»Na dann, ich wollte nicht stören«, hörte ich mich sagen, ehe ich auch schon Anstalten machte, den Raum zu verlassen.
»Warten Sie, Drea«, hörte ich Miss Connors’ Stimme hinter mir. »Ich wollte ohnehin gerade gehen.«
Als ich mich umdrehte, war Miss Connors schon dabei, sich von dem Stuhl zu erheben.
»Mein Unterricht beginnt bald und ich muss noch ein paar Dinge vorbereiten«, erklärte sie, während sie sich ihre Strickjacke über den Arm schlang und nach ihrer Ledertasche griff, die neben dem Tisch stand.
Zur Verabschiedung nickte sie Logan lediglich zu und kam dann auf die Tür zugelaufen. Eilig trat ich beiseite, um sie an mir vorbei zu lassen. Bevor sie allerdings nach draußen trat, nickte sie auch mir einmal zu und auf ihren Lippen lag ein zaghaftes Lächeln, was ich aus irgendeinem Grund als seltsam empfand. Verwundert schossen meine Brauen in die Höhe und ich konnte nicht anders, als ihr verwirrt hinterher zu starren.
Als die Tür ins Schloss gefallen war, richtete sich meine Aufmerksamkeit wie von selbst auf Logan, der sich hinter seinem Tisch erhob.
Das letzte Mal hatte ich ihn im Krankenhaus gesehen und obwohl man meinen sollte, dass ich mich allmählich an seinen Anblick gewöhnte, war doch das komplette Gegenteil der Fall. Seine goldblonden Haare waren wie immer zerzaust, sodass ihm einige Strähnen auf die Stirn fielen und in mir wie immer den Wunsch weckten, sie bändigen zu wollen. Im Vergleich zu der legeren Kleidung, die er auf unserem Schulausflug getragen hatte, steckte sein Körper nun wieder in einer grauen Anzugshose und einem weißen Hemd, dessen Ärmel hochgekrempelt waren und freien Blick auf seine muskulösen Unterarme gewährten. Es war beinahe schon unverschämt, dass Logan tragen konnte, was er wollte. Sein Anblick brachte mich wieder einmal völlig um den Verstand und ich musste mich stark konzentrieren, um mich nicht vollends von seiner Präsenz einnehmen zu lassen.
»Drea, was machst du hier?«, fragte er plötzlich und fuhr sich in einer nervösen Geste durchs Haar.
»Was ich hier mache?«, fragte ich erstaunt und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. »Ich denke ich sollte wohl eher fragen, was sie hier gemacht hat?«, um meine Aussage zu unterstreichen, deutete ich auf die Tür, durch die Miss Connors soeben verschwunden war.
»Ist das jetzt dein Ernst, Drea?«, er sah mich ungläubig aus großen Augen an. Ich dagegen hob unbeeindruckt eine Braue, wenngleich mein Puls auf Hochtouren lief.
»Es ist mein voller Ernst, Logan. Was hat sie hier gemacht?«
Logan wandte den Blick ab, stieß ein abfälliges Lachen aus und fuhr sich mit den Fingern müde über die Augenlider, ehe er wieder zu mir rüber blickte.
»Willst du mir unterstellen, dass ich etwas mit einer Kollegin habe?«
Seine Worte verunsicherten mich für einen kurzen Augenblick. Traute ich Logan so etwas denn wirklich zu oder rührten meine Zweifel nur aus meinen bisherigen schmerzhaften Erfahrungen mit Danny? Immerhin hatte ich Logan anders kennengelernt. Zwar waren wir noch immer kein Paar und hatten eigentlich beschlossen, bis zu meinem Abschluss zu warten, aber nach unserem Gespräch in jener Nacht im Wald hatte ich eigentlich angenommen, dass wir es auf gewisse Art und Weise doch waren. Dass wir uns ein stummes Versprechen gegeben hatten. Ein stummes Versprechen auf mehr.
»Poppy hat auf der Klassenfahrt Miss Connors aus deinem Zimmer kommen sehen«, sagte ich leise und allein bei dem Gedanken daran drehte sich mir der Magen um.
Logan lehnte sich gegen den Lehrerpult und sah mich mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Unglauben an.
»Ich fasse es nicht, dass du so von mir denkst«, er schüttelte entrüstet den Kopf. »Miss Connors war auf meinem Zimmer gewesen, weil sie an jenem Abend, als du ins Krankenhaus gekommen bist, bemerkt hat, was zwischen dir und mir läuft. Sie hat mich darauf angesprochen, Drea. Und eben war sie hier gewesen, um mir mitzuteilen, dass sie sich dazu entschieden hat, es niemandem zu melden. Ich habe also andere Dinge im Kopf gehabt!«
Logans Worte trafen mich wie ein Hieb in den Magen. Beschämt stand ich da und fühlte mich wie vor den Kopf gestoßen. Miss Connors hatte es herausgefunden?
Gott, Logan hatte recht. Wie hatte ich nur so von ihm denken können? Während ich mich wie ein eifersüchtiger Teenager aufführte, hatte Logan ganz andere Sorgen gehabt. Sorgen um seine Zukunft. Um meine Zukunft. Was war nur in mich gefahren?
Schuldbewusst schluckte ich den Kloß in meinem Hals herunter und starrte auf meine Schuhe.
»Wie hat sie es denn herausgefunden?«, fragte ich zerknirscht.
»Das spielt jetzt keine Rolle mehr. Es schockiert mich viel mehr, dass du so etwas von mir denkst«, Logan wirkte ernsthaft gekränkt und innerhalb weniger Sekunden rauschten mir unzählige Gedanken durch den Kopf, wie ich diese heikle Situation noch retten konnte, ohne mich weiterhin wie ein eifersüchtiger Teenager aufzuführen. Dennoch konnte ich meine Gefühle nicht lenken und so brachte ich die einzige und wohl leider auch lahmste Entschuldigung vor, die mir in diesem Moment in den Sinn kam.
»Du hast mich nicht zurückgerufen«, gestand ich kleinlaut und wagte es nicht, ihm ins Gesicht zu schauen, denn ich wusste auch so, dass ich mit dieser Ausrede bei ihm auf Granit stoßen würde.
»Verdammt, Drea. Dein Vater hat mir gedroht. Was hätte ich denn tun sollen?«, donnerte Logan mit erhobener Stimme, was mich sogleich wieder aufschauen ließ. Er war völlig aufgebracht und das auch zurecht. Ich konnte seine Ängste und seinen Ärger durchaus verstehen, ja sogar nachvollziehen.
Doch es frustrierte mich gleichermaßen, dass er bei der ganzen Sache nicht auch mal an mich dachte. Hatte er überhaupt einmal einen Gedanken daran verschwendet, wie ich mich dabei gefühlt haben musste, nach dem Vorfall im Krankenhaus keinerlei Lebenszeichen von ihm zu erhalten? Jeden Tag die Angst, dass er sich wieder von mir abwenden würde, wie er es sonst immer tat? Es war einfach, die Menschen von sich zu stoßen, wenn es schwierig wurde und diese Kunst beherrschte Logan perfekt. Aber es zeugte von Mut und Größe, sich dem unvermeidlichen Konflikt zu stellen. Und dieser Konflikt trug nun einmal den Namen meines Dads, Cedric Dupree.
»Du hättest mich anrufen können, Logan, oder zumindest eine SMS schreiben! Kannst du dir denn nicht vorstellen, wie ich mich dabei gefühlt habe, nichts mehr von dir zu hören? Nicht zu wissen, ob du uns sofort wieder aufgibst?«, wild warf ich die Hände in die Luft und konnte nun nicht mehr an mir halten. Meine Gefühle brachen sich unweigerlich Bahn, spiegelten sich in meinen Worten wider, in meinem Gesicht. Ich konnte es nicht verhindern. Mit aller Macht versuchte ich die Tränen zu unterdrücken, die mir in den Augen brannten.
Wieder fuhr Logan sich verzweifelt mit beiden Händen übers Gesicht und lief unruhig im Raum umher. Eine unangenehme Stille entstand zwischen uns. Es war die Stille der absoluten Hoffnungslosigkeit. Die Stille, in der jeder seinen eigenen Gedanken nachhing und innerlich nach den richtigen Worten suchte, nach irgendeiner Lösung für diese verfahrene Lage.
Logan hielt plötzlich inne und stützte sich mit beiden Händen auf einer Fensterbank ab. Er ließ den Kopf hängen, während sein Blick in die Ferne abschweifte.
»Sag mir, was ich tun soll«, hörte ich ihn plötzlich leise sagen. Seine Stimme hatte jeglichen Zorn verloren. Ganz im Gegenteil, sie wirkte weich, beinahe sogar sanft, was sich automatisch auch auf mich übertrug und meinen Ärger sofort zu zügeln begann.
»Logan, ich kann dir nicht sagen, was du tun sollst«, ich schüttelte den Kopf und ging einige Schritte auf ihn zu. »Die Frage sollte wohl eher lauten; was willst du?«, erwiderte ich und ging einen weiteren Schritt auf ihn zu, bis ich beinahe unmittelbar hinter ihm stand. Als ich nach kurzer Zeit noch immer keine Antwort von ihm erhielt, kroch die Angst wieder in mir hoch. Angst davor, dass Logan mich von sich stieß, dass er uns aufgab.
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