Nun werden sie auf eine kleine Empore geführt und müssen sich in Reih und Glied aufstellen. Pferdelose Kutschen fahren vor. So etwas hat Love noch nie gesehen. Wie funktionieren sie? Wie werden sie angetrieben?, fragt sie sich, als sich die Türen der Fahrzeuge öffnen und ein dutzend alte, junge, dicke, gebückt gehende, schmächtige, bärtige Männer und nur ein paar vereinzelte Frauen aussteigen. Ein Anflug von Gier blitzt in den Augen der meisten auf. Eine kleine Falte formt sich über Loves Nasenwurzel und sie befürchtet das Schlimmste. 4-City ist eine käufliche Welt.
Leider werden ihre kühnsten Alpträume zur Realität und schon beginnen die Männer die Mädchen zu begutachten.
»Sind sie alle gesund? Niemand hat die Krankheit?«, fragt der ein oder andere.
»Das sind sie. Sie sind alle Schrottsammler. Schrottsammler haben niemals die Krankheit«, antwortet die Oberin.
Dennoch verwenden die Fremden irgendein seltsames Gerät und tasten die Mädchen damit in einem Abstand von wenigen Zentimetern ab. Offensichtlich, um sich selbst davon zu vergewissern, dass niemand die sogenannte Krankheit hat. Dann, als wären sie eine Ware, heben die Käufer hier und da ein Kinn oder einen Rock an. Love kann ein junges Ding neben sich schluchzen hören. Ein böser Blick von der Oberin, bringt sie wieder zum Schweigen.
»Reiß dich gefälligst zusammen«, hört Love die Oberin zischen. Einer der Männer drängelt sich etwas näher nach vorne und baut sich schließlich vor Love auf. Er streicht sich über seinen nicht vorhandenen Kinnbart und beäugt sie.
»Bist du auch fleißig und folgsam?«, fragt er. Love weiß nicht, was sie sagen soll. Am liebsten würde sie ihm ins Gesicht spucken, aber das traut sie sich doch nicht.
»Was soll die kosten?«, wendet sich der unsympathische Kerl in Richtung der Oberin.
»Ein echtes Schnäppchen. Zehn Gramm zu Ektoplasma verdichtetem Æther.«
»Das soll ein Schnäppchen sein?«, ereifert der Mann sich, doch flugs tritt er noch näher heran, drückt mit seiner rechten Hand Loves Wangen zusammen, sodass sie unwillkürlich ihren Mund öffnen muss, um dem Schmerz zu entgehen. Er sieht sich, ähnlich wie beim Pferdekauf, Loves Zähne an, welche zwar ziemlich schief im Mund stehen, für eine Schrottsammlerin jedoch erstaunlich gut und gesund erscheinen. Der potentielle Käufer lässt sich seine Überraschung nicht anmerken.
»Mhmmm ...«, und wieder an die Oberin gerichtet nuschelt er: »Spricht dieses Weib auch unsere Sprache?«
»Soll sie dir Geschichten erzählen oder willst du deinen Spaß mit ihr haben?«, fragt die Oberin und wendet sich von ihm ab.
»Ich krieg dich«, brummt der Mann mit unheimlicher Stimme ganz nah an Loves Ohr. Sie kann seinen Mundgeruch und diverse Körperausdünstungen riechen und muss sich beherrschen, um nicht zu würgen.
»Meine sehr verehrten Herrschaften. Genug geglotzt. Die Versteigerung beginnt«, ruft nun die Oberin. Der offizielle Ton will absolut nicht zu ihrer etwas rüden Erscheinung passen. Sie ergreift den Arm des schluchzenden Mädchens und hebt diesen leicht an. »Ich habe ein ganz besonderes Angebot für euch.« Sie wirft dem Mädchen einen bitterbösen Blick zu. Das Mädchen dreht sich daraufhin einmal um die eigene Achse. Sie schaut ängstlich zu Boden und hat Mühe, ihre Tränen zu unterdrücken. »Diese Sklavin ist gefügig, fleißig und gesund. Sie ist harte Arbeit gewohnt und widerspricht nicht.« Love ist sich nicht sicher, woher die Oberin das weiß und ob all das, was sie sagt, wirklich wahr ist, aber offensichtlich erhofft sie sich so, einen guten Preis zu erzielen.
»Ihr Name ist Lisa, doch nennt sie von mir aus, wie ihr wollt.« Die Oberin blickt das Mädchen an und für einen kurzen Augenblick sieht Love so etwas wie Kummer und tiefes Bedauern in den Augen der Oberin. »Macht mir einen guten Preis und ihr könnt sie mitnehmen.« Dann verschränkt sie die Arme vor der Brust und wartet ab.
Geräusche bewegen die Menge dazu, sich umzublicken. Eine verspätete Kutsche fährt vor und ein breitschultriger Mann mit einer auffällig großen Papageienschnabelnase und eine junge Frau mit einem silbrigen Halsband steigen aus. Gediegenen Schrittes tritt der Hüne auf den Platz bis vor die Empore. Er ist wahrhaftig eine einschüchternde Erscheinung. Hinter sich zieht er die junge Sklavin her. Sie ist vielleicht gerade einmal 18 Jahre alt. Sein Griff ist wie der eines Schraubstockes, denn so sehr sie sich auch gegen ihn lehnt, es hilft nichts und sie stolpert jeden zweiten Schritt hinter ihm her. Als er direkt vor der Empore ankommt, zerrt er sie etwas grob am Arm.
»Still jetzt!«, raunt er missmutig. Das Mädchen ist zierlich und misst etwa 1,60 Meter. Ihr Haar liegt in braunen Locken wirr um ihr feingeschnittenes Gesicht. Es gleicht mehr einem strubbeligen Fell als Menschenhaar. Scheu, ja beinahe ängstlich, schaut sich das Mädchen aus ihren braunen Augen um. Die Angst steht ihr ins Gesicht geschrieben. Einige drehen sich zu ihm um. Nach einer halben Ewigkeit beginnt der Mann mit Blick auf Lisa, das weinende Mädchen, zu sprechen.
»Wie viel wollt ihr für sie haben? Wenn es nicht übertrieben ist, will ich den Preis zahlen.« Flüchtig und ängstlich mustert Lisa den Mann.
»Fünfzehn Gramm Ektoplasma«, meint die Oberin.
»Gekauft!«, antwortet der Hüne.
Die Auktion nimmt ihren Lauf.
Ein paar der besonders hübschen Mädchen werden als erste von den Männern herausgepickt und abgeführt. Weiter rechts wird mit der Oberin gehandelt und gefeilscht und Ektoplasma wechselt schließlich den Eigentümer. »Das ist kein Sklavenmarkt«, denkt Love. Nein, es ist viel schlimmer. Wir sind Kriegsbeute und werden an den meist Bietenden verkauft.
Eine Frau zeigt offenkundiges Interesse an Love. Der widerliche Mann, der wohl nur darauf wartet, mit der Oberin zu verhandeln, ist Love ebenfalls keinen Zentimeter von der Seite gewichen.
»Was willst du für sie?«, ruft die Frau der Oberin zu. Die Oberin blickt zu ihr, offenbar erfreut darüber, dass es gleich zwei Interessenten für Love zu geben scheint.
»Dreißig Gramm!«, sagt sie geradeheraus.
»Was?«, schimpft der Mann. »Eben waren es nur zehn.«
»Zahlt oder lasst es.«
Ein schwarzhaariges, dünnes Mädchen will derweil erschrocken einen Schritt zurückweichen, doch ihr dicker, ungepflegter Käufer lässt dies nicht zu. Mit unerbittlicher Härte umklammert er ihren Unterarm und dann blickt er zur Oberin.
»Fünf Gramm«, verhandelt er und streicht sich über sein fettes Kinn.
»Sie gehört dir«, schlägt die Oberin in den Handel ein und wirft dem Mann den Sender für das Halsband zu. Der fette Mann fängt das kleine Gerät ungeschickt auf und blickt zu der Sklavin. Ein schmieriges Grinsen liegt ihm auf den Lippen.
Es ist ein Geschäft. Ein durchaus lukratives, wie es den Anschein hat, denn die Männer scheinen gut zu bezahlen. Loves Hoffnungen schwinden. Sie hatte die Hoffnung, hierbleiben zu können und eine Gelegenheit zu erhalten, irgendwann den Master zu töten. Plötzlich passiert etwas Unvorhergesehenes.
Das schmächtige Mädchen, reißt sich doch von dem dicken Käufer los und springt die Empore hinunter.
»Bleib stehen!«, ruft die Oberin hinterher, aber das Mädchen hört nicht. Sie rennt einfach darauf los. Der Hüne mit seinen beiden Sklavinnen dreht sich um. Das Mädchen stürmt auf ihn zu.
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