Fakt ist – dies bereits an dieser Stelle ausdrücklich festgehalten und allen Therapeuten „ins Gebetbuch“ geschrieben als Playdoyer für eine frühestmögliche gezielte MS-Behandlung –:
„Ohne eine adäquate Behandlung kommt es jedoch bei rund 40% der MS-Kranken mit schubförmigem MS-Verlauf binnen ca. 10 Jahren ebenfalls zu einer schleichend-progredienten Zunahme des MS-Krankheitsverlaufes!“
Je nachdem, welcher Bereich im Gehirn und/oder dem Rückenmark betroffen, „befallen“ ist, so unterschiedlich sind dann auch die auftretenden Symptome, Beschwerden, Defizite, Störungen und Ausfälle.
Nicht zu Unrecht wird die Multiple Sklerose [MS] auch genannt:
MS: Die Krankheit mit den „1.000 Gesichtern“
Die „MS-Symptome“ können dabei bei dem einen mehr, beim anderen weniger ausgeprägt sein, permanent bestehen bleiben, sich aber auch teilweise oder völlig wieder zurückbilden.
Mit bzw. nach jedem neuen „MS-Schub“ – d.i. ein „erneutes und verstärktes Auftreten“ von MS-Symptomen bzw. von neuen Beschwerden – können die zuvor bestandenen Symptome wieder auftreten und/oder es können neue hinzukommen.
Bilden sich die Symptome zurück, dann sprechen die Mediziner von einer – je nach Rückbildungsgrad von einer totalen bzw. teilweisen – „Remission“.
Wenden wir uns zuerst den Symptomen zu Krankheitsbeginnzu.
Schwäche und/oder Gefühlsstörungen bis zur Gefühllosigkeit in einer oder auch mehreren Extremitäten (zumeist ein Bein) sind bei ca. 50% der Kranken die sogen. „Initialsymptome“!
Die sogen. Kribbel-Parästhesien (Gefühl z.B. wie Ameisenlaufen) an Armen/Beinen und Gefühl wie „Abschnürungen“ im Bereich von Rumpf und Gliedern kommen ebenfalls oft vor – wahrscheinlich verursacht durch die Mitbeteiligung der Hinterstränge des Rückenmarks –.
Im realen Leben kann das bedeuten: von einem leicht schlurfendem Gang oder einer beeinträchtigten Kontrolle der Bewegung und Steuerung eines Fußes/Beines bis hin zu einer spastischen Paraparese (= beiderseitige unvollständige Gliedmassenlähmung) oder auch einer ataktischen Paraparese.
Bei rund 1/4-1/3 der Erstsymptome handelt es sich um Sehstörungen im Sinne einer Entzündung des Sehnerven (Optikus-Neuritis und Retrobulbär-Neuritis).
Diese Störungen können flüchtig oder vorübergehend sein – Amaurosis fugax – oder zum totalen Sehverlust – Amaurosis persistens – führen! Zumeist einseitiges Vorkommen, manchmal auch beidseitig, dann seltener gleichzeitig und zumeist nacheinander.
Fassen wir zusammen:
Die Multiple Sklerose ist eine symptomreiche, vielschichtige und „vielgestaltige“ Krankheit.
Das Auftreten von „Beschwerden, Störungen und Ausfällen“ hängt davon ab, welche Stellen des Zentralnervensystems (ZNS = Gehirn und Rückenmark) betroffen sind.
Es gibt kein starres MS-Schema.
Jeder MS-Kranke bietet ein besonderes – ein individuelles – Symptombild.
Die Symptome, ihre Schwere und Dauer können sich bei ein und derselben Person im Laufe der Zeit ändern. Beeinträchtigungen treten insbesondere in folgenden Bereichen auf:
a. Koordination
b. Kraft
c. Empfindung
d. Sprechfähigkeit
e. Harnblasenkontrolle
f. Sexualität
g. kognitive Funktionen
Nach Charles M. Poser (Département de Neurologie, Harvard Medical School et Hospital Beth Israel, Boston, MA, USA) finden sich bei der MS zu Beginn (initial) – nach ihrer Häufigkeit – folgende „Leit-Symptome“:
a. Zentrale Lähmungen (Paresen) 45%
b. Gefühlsstörungen (Sensibilitätsstörungen/Missempfindungen) 42%
c. Sehstörungen durch Opticusneuritis 33%
d. Kleinhirn-Syndrome mit u.a. Gleichgewichts- und Koordinations-
Störungen (Zerebelläre Symptome) 24%
e. Sehstörungen durch Lähmungen der Augenmuskeln 14%
f. Sonstige Hirnstamm-Symptome 10%
g. Blasen-/Mastdarm-Störungen 9%
h. Psychische Störungen 4%
Im Verlauf der Krankheit finden sich die oben genannten Ausfälle und Störungen wie folgt:
a. Zentrale Lähmungen (Paresen) 85%
b. Gefühlsstörungen (Sensibilitätsstörungen/Mißempfindungen) 86%
c. Sehstörungen durch Opticusneuritis 62%
d. Kleinhirn-Syndrome mit u.a. Gleichgewichts- und Koordinatiosstörungen
(Zerebelläre Symptome) 79%
e. Sehstörungen durch Lähmungen der Augenmuskeln 36%
f. Sonstige Hirnstamm-Symptome 29%
g. Blasen-/Mastdarm-Störungen 42%
„Typische“ MS-Symptome – zu Beginn wie im Verlauf der Erkrankung – sind weiter nach C.M. Poser:
a. unerklärliche und anhaltende Müdigkeit, auch Tagesmüdigkeit mit/ohne Schlafstörungen
b. Schwächezustände
c. Gedächtnisstörungen
d. Depression
e. Störungen der Sexualfunktion
f. Schmerzen
Ein Befall nur des Sehnerven ist in aller Regel ein Hinweis, dass sich die MS-Läsion auf das ZNS beschränkt.
Ca. 50% aller MS-Patienten mit Augensymptomen werden aber im Laufe der Jahre auch andere MS-Symptome entwickeln.
Weitere MS-Symptome der Erstmanifestation sind (in absteigendem Vorkommen):
a. Gangunsicherheit
b. Hirnstamm-Symptome
wie Schwindel, Brechreiz/Erbrechen, Doppeltsehen, Hyperakusis/Phonophobie (s.o.)
c. Miktionsstörungen
wie u.a. Harndrang, Harnverhalt, Inkontinenz, häufiges Wasserlassen mit Drang
Bei Männern treten diese Symptome vielmals in Verbindung mit Impotenz auf.
Deutlich seltener stellen sich aber auch noch ein:
d. Hemiplegie (Halbseitenlähmung)
e. Trigeminus-Neuralgie
f. sonstige Schmerz-Syndrome
g. Fazialisparese
h. Taubheit
oder auch (allerdings sehr selten)
i. Krampfanfälle
und zuletzt auch noch mehr oder minder intensiv ausgeprägte
j. psychische Störungen
von euphorischen Zuständen bis tiefster Traurigkeit und Depression
und/oder auch
k. neuro-mentale/kognitive Störungen
(Hirnleistungs-Schwäche bzw. -Defekte).
Grob vereinfacht kann man die Symptome bei der MS in der nach-stehenden Abb. zusammenfassen:
Mögliche Symptome bei einer „MS“
Psychische Störung
Verstimmungszustände
Emotionale Fehlreaktionen
Angst, Panik
Depression ggfls. auch m it psychotischen Syndromen
Verzweiflung
Lebensmüdigkeit
Neurologische Störungen/Ausfälle
Blasen- und Mastdarm- Störung
Sehstörungen
Spastik
Paresen
Gefühlsstörung
Sprachstörung
Ataxie
Sehnervenschädigung mit Sehstörung und Gesichtsfeld-Störungen
Gesichtslähmung
Schwindel
Brechreiz
Koordinationsstörung
Tremor
Neuropsychologische Defizite
Sexuelle Störung
Libido-Minderung/-Verlust
Potenz-Störungen
Wie gesagt:
Diese Symptome können nur wenige Minuten bis Stunden aber auch über Tage und Wochen bestehen bleiben, sich dann wieder total oder auch nur teilweise zurückbilden.
Wie auch immer:
Dies war und ist der Beginn der MS!
Weiter zu Symptomen bei diagnostisch gesicherter MS
Hier muss differenziert werden, je nachdem, welches Areal – Seh-Nerv, Hirnstamm, Kleinhirn, Rückenmark … – befallen ist.
Mehrfach-Schädigung ist nicht selten und mit Fortschreiten der Krankheit (fast) immer der Fall!
I. Symptome bei Schädigung am Sehnerv
(Nervus opticus = II. Hirnnerv; = 1. Teil der „Sehbahn“)
Fast 40% aller MS-Kranker leiden an einer Entzündung des Sehnervs (Opticus-Neuritis und/oder einer Retrobulbärneuritis; d.i. eine Entzündung des Sehnerven-Segmentes zwischen Augapfel und Sehnervenkreuzung hinter den Augen).
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