»Danke«, entgegnete ich lediglich und nippte ebenfalls an meiner heißen Schokolade. Als ich mich umdrehte, um meinen Becher in den Getränkehalter zu stellen, sah ich gerade noch, wie Logans Mercedes davonfuhr.
Eine Sehnsucht packte mich. Seltsam, wie schnell man sich doch an einen Mensch gewöhnte und wie sehr dieser einem dann fehlte, wenn man ihn verlor.
Mias Gähnen holte mich aus meinen Gedanken zurück ins Hier und Jetzt. Ein Blick auf die Uhr bestätigte meine Vermutung, es war schon recht spät. Die Zeit verging wie im Flug. Seufzend startete ich den Motor.
Zuhause angekommen kuschelten Mia und ich uns gemeinsam aufs Sofa. Wir schauten noch etwas TV, während wir unsere heiße Schokolade austranken und schließlich einschliefen. Dad weckte uns, indem er das Licht im Wohnzimmer einschaltete. Ich blinzelte ein paar Mal gegen die grelle Helligkeit an und rieb mir verschlafen über die Augen. Der Fernseher lief noch.
»Hallo meine beiden Prinzessinnen«, flüsterte Dad. Er lehnte im Türrahmen und beobachtete uns mit einem liebevollen Lächeln im Gesicht. Seine braunen Augen lagen in tiefen Furchen und wirkten wie immer müde und erschöpft. Man sah ihm an, dass die Arbeit ihm zu schaffen machte. Ich meinte auch zu erkennen, dass er an Gewicht verloren hatte.
»Hey«, murmelte ich zurück. Sofort legte Dad seinen Finger vor die Lippen und deutete mit einem Nicken auf Mia. Mein Blick wanderte zu ihr und erst jetzt erkannte ich, dass sie nach wie vor tief und fest im Land der Träume schlummerte. Dad kam leise näher.
»Geh nach oben und leg dich schlafen. Ich bringe unsere kleine Motte ins Bett«, wisperte Dad und nahm Mia vorsichtig auf den Arm. Sofort kuschelte sie sich an seine Brust und gab verschlafene Laute von sich. Dad mit Mia auf dem Arm zu sehen, erwärmte augenblicklich mein Herz. Es war ein Bild, das ich mir für immer im Gedächtnis behalten wollte.
Dad zwinkerte mir zu und flüsterte ein lautloses Gute Nacht, ehe er mit Mia durch die Tür verschwunden war. Ich warf die Wolldecke beiseite und griff nach meinem Handy, um nach der Uhrzeit zu schauen. Als ich auf den Bildschirm blickte, zeigte mir mein Telefon eine neue Nachricht an. Doch nicht nur irgendeine Nachricht.
Sie war von Logan.
Sofort begann mein Herz im Brustkorb zu hämmern und meine Hände begannen zu schwitzen.
In Lichtgeschwindigkeit entsicherte ich die Tastensperre und öffnete die SMS.
Drea,
es tut mir unfassbar leid.
Ich wollte dich niemals verletzen.
Du hast jemand Besseren verdient,
jemand der dich aufrichtig liebt und
der dich so behandelt, wie du es
auch verdient hast. Ich hoffe
du verzeihst mir irgendwann.
Logan
Wieder liefen mir stumme Tränen über die Wangen. Logan empfand nicht auf dieselbe Weise, wie ich. Mia hatte Unrecht.
Es war Donnerstagmorgen und schulfrei. Gelangweilt saß ich an unserem Küchentresen und beobachtete Timmy und Poppy, während sie wie die Verrückten Kürbisse aushöhlten. Poppy hatte wieder einmal eine ihrer glorreichen Wetten ins Leben gerufen - wer zuerst den Kürbis bearbeitet hatte, bekam zehn Dollar. Und wie jedes Jahr trafen wir drei uns zu Thanksgiving, um für unsere Familien Kürbiskuchen zuzubereiten. Es war beinahe schon eine Tradition. Eine Tradition, der nun auch Ruby beiwohnte.
»Ich bin mir nicht sicher, ob man mit den Kürbissen nachher noch etwas anfangen kann«, sprach Ruby den Gedanken aus, der mir ebenfalls durch den Kopf geisterte. Ich warf ihr einen zustimmenden Blick zu. Ruby und ich hatten uns vor zwei Monaten auf Timmys Geburtstag kennengelernt. Sie lebte noch nicht sehr lange in Seattle und besuchte auch erst seit kurzem die Garfield High. Timmy hatte sie gleich unter seine Fittiche genommen und so war sie in unserem Freundeskreis gelandet.
Wie immer trug Ruby ihre langen blonden Haare zu zwei französischen Zöpfen geflochten. Ich schätzte, das war wohl ihr Markenzeichen. Sie sah unter ihren falschen Wimpern auf und ihre grünen Augen, blitzten amüsiert, als sie Poppys Blick auffing.
»Das habe ich gehört Ruby. Pass auf was du sagst, sonst kannst du dich von deinen schönen blonden Zöpfen verabschieden«, knurrte Poppy unter Anstrengung und warf immer wieder gehetzte Blicke auf Timmys Kürbis, um zu sehen wie weit er bereits war.
»Das klingt interessant«, Timmy grinste. »Aber wenn ihr euch schon prügelt, dann bitte im Bikini.«
Poppy verdrehte die Augen.
»Wir wissen alle, dass du eher auf alte Männer in knappen Badehöschen stehst. Du brauchst uns nichts vorzumachen.«
»Hör auf zu quatschen und konzentrier dich auf deinen Kürbis, Whitehill. Du liegst weit zurück«, keine Minute später warf Timmy auch schon siegessicher die Hände in die Luft.
»Erster.«
Poppy ließ von ihrem Tun ab und warf einen kritischen Blick auf Timmys Kürbis. Beleidigt donnerte sie ihren Schaber auf den Tisch.
»Das ist total unfair! Du hast die größeren Hände und mehr Kraft als ich.«
»Ich bin eben ein echter Mann«, entgegnete Timmy grinsend und zeigte Poppy seinen angespannten Bizeps. Poppy ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken und hob lediglich eine Braue.
»Timmy, du bist alles, aber ein Mann bist du nicht.«
Ruby begann laut zu lachen und Timmys Gesicht verfinsterte sich.
»Na warte, das bekommst du zurück«, er machte einen Hechtsprung auf Poppy zu. Sie erkannte sein Vorhaben und ergriff die Flucht.
»Du bist viel zu langsam, Timothy Moreau.«
Im nächsten Moment war Poppy schon durch die Tür verschwunden und sprintete durchs Haus. Timmy folgte ihr dicht auf den Fersen.
Kopfschüttelnd über die beiden ging ich um den Tresen herum und begann Poppys angefangenen Kürbis fertig auszuhöhlen. Ruby kam mir zur Hilfe.
»Also«, begann Ruby zu sprechen. »Wie lange ist Timmy schon in Poppy verliebt?«
Ich hielt mitten in der Bewegung inne.
»Was? Wie kommst du denn darauf?«, entgeistert sah ich von dem Kürbis auf und direkt in Rubys scharfsinnige Augen. Woher wusste sie von Timmys Gefühlen? Ich war mir unschlüssig, was ich Ruby antworten sollte.
»Ach komm schon«, sie hob eine Braue und fegte sich einen Krümel von ihrer Latzhose. »Das sieht doch jeder Blinde oder willst du mir etwa weismachen, du wüsstest es nicht?«
Seufzend gab ich nach.
»Doch, aber auch erst seit ein paar Wochen.«
»Wie? Du bist schon Ewigkeiten mit den beiden befreundet und hast es nicht gemerkt?«, erstaunt sah Ruby mich an. Ich verzog das Gesicht und zuckte mit den Schultern.
»Ich dachte erst Timmy wäre schwul«, kopfschüttelnd hob ich die Brauen. Ruby neben mir brach in schallendes Gelächter aus.
»Okay, offenbar hast du kein gutes Händchen in Liebesdingen«, immer noch lachend machte sie sich wieder an die Arbeit. Oh, wenn Ruby nur wüsste, wie schlecht mein Händchen in Liebesdingen wirklich war. Seufzend widmete ich mich wieder dem Kürbis. Eine Sekunde später bemerkte ich, dass Poppy zurück in die Küche kam.
»Na, hast du Timmy gezeigt wo der Hammer hängt oder…?«, ich verstummte, als ich aufblickte und Poppys aschfahles Gesicht bemerkte.
»Poppy? Ist alles in Ordnung bei dir?«, fragte ich besorgt und legte den Kürbisschaber beiseite. Poppy wirkte, als hätte sie einen Geist gesehen. Ihre braunen Augen waren vor Schrecken weit geöffnet und sahen ins Leere.
»Poppy?«, auch Ruby startete einen Versuch. Langsam hob Poppy den Kopf und sah uns endlich an.
»Ich ähm … Mir ist eingefallen, dass ich noch etwas Wichtiges zu erledigen habe. Ich muss los«, mit diesen Worten schnappte sie sich ihre Autoschlüssel, die auf der Theke lagen und war im Begriff zu gehen. Ruby und ich warfen uns einen zweifelnden Blick zu. Dann setzte ich mich auch schon in Bewegung und folgte Poppy aus der Küche.
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