In den letzten Wochen hatten die Termine sich aneinander gereiht. Aber jetzt hatten die Kinder sechs Wochen Schulferien und damit würde es ruhiger werden. Bis zum Urlaub der Eltern dauerte es allerdings noch. Wieso konnte man nicht einfach auch immer dann Urlaub haben, wenn die Kinder Ferien hatten? Immerhin war nun Wochenende.
Am Freitagnachmittag hatte Kerstin sich Leon und Nele geschnappt und war mit ihnen zum Einkaufen gefahren. Irgendwie hatte sie es geschafft, dass Jonas in der Zeit einmal mit dem Staubsauger durch die Zimmer geflitzt war. Wenn man genau hinsah, merkte man zwar, dass er es mit der Gründlichkeit nicht so genau genommen hatte und abends hatte Kerstin etliche Legosteine von Leon aus dem Beutel retten müssen. Aber sie war ihrem »Großen« dankbar, dass er diese Aufgabe übernommen hatte.
Martin war über das Wochenende dienstlich in der Schweiz. Er war am Freitag mit seinen Kollegen direkt von Nürnberg aufgebrochen und würde erst am Sonntag wiederkommen.
Der Rest der Familie saß jetzt beim ausgedehnten Wochenend-Frühstück. Sogar Nele hatte ein Brötchen gegessen.
»Hast du meine schwarze Leggins noch gewaschen, Mama?«, fragte sie kauend.
»Ich habe sie sogar getrocknet. Sie liegt auf deiner Sporttasche. Eine Brotdose habe ich dir auch dazu gelegt«, antwortete Kerstin.
»Ach, Mama, brauche ich doch nicht. Auf dem Sportplatz gibt es immer was. Gibst du mir lieber 10 Euro?«
Kerstin seufzte. Nele hatte heute einen Wettkampf. Zum Glück war es nicht so heiß. »Creme dich bitte gut ein und nimm deinen Sonnenhut mit.«
Nele verdrehte die Augen: »Ach, Mama!«
»Nix da, ohne Sonnencreme kommt mir heute niemand aus dem Haus!«
Es klingelte an der Tür. Leon und Nele sprangen beide auf und wären fast zusammengestoßen, weil jeder von ihnen versuchte, als erster an der Tür zu sein.
»Das ist Judith!«, rief Leon.
»Nee, das ist Marie! Ciao, Mama!« Nele drückte ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange, schnappte sich ihre Sporttasche und flitzte aus der Tür.
Kerstin rief hinterher: »Nele, Sonnenschutz!«
Maries Vater tauchte in der Tür auf, begrüßte die restliche Familie und lachte: »Moin, Kerstin. Keine Sorge, wir haben alles dabei. Wir sorgen schon dafür, dass sich die Mädels eincremen und genügend Schatten und Wasser bekommen. Wann sollen wir Nele zurückbringen?«
»Hallo, Karsten. Meine Schwester kommt gleich, wir wollen zum Klettern und kommen sicher erst heute Abend zurück. Aber Nele hat ja einen Schlüssel.«
Da kam Nele noch einmal zurückgeschossen. »Mama, kann ich bei Marie übernachten? Bittebittebitte.«
Kerstin sah Maries Vater fragend an, aber der nickte sofort: »Also, unseretwegen gerne. Was meinst Du, Kerstin? Wenn deine Schwester zu Besuch ist?«
»Passt schon, Judith bleibt die ganze Woche. Also«, wandte sie sich an ihre Tochter, »dann brauchst du aber noch Zahnputzsachen, Schlafanzug und frische Unterwäsche.«
Nele flitzte nach oben, um ihre Sachen zusammenzusuchen. Diesmal wäre sie fast mit Judith zusammengestoßen, die gerade ebenfalls zur Tür hereinkam.
»Ja hallo, so viele Leute! Und ich dachte, wir sind heute mit der kleinen Mannschaft am Fels?«, lachte sie in die Runde. Sie begrüßte Maries Vater, Kerstin und die Jungs, die noch am Frühstückstisch saßen.
»Nele wird gerade abgeholt und bleibt über Nacht bei ihrer Freundin. Wir bleiben bei der kleinen Mannschaft«, erwiderte Kerstin. »Wie war die Fahrt? Noch einen Kaffee, bevor wir uns auch auf den Weg machen?«
Judith strahlte: »Du weiß genau, wie du mich glücklich machen kannst!«
Kerstin ging in die Küche, um eine zweite Tasse zu holen. Sie hörte gerade noch, wie ihre Tochter den Cousin mit einem »Hallo-Luis-und-tschüss« begrüßte.
»Ciao, Nele, viel Erfolg und vor allem: viel Spaß!« rief Kerstin, aber sie war nicht sicher, ob Nele es noch gehört hatte – so schnell, wie sie im Auto bei der Freundin saß. »Mach’s gut, Karsten, bis morgen dann. Oder willst du auch noch einen Kaffee?«
Karsten wehrte ab: »Nein, danke, die Mädels wollen los, die sollte ich nicht warten lassen. Und am Sportplatz gibt es immer genug. Viel Spaß beim Klettern. Wo geht es für euch hin?«
Judith und Kerstin sahen sich an. »Spies?«
»Ja, da in der Hohen Reute habe ich noch ein Projekt offen. Das wird heute hoffentlich geknackt!«, sagte Judith.
»Na dann, euch auch viel Erfolg! Bis morgen«, verabschiedete Karsten sich.
Judith nahm dankbar den Kaffee entgegen, trank einen Schluck und fragte: »Wollen wir dann auch gleich los? Von der Fahrt ausruhen kann ich mich bei dir im Auto oder am Fels, wenn du erst einmal die Jungs sicherst. Gepackt habt ihr schon?«
Kerstin nickte: »Klettersachen, Proviant, alles schon im Bulli. Ich muss nur noch meine Kamera einpacken. Da oben kann man immer tolle Bilder machen. Vielleicht ergibt sich ja ein schönes Motiv von den Kindern – oder von dir, wenn du an der Schlüsselstelle scheiterst und den Abflug machst.«
»Hey, das ist gemein. Außerdem kannst du mich dann zum Glück gar nicht fotografieren, weil du nämlich sichern musst!«, lachte Judith. »Willst du wieder ein Bild bei irgendeinem Hobbyfotografen-Wettbewerb einreichen?«
»Ja, warum nicht? Da gibt es gerade einen Wettbewerb von einem der lokalen Sportartikelhersteller. Es gibt verschiedene Ausrüstungsgutscheine zu gewinnen. So etwas kann ich immer gebrauchen.«
Kerstin fotografierte gerne und nahm seit einigen Jahren regelmäßig an verschiedenen Fotowettbewerben teil. Zweimal hatte eines ihrer Bilder schon den dritten oder vierten Platz belegt – einmal bei dem Wettbewerb eines Herstellers für Sport- und Outdoor-Bekleidung, ein andermal bei einer Zeitschrift für Fotografie. Wenn es sich ergab, dass eines ihrer Fotos thematisch passte und sie das Gefühl hatte, dass es gelungen war, warum sollte sie es dann nicht einreichen?
Als sie am Fels ankamen, spannten sie sich zunächst wie immer eine Hängematte zwischen die Bäume. Leon und Luis wollten als erste hineinspringen, aber Jonas kam ihnen zuvor, legte sich quer in die Matte und schloss den Stoff über sich.
»Ey! Mammmaaa!«, riefen Leon und Luis gleichzeitig. »Jonas lässt uns nicht in die Hängematte!«
Jonas grinste, aber nur kurz, dann lag er auch schon auf dem Boden. Sein Bruder und der Cousin hatten gemeinsam die Hängematte herumgedreht, sodass er kopfüber hing und herausfiel. »Ey, ihr Ärsche!«, schimpfte er, während Leon und Luis sich angrinsten und abklatschten.
Die Schwestern sahen sich an, rollten die Augen und schüttelten die Köpfe. Zu den Kindern gewannt zischte Kerstin: »Hört sofort auf, euch zu kabbeln! Und vor allem, hier so herumzuschreien!« Sie konnte es überhaupt nicht leiden, wenn ihre Kinder im Wald so laut wurden und sich gleich streiten mussten.
Jonas rappelte sich schimpfend auf und wollte nun seinerseits die beiden Störenfriede auf den Boden drehen. Die zwei waren schnell in die Hängematte gekrabbelt und streckten ihm nun die Zungen heraus.
Judith ging dazwischen: »Komm, Jonas, lass die beiden, du darfst die erste Route einhängen, wenn du willst.«
Das ließ Jonas sich nicht zweimal sagen. Er kletterte beinahe so lange wie er laufen konnte. »Wo? Da?«, fragte er.
Kerstin nickte: »Die ist doch genau richtig zum Warmwerden.«
Also schlüpften Jonas, Kerstin und Judith in ihre Klettergurte. Jonas zog seine Kletterschuhe an, sammelte sein Material zusammen und band das Ende des Kletterseils an seinem Gurt fest. Kerstin sicherte ihn.
»Fertig?«, fragte sie. »Dann mal los.«
Jonas kletterte in einem Affenzahn die Wand hoch. Nacheinander kletterten die drei eine Route nach der anderen, bis Judith sagte: »Ich bin warm. Einen Schluck Wasser und dann mache ich mich an mein Projekt.«
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