dass er sich ständig in einem Dämmerzustand befindet und vor sich hin fantasiert. Sogar Dr. Lewis weiß in diesem Fall keinen Rat. <<
>>Also ich für meinen Teil bin froh, dass ich nicht in der Intensivstation bin und mit Dr. Lewis habe ich gottlob auch noch nichts zu tun gehabt.<<, bemerkte León und trank sein Glas aus. Harry balancierte ein Pommes zwischen seinen Fingern und erwiderte
>>Habe ihn vor vier Jahren in der Kardiologie erleben dürfen. Eine Charmeschule hat er nicht gerade besucht. Eine Schwester hat einmal eine Akte vertauscht, darauf hin hat er so gebrüllt, dass er sie zum Heulen gebracht hat. Er ist wirklich ein guter Arzt und bringt oft Fälle durch, wo andere schon beim Hinsehen aufgeben, aber der freundlichste Kerl ist er jedenfalls nicht.<<
Mit vollem Mund verabschiedete sich León von der Runde und trat seinen Nachmittagsdienst an.
Seit acht Jahren arbeitete León in diesem Hospital. Er war schon in mehreren Abteilungen, aber die Kinderstation, in der er in den letzten zwei Jahren gearbeitet hatte, war ihm die liebste. Kinder waren wesentlich einfachere Patienten. Der einzige Nachteil für ihn bestand darin, dass er das Leid mancher Kinder schwer ertragen konnte.
So sah er es, neben den gewohnten Arbeiten eines Krankenpflegers, auch als seine Aufgabe an, sie aufzuheitern. Ein Kind ist der Spiegel der Erwachsenenwelt. Schenkt man ihm seine Zuneigung, so bekommt man es mehrmals zurück, was León bei Erwachsenen nicht behaupten konnte. Die ödesten Erfahrungen machte er mit alten Patienten und sagte eines Abends völlig entnervt zu seiner Frau >>Es scheint so, als würden sich sämtliche negativen Charaktereigenschaften mit den Jahren verstärken. Sie jammern schon vor dem Frühstück und vor allem in der Nacht geben sie keine Ruhe. Oft wundere ich mich über die Energie, welche sie noch aufbringen können, uns mit ihren Sonderwünschen auf die Nerven zu gehen. <<
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