Lopez war klar, dass der Begleiter im Lokal sein Mörder war. Der Hinweis, dass es sich um einen Kleintransporter handelte, stimmte mit der Angabe der Eigentümerin des Lokals überein. Was aber war, wenn der Mörder seine Reifen sofort entsorgt hatte? Lopez wusste, dass der Mörder dafür sorgen würde, dass auch weitere Spuren auf Sitzen oder im Kofferraum vernichtet würden. Es war bereits mittags und er musste zunächst seinen Bericht mit den Neuigkeiten eingeben.
Lopez fuhr eine halbe Stunde nur an Feldern vorbei. Ganz selten sah er in der Ferne eine Finca. Er genoss diese Strecke, da er die Natur liebte. Erst ab S´Arenal hatte ihn die Zivilisation wieder, und die Straßen bis Palma waren stark befahren. Am Polizeipräsidium angekommen, setzte sich Lopez sofort an sein Notebook und tippte die einzelnen Details seines Besuchs in der Bar in Ses Covetes ein. Beim Eingeben der Täterbeschreibung schrie er auf einmal laut „ich Idiot“ in den Raum. Eine Assistentin klopfte an die Türe und öffnete sie.
„Ist alles in Ordnung? Habe ich gerade den Ruf „Ich Idiot“ vernommen, oder war das der Kollege der Spurensicherung, der die Reifenspuren vielleicht direkt beim ersten Mal hätte entdecken sollen?“ Sie konnte sich das Lachen nicht verkneifen, prustete laut in den Flur, in dem gerade Kollege Antonio Díaz vorbeilief.
„Hola Rafael. Was ist denn mit unserer Assistentin los?“
„Die Tatsache, dass ich in meinem Zimmer „Ich Idiot“ gerufen habe, hat sie wohl übermotiviert und gefreut.“
„Warum haben Sie sich so genannt?“
„Machen Sie bitte die Türe zu Antonio. Ich erkläre es Ihnen.“
Díaz setzte sich auf einen mit mallorquinischem Stoff bezogenen Holzstuhl, der direkt unter der Wanduhr stand.
„Ich gebe gerade die neuen Informationen über den Brunnenmörder ein. Beim Eintippen der Merkmale „Abgenutzte Hände und dicke Finger“ schoss mir plötzlich die Tatsache in den Kopf, dass diese, wie Sie wissen, auch der Mörder von Kapitän Sturm hatte. Auch von ihm konnten aufgrund derselben Merkmale keine Fingerabdrücke genommen werden. Dieses würde auch die Tatsache bestärken, dass er keine Handschuhe beim Mord angehabt haben dürfte.“
„Das heißt es ist ein Mörder“ riefen beide zusammen in erkennbarem Ton in den Raum hinein.
Erneut ging die Türe auf und Assistentin Esmeralda stellte sich beide Arme in die Hüften gestützt, fragend in den Raum hinein.
„Ist das hier die Generalprobe für ein neues Theaterstück?“ Sie verließ erneut laut lachend das Zimmer.
Lopez und Díaz guckten sich an und klatschten mit ihren Handflächen ein lautes Give me five.
„So macht Arbeiten Spaß Antonio.“
Lopez ging wie so oft, zu seinem Fenster und schaute auf die belebte Straße. Er umfasste wieder den Fenstergriff, da er sich einbildete, dass er in dieser Position schon oft gute Ideen erzeugen konnte. Den Rücken seinem Kollegen zugewandt, sprach er laut gegen das gekippte Fenster.
„Die Mordmethode war unterschiedlich, aber auch wieder ähnlich. Mit einer Eisenstange erschlagen und mit einem Anker am Meeresboden fixiert. Das andere Opfer mit einer Glasflasche erschlagen und zusätzlich mit einem Giftmix ermordet. Hinzu kam, dass dem ersten Opfer die Zunge abgeschnitten und dem zweiten der rechte Fuß abgehackt wurde. Sollte es sich eventuell um einen Serienmörder handeln, oder war es reiner Zufall? Beide Opfer hatten tendenzmäßig etwas mit Umwelt zu tun. Der Kapitän durch die Zerstörung der Seegraswiesen und deren Ökosystem, sowie der Radfahrer, der laut Kommissar Voigt in Freiberg auch kein Umweltfreund zu sein schien. Handelte es sich bei dem Mörder wie bereits beim ersten Mord vermutet, um einen radikalen Umweltschützer? Beide Tatorte waren außergewöhnlich. Woher hatte der Mörder die abgenutzten Finger? Handwerker, Bauern waren nur zwei der Berufsgruppen, die mir spontan einfallen würden.“
Lopez konnte nicht mehr denken.
„Rafael, sie müssen eine Fahndung rausgeben, auch wenn noch nicht sehr viele Merkmale des Mörders vorliegen. Aber allein die abgenutzten Fingerkuppen und die auffällig dicken Finger sind Merkmale, die nicht jeder Mensch hat. Alle bisher erarbeiteten Merkmale sind Standard und treffen auf viele Personen zu.“
Lopez war müde und wusste, dass seine Kreativität nachließ. Seine Frau hatte heute außerdem Geburtstag und er hatte ihnen einen Tisch in einem sehr guten Restaurant mit typisch mallorquinischem Essen hinter Palma Richtung Portals Nous reserviert.
„Antonio, Sie werden mich in den nächsten Tagen weiter begleiten. Sollte es sich um einen Serienmörder handeln, reicht meine alleinige Kraft nicht mehr aus.“
Díaz überlegte kurz.
„Im Delegieren waren Sie immer schon ohne Konkurrenz. Ich helfe Ihnen gerne, auch wenn ich eigentlich abseits dieses Falls genug zu tun hätte.“
Spontan umarmte Lopez seinen Kollegen. Erneut ging die Türe auf und Esmeralda trat sichtlich irritiert herein.
„Happy End des Theaterstücks? Wie kitschig.“ Sie murmelte etwas vor sich hin und knallte die Türe zu.
„Antonio, bitte kümmern Sie sich um das Erstellen der Fahndungsblätter mit unseren Fachabteilungen.“
Díaz lachte. „Wie bereits erwähnt, Delegieren war schon immer Ihre Stärke.“
Lopez liebte die mallorquinische Küche. Das Geburtstagskind und er fuhren gegen neun Uhr abends Richtung Restaurant. Das Lokal war traumhaft auf einem Felsvorsprung gelegen. Die Tische standen direkt an den Rändern der Klippen, sodass den Gästen bei Wind die Salzluft mild in das Gesicht wehte. Beeindruckend war der Blick bis zum Horizont und das glasklar spiegelnde Wasser. Oft ankerten direkt vor dem Lokal riesige Yachten, von denen auch viele Eigentümer im Restaurant den Champagner fließen ließen. Lopez schaute sich um, ob eventuell einer der vielen Prominenten, die auf Mallorca fest oder zeitweise wohnten, anwesend sein könnte, aber unter den bisher Anwesenden konnte er keinen erkennen. Die beiden Tische vor und hinter ihnen waren allerdings noch unbesetzt.
„Ich nehme, wie immer, wenn ich hier bin, den Hummersalat mit exotischen Früchten und Wildseehecht mit Reis.“
„Das wusste ich. Wenn man sich lange kennt, weiß man schon im Voraus, was der Partner nimmt.“
Lopez bestellte Wolfsbarsch aus dem Ofen und Octopus Carpaccio. Als sie mit dem angeblich besten Cava der Insel auf ihren Geburtstag anstießen, kam eine Gruppe von vier Personen auf die Terrasse, und setzte sich hinter die Ehefrau von Lopez.
„Da sitze ich ja genau richtig. Ich wusste, dass wir noch irgendeinem Promi oder auch Pseudo-Promi begegnen würden. Dreh Dich bitte nicht um, aber der Tisch hinter Dir ist gerade durch bekannte Größen der Investor Mafia besetzt worden. Den einen Mann kenne ich aus diversen Zeitungen. Er ist vom Image her nicht gerade positiv besetzt. Die Botox-Barbie neben ihm ist seine Frau. Bei dem anderen Ehepaar handelt es sich entweder um Kunden oder um Kollegen.“
„Wieso Investor Mafia?“
„Man nennt das Ganze „Gentrifizierung“. Wie Du weißt, werden doch viele unserer alten Geschichtsträchtigen Stadtteile durch deren Sanierung oder Umbau so teuer, dass mallorquinische Familien nicht mehr dort wohnen können. Die Investoren kaufen die oft zerfallenen Gebäude für sehr wenig Geld und bauen sie zu Luxusimmobilien um. Selbst in früher ärmeren Stadtteilen wohnen zeitweise danach plötzlich nur noch wohlhabende, meist ausländische Käufer. Eine kranke Entwicklung, die auch ich nicht unterstützen kann.“
Lopez schaute, was sein „Freund“, der Investor, bestellt hatte. Er hatte als Hauptspeise zu seinem teuren mallorquinischen Rotwein „Caracoles“, ein typisches Schneckengericht, das es normalerweise nicht auf der Karte des Restaurants gab. Für den besonderen Gast und seine Frau, deren Bestellung sogar von der auf der Insel für ihre Kochkunst bekannten Köchin serviert wurde, aber schon. Lopez hätte nie geahnt, dass dieses Restaurant solche großen Portionen zubereiten konnte. Ihm war bewusst, dass dieser Mann hier und in diversen anderen lukullischen Lokalitäten der Insel mit Sicherheit einen Sonderstatus hatte. Es schien zudem sein Stammlokal zu sein, da der wartende Chauffeur sogar seinen Wagen direkt vor dem Eingang des Hauses parken durfte. Ein Platz, der sonst durch absolutes Halteverbot herausstach. Geld regiert die Welt, dachte er sich. Der Tisch hinter Lopez blieb frei. Zu fortgeschrittener Stunde vernahm er ein lautes Lachen der eindeutig angeheiterten Ehefrau des Investors.
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