Als Lothar dann endlich eingestiegen war und sich neben seinen Freund setzen wollte, wurde er herb enttäuscht. Auf dem Platz neben seinem Freund hatte bereits eine Dame Platz genommen. Als diese sah, dass die beiden Herren miteinander bekannt waren, wollte sie freiwillig ihren Sitz räumen, damit die beiden zusammen sitzen konnten. Lothar winkte höflich ab. Ganz Gentleman entschuldigte er sich für die Störung und schaute sich suchend im Bus um. Leider war er, wie so oft, der Letzte gewesen. Als Folge seiner berufsbedingten Höflichkeit hatte er alle anderen Fahrgäste zuerst einsteigen lassen und jetzt war nur noch ein einziger Sitzplatz frei. Es war natürlich kein Fensterplatz, denn den hatte sich bereits eine extrem blonde Frau in Jeans und blendend weißer Bluse gesichert. Nicht gerade Marylin Monroe, dachte Lothar, aber schon flott und sehr gepflegt. Sie musste etwa Mitte bis Ende Fünfzig gewesen sein, denn die aufkommenden Falten konnten auch von einer gekonnt aufgetragenen Schicht Make-Up nicht ganz weggeleugnet werden.
Lothar machte eine leichte Verbeugung, so als ob er die Dame zum Tanzen auffordern wollte und fragte, ob denn der Platz noch frei sei. Eine rein rhetorische Frage, denn es war der einzige und wenn der Reiseveranstalter keinen schlimmen Fehler gemacht hatte, dann konnte er gar nicht belegt sein. Auf das zustimmende Nicken seiner Nachbarin hin, ließ er sich endlich nieder. Er war sofort etwas beklommen, denn, obwohl er doch tagtäglich mit den Röthenbacher Damen zu tun hatte, war dies schon etwas anderes. In seinem Salon saßen die Frauen immer und er stand hinter ihnen mit Schere und Bürste in der Hand. Da war er der Agierende, der Fachmann. Da war er viel selbstsicherer. Und die Themen waren auch immer klar, eben alles, was in den ausliegenden Frauenzeitschriften und Boulevardmagazinen stand oder der neueste Dorftratsch, den er als Friseur immer als einer der Ersten mitbekam. Aber das hier, das war etwas ganz anderes. Andererseits war er trotz aller Schüchternheit auch nicht der Typ, der lange seinen Mund halten konnte und so stellte er sich seiner Nachbarin erst einmal vor, wie es sich gehörte.
„Darf ich mich vorstelln? Mein Name ist Loodar Schwarm aus Rödnbach. Das is in Middlfrankn, nicht weid von Nürnberch weg, des kennen sie bestimmd. Lebkuchn, Christkindlesmarkd, wissens schon.“
Er bemühte sich so gut es eben ging seinen heimatlichen Dialekt an das Hochdeutsche anzugleichen, was natürlich nicht hundertprozentig gelang. Er wollte eben, wie es seiner Natur entsprach, höflich sein. Die Dame sollte ihn schließlich verstehen. Was sie erstaunlicherweise auch tat. Die Überraschung war groß, als sie in reinstem oberpfälzisch ihren eigenen Namen und Wohnort nannte.
„Und I bin die Maria Leimer aus Schöikirch in der Oberpfolz. Schöi sie kenna zu learna, Herr Schwoarm. “
Ab sofort soll auf die korrekte Zitierung des oberpfälzischen Dialekts mit Ausnahme einiger leichter Andeutungen verzichtet werden, da der Leser sonst leicht zwischen lang gezogen Mischlauten aus A und O, OUs und ÖIs der Oberpfälzer und dem ohnehin schwierig schriftlich festzuhaltendem Fränkisch gänzlich verzweifeln könnte.
Der Herr Schwoarm war auch erfreut, dass es sich bei seiner neuen Bekannten wenigstens um jemand aus einem befreundeten Regierungsbezirk handelte und es wurde gleich etwas zutraulicher.
„Ich hab einen Friseursalon daheim in Rödnbach und bin also mehr odder wenicher Exberde. Also ihr Haar iss wirklich wunderbar, hädd ich selber nedd besser machn können.“
Die Konversation schien sehr gut in Gang zu kommen. Doch es kam noch besser.
„Ich bin ja aa so was ähnlichs wöi a Exbertin. Ich bin nämli a Kosmetikerin mit oin eigena kloin Studio für Noglpflege und Kosmetik dahoim in Schöikirch. Do samma ja fast su wos ähnlichs wöi Kollegn, Herr Schwoarm.“
Sie verfügte tatsächlich über ein herzerfrischendes Lachen. Das Gespräch wurde ab sofort nur noch flüsternd weiter geführt, denn endlich war auch der Reiseleiter in den klimatisierten modernen Reisebus eingestiegen und hatte seinen Platz neben dem ägyptischen Fahrer eingenommen. Er begrüßte die Reisenden in fließendem Deutsch, hieß sie danach mit einem fröhlichen „Marhaba“ auch auf Arabisch willkommen. Seine perfekten Deutschkenntnisse waren nicht verwunderlich, denn der Mann hieß Rainer Stützle und stammte, seinem leichten Dialekt nach zu urteilen, aus dem Schwäbischen. Zuletzt wünschte er allen einen angenehmen Aufenthalt im Land der Pharaonen und gab dem Fahrer das Zeichen zur Abfahrt. Der Bus fädelte geschickt in den vorbeifließenden Verkehr ein und im Nu schwamm das Fahrzeug in einem Meer von permanent hupenden, teils abenteuerlich anmutenden Automobilen langsam aber stetig, wie von wilden Wellen getragen, dahin.
Am Vormittag stand die Besichtigung des Ägyptischen Museums auf dem Programm. Wie Peter wusste, würde ein halber Tag allenfalls für eine oberflächliche Tour reichen, denn die Ausmaße der Ausstellungsflächen sind gigantisch und die Räume zum Bersten gefüllt mit den edelsten Schätzen, die im Laufe der Jahrhunderte von mehr oder weniger professionellen Ausgräbern zutage gefördert wurden. Viele der wertvollsten Stücke waren allerdings in der Zeit der britischen und französischen Oberherrschaft ins Ausland geschafft worden. Die aufwändigen Grabungen wurden damals wie heute größtenteils von den bedeutenden Museen der Welt finanziert und als Gegenleistung die besten Stücke mit und oft genug auch ohne den Segen der ägyptischen Antikenverwaltung kurzerhand in die entsprechenden Länder verfrachtet. Zu mindestens diese Praxis gibt es heute nicht mehr.
Wahrscheinlich würde die Zeit gerade mal für einen Schnelldurchgang und den obligatorischen Besuch bei den Artefakten aus dem Grab des wohl bekanntesten, wenn auch geschichtlich völlig unbedeutenden Pharaos Tut-anch-Amun reichen.
Die ockerfarbene Fassade des altehrwürdigen Gebäudes am Tahrirplatz, welches das berühmte Ägyptische Museum von Kairo beheimatet, wurde von der frühen Morgensonne in ein angenehm warmes, gelbliches Licht getaucht. Die Sonnenstrahlen vermischten sich mit der Farbe des Gebäudes zu einem wunderbaren Leuchten, so als ob die mächtige Eingangshalle, die eher zu einem Bahnhof, denn zu einem der eindrucksvollsten Museen der Welt gepasst hätte, von riesigen Scheinwerfern angestrahlt und zur Theaterbühne umfunktioniert worden wäre. Es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die siegreiche ägyptische Armee, angeführt von ihrem General Radames, zu den mitreißenden Klängen des Triumphmarsches aus Verdis Aida, die Bühne betreten würde. Selbst die staubigen Palmen vor dem Eingang ließ der Sonnengott Re in einem satten, leuchtenden Grün erstrahlen. Einen wesentlich weniger strahlenden Eindruck machten dagegen die unzähligen, schwarz gekleideten Männer mit ihren schweren Schnürstiefeln und den umgeschnallten Maschinengewehren. Wie eine endlose Perlenkette umstanden sie die Mauern des historischen Baus.
Peter hatte dies schon einmal erlebt, während der ersten Ägyptenreise der Kleinleins vor über dreißig Jahren. Damals war Jehan, die Gattin des damaligen Staatspräsidenten Anwar al Sadat zusammen mit der Ehefrau des Präsidenten irgendeines unbedeutenden Kleinstaates im Schlepptau vorgefahren, um dem Gast die antiken Schätze persönlich vorzuführen. Touristen hatten für einen ganzen Tag keinen Zutritt. Als Peter seine diesbezügliche Befürchtung dem Reiseleiter, Herrn Stützle, mitteilte, schüttelte dieser nur resignierend den Kopf.
„Sie waren bestimmt schon lange nicht mehr in Kairo. Seit Jahren, genau genommen seit den schrecklichen Anschlägen der islamischen Fundamentalisten mit dem Höhepunkt des Massakers am Hatschepsuttempel, hat sich in Ägypten die Lage für Touristen völlig verändert. Wir sind hier nicht am Roten Meer, sondern inmitten eines der größten sozialen Brennpunkte der Welt, in der die moslemischen Bruderschaften enormen Zulauf haben. Polizeipräsenz ist zu ihrem Schutz mittlerweile leider unabdingbar“.
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