Fünf MS-Patienten erhielten eine hohe Dosis dieses Wirkstoffes, drei eine geringere.
Gleichzeitig wurden auch zwei Parkinson-Patienten entsprechend behandelt. Die Beobachtung lief über 48 Wochen. Die Studie war primär als Sicherheitsstudie angelegt; es wurden keine Nebenwirkungen beobachtet. Zusätzlich konnten die Wissenschaftler darüber berichten, dass sich motorische und kognitive Funktionen bei den Versuchspersonen mit hoher Dosierung verbessert hatten und dass diese Verbesserung über 3 bis 6 Monate nach der Behandlung anhielt.
Prof. Dr. Michel Freedman und die Canadian Bone Marrow Transplantation
Study Group berichteten über 25 Patienten mit aktiver schubförmiger MS und hohem Risiko einer Krankheitsprogression, von denen 15 eine hämatopoeitische Stammzelltransplantation erhalten hatten. Keiner dieser behandelten Patienten hatte danach Schübe oder neue Anzeichen von Krankheitsaktivität im MRT. Eine leichte Krankheits-Progression wurde lediglich bei vier Probanden mit hohem EDSS () beobachtet. Drei Patienten, die zu Beginn der Behandlung geringere Behinderungen hatten, zeigten nach der Behandlung leichte Verbesserungen. Es trat ein Todesfall auf, der durch Komplikationen durch eine Begleit-Medikation bei der Stammzell-Therapie eintrat. Das Studien-Protokoll wurde daraufhin verändert um diese Begleitmedikation besser verträglich zu machen. Die Studie wird derzeit weiter verfolgt.
IX. MS und Blasenprobleme
(neurogene Blasenentleerungsstörungen)
Es ist weiß Gott unangenehm, ständig „müssen zu müssen“!
Noch unangenehmer ist es, den „Urin nicht (mehr) halten zu können“!
Folgen sind u.a. Probleme am Arbeitsplatz, sozialer Rückzug, Depressionen und in jedem Falle ein (zusätzlich) eingeschränktes und gemindertes Selbstwertgefühl!
Eine Therapiemöglichkeit besteht in der Behandlung mit Anticholinergika , doch lässt bei diesen „älteren“ Wirkstoffen vielmals die Compliance sehr zu wünschen übrig, insbesondere auch, weil sich positive Wirkungen vielmals erst spät und nach längerer Einnahmedauer einstellen und oftmals erst nach deutlichen Dosis-Steigerungen.
Einen wesentlich rascheren Wirkeintritt verzeichnet der (neuere) Wirkstoff – ebenfalls ein Anticholinergikum – Darifenacin [Emselex ®]: Patienten mit neurogener Blasenstörung im Rahmen der MS profitieren ebenfalls, da bei ihnen der Harndrang durch diesen Wirkstoff unterdrückt werden kann, ohne jedoch die Blasen-Entleerung komplett zu verhindern und ohne Zunahme von Restharnbildung! Dadurch kann v.a. das Katheterisieren verhindert werden!
[Quelle: Satelliten-Symposium „Die überaktive Blase - Probleme der Betroffenen und Trends in der Behandlung“ – 17. Kongress der Deutschen Kontinenz-Gesellschaft, Stuttgart, 2005]
X. MS und Hormone und Botenstoffe
Außer Frage ist, dass es bei der Krankheit MS zu Schieflagen im gesamten Endokrinum (Hormondrüsen) kommt. Eindeutig belegt ist dies (s.v.) für die gesamte „Hormonelle Stress-Achse“ (d.i. das Hormonverbund-System von Hypothalamus, Hypophysenvorderlappen, Schilddrüse, Nebennierenrinde, Gonaden), was letztlich auch dazu führt, dass die hormonelle Homöostase nachhaltig gestört ist. Das führt aber auch zu Verschiebungen bei den Botenstoffen (Neurotransmitter/Biogene Amine) und hier insbesondere von Adrenalin und noch stärker betroffen das Noradrenalin (Norepinephrin/INN) sowie das Dopamin.
Unter dem Titel „Botenstoff-Mangel als Ursache“ wird in FOCUS-Online vom 15.02.2011 publiziert:
… „Botenstoffe spielen im Gehirn eine tragende Rolle. Ein Mangel kann das ganze fein abgestimmte Gefüge stören. Das könnte auch eine Ursache für MS sein. … Forscher der University of Illinois in Chicago haben in den letzten 20 Jahren die Bedeutung von Noradrenalin für Entzündungs-Prozesse im Gehirn untersucht. Nun haben sie zum ersten Mal gezeigt, dass eine Schädigung eines bestimmten Gehirnteils und eine folgende Abnahme des Botenstoffs im Gehirn mit MS in Verbindung steht. … Noradrenalin spielt laut Douglas Feinstein vom UIC College of Medicine und seinen Kollegen eine wichtige Rolle dabei, Immun-Reaktionen (wie die bei MS auftretenden Entzündungen) im Gehirn zu unterdrücken. So verhindert der Neurotransmitter einerseits, dass Nervenzellen Schaden nehmen, andererseits schützt er aber auch die Blut-Hirn-Schranke, die verhindert, dass Krankheitserreger das Gehirn befallen. … Noradrenalin wird vor allem von Nervenzellen im Locus Coerulus (= kleiner Kern in der Pons/Brücke = Hauptbildungsort für Noradrenalin im Gehirn) und im Nebennieren-Mark (NNM) gebildet und freigesetzt. Ist dieses Gehirnareal geschädigt – z.B. durch einen MS-Herd bzw. durch Narbenbildung –, nimmt die Produktion des Botenstoffs ab.“ …
… „Es gibt eine Menge Hinweise auf Schäden im Locus Coeruleus im Zusammenhang mit Alzheimer oder Parkinson. Jetzt ist aber zum ersten Mal deutlich geworden, dass Nervenzellen dort auch durch Multiple Sklerose betroffen sind, und dass die Noradrenalin-Spiegel dieser Patienten niedrig sind“, sagt Paul Polak, Hauptautor der Studie. Es gibt bereits eine ganze Reihe zugelassene Medikamente, die den Noradrenalin-Spiegel im Gehirn wieder anheben. Deshalb hoffen die Forscher, dass sich aus ihren Untersuchungsergebnissen ein neuer Therapieansatz für Multiple Sklerose und andere neurodegenerative Krankheiten ableiten lässt“. …
Aber auch bzgl. des Hormons Testosteron () – für Frauen und Männer – finden sich bei MS-Kranken Auffälligkeiten im Testosteron-Spiegel. Die Forschungsarbeiten von Wissenschaftlern der Universität La Sapienza Rom unter Leitung durch Prof. Dr. Carlo Pozilli (Prof. für klinische Neurologie und Chef am MS-Center des St. Andrea-Hospidal der Universität von Rom) – randomisierte Studie (publiziert im Journal of Neurology, Neurosurgery and Psychiatry) in 2011 mit MS-Kranken und Gesunden – fanden bei den MS-Probanden erniedrigte Testosteron-Werte.
Außer den erniedrigten Hormonwerten (kontrolliert durch cerebrales MRT mit Kontrastmittel zur Befundsicherung der Gehirngewebe-Schädigung und zur Sichtbarmachung von Entzüngsherden) fanden sich simultan zu den auffälligen Hormonwerten Schädigungen des Gehirngewebes; bei Frauen deutlich stärker ausgeprägt als bei Männern.
Ferner fanden sich simultan ausgeprägtere Entzündungs-Reaktionen. Aber auch für das weibliche Hormon Östradiol fanden sich Auffälligkeiten: Männer mit erhöhten Werten für Östradiol litten unter den größten Schädigungen des Gehirngewebes (Anmerkung: die übrigen untersuchten Hormone scheinen keinen Einfluss auf die Ergebnisse zu haben).
Fazit:
Die Forscher sind der Meinung, dass diese abnormalen Hormonwerte eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der MS spielen könnten. Diese Ergebnisse werden inzwischen von einer Studie an der Universität von Kalifornien (Los Angeles) bestätigt (publiziert in Archives of Neurology). Im Verlauf dieser Pilotstudie waren die Probanden mit Testosteron-Gel behandelt worden. Vor Therapiebeginn war die Gehirngröße infolge der MS jährlich um 0,81% zurückgegangen; nach bzw. unter Testosteron reduzierte sich die Schwundrate um ca. 67% (Abnahme ca. 0,25%/Jahr)!
XI. Schmerzen bei/durch MS
Die meisten Schmerzen bei MS sind allerdings nicht unmittelbar und direkt durch die MS bedingt. Sieht man einmal von den „Nerven-Schmerzen“ ab. Andererseits können aber Folgen und Auswirkungen der MS zu Schmerzen – auch zu Dauerschmerzen – führen. So z.B. durch einen erhöhten Muskeltonus, mangelnde oder falsche Bewegung(sabläufe), Einschränkung in der Beweglichkeit (von Gelenken, der Wirbelsäule usw.).
Die Schmerzen, die unmittelbar MS-bedingt sind, sind vielschichtig in ihrem Charakter: sie reichen von Mißempfindungen wie Brennen oder Kältegefühl oder sie werden als elektrisches Gefühl (besonders bei Beugung des Kopfes den Rücken herunterlaufend) angegeben. Dann aber auch Muskelschmerzen (durch die Verkrampfung) und dazu dann noch die eingangs schon erwähnten neuralgischen bzw. neuropathischen Schmerzen.
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