Ein wirklich schöner Anblick.
Dicke Schneeflocken rieselten herab und verfingen sich in meinem Haar und meinen Wimpern. Ich blinzelte ein paar Mal, bis sich meine Sicht wieder klärte.
Im nächsten Augenblick hörte ich, wie sich die Eingangstür zu dem Café öffnete und ich vernahm zwei lachende Stimmen. Zwei mir durchaus bekannte Stimmen.
Ich löste meinen Blick vom Himmel und sah in ein paar eisblaue Augen.
Vor mir stand niemand Geringeres, als Logan Black und seine Schwester Joanna Black. Mein Herzschlag setzte für ein paar Sekunden aus.
Und dann geschah es. Unaufhaltsam. Ich konnte nichts dagegen tun. Ich blickte Logan Black nach zwei Monaten Herzschmerz zum ersten Mal wieder ins Gesicht. Auch Logan entdeckte mich, ging noch zwei weitere Schritte und blieb dann wie angewurzelt stehen. Er erwiderte meinen Blick.
Zum ersten Mal seit Wochen schauten wir uns in die Augen.
Es schien als würde die Zeit stillstehen. Ich nahm nichts anderes mehr wahr, als ihn. Weder seine Schwester, noch Mia, noch die Weihnachtsmusik, die entfernt an meine Ohren drang.
Ich sah nur Logan.
Die blinkenden Lichterketten des Schaufensters beleuchteten seine makellose Haut und färbten sein goldenes, zerzaustes Haar, das ihm in alle Richtungen stand, in ein buntes Meer aus blau, rot und grün.
Schneeflocken verfingen sich in seinen Strähnen.
Er trug einen grauen Rollkragenpullover und schwarze Jeans. Das Ganze wurde abgerundet durch einen dunklen Mantel, der sich lässig um seinen Körper schmiegte. Doch seine gesamte Körperhaltung schien angespannt und auf seinem Gesicht lag ein undurchdringlicher Ausdruck.
Die glühenden eisblauen Augen hatte er zusammengekniffen und seine Lippen waren leicht geöffnet.
Doch so attraktiv Logan Black auch war, er sah alles andere als gut aus. Unter seinen Augen, die ich so sehr mochte, zeichneten sich tiefe, dunkle Ringe ab, die Wangen wirkten eingefallen.
Auf seinem Kinn und den perfekt geschwungenen Wangen lag der dunkle Schatten eines Bartes, der schon weit über seinen gewöhnlichen Drei-Tage-Bart hinausgewachsen waren. Er musste sich schon länger nicht mehr rasiert haben.
Man sah Logan sofort an, dass es ihm zurzeit nicht besonders gut ging. Doch woran lag das? An seiner Vergangenheit? War in den zwei Monaten, seit denen wir nicht mehr miteinander sprachen, etwas vorgefallen? Oder lag es womöglich an mir? An unserem Streit? Vermisste er mich vielleicht?
Meine Gedanken überschlugen sich wieder einmal und sofort versuchte ich, sie zu bremsen. Erinnerungen an unseren Streit vor zwei Monaten in seinem Klassenzimmer kamen in mir hoch.
»Drea, du bist erst achtzehn«, er schnaubte verächtlich. »Du weißt doch noch gar nicht, was Liebe ist.«
»Was willst du damit sagen?« Ich kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und sah ihn mit einem argwöhnischen Blick an.
»Der Tod deiner Mutter und diese Sache mit deinem Cousin. Du hast eine Menge durchmachen müssen. Nur weil ich nett zu dir war, denkst du jetzt, dass du in mich verliebt bist…«
Logan hatte unmissverständlich klar gemacht, dass er mich nicht wollte, dass zwischen uns nicht mehr sein durfte, als bei einem üblichen Lehrer-Schüler-Verhältnis. Er hatte mich mit seinen Worten zutiefst verletzt. Wahre Liebe überstand alles, so schwer die Steine auch sein mochten, die sich ihr in den Weg legten. Logans und meine Situation zeigte mir daher lediglich, dass ich ihm nicht genügend bedeutete. Es war ihm nicht wichtig genug gewesen, um das was zwischen uns war zu kämpfen.
Obwohl ich es schon die ganze Zeit gewusst hatte, schmerzte diese Erkenntnis in diesem Moment zutiefst. Es schmerzte, ihm gegenüberstehen und ihm nun in die Augen schauen zu müssen.
Erinnerungen drangen an die Oberfläche. Bilder von Logan und mir. Bilder von Logan, wie er lächelte und seine Grübchen dabei zum Vorschein kamen. Bilder, wie wir gemeinsam in seiner Wohnung saßen und Pizza aßen. Bilder an unseren ersten Kuss auf seinem Balkon, in unserem Rücken die Skyline von Seattle.
All diese Erinnerungen rasten in Sekundenschnelle durch meinen Kopf. Es war zu viel auf einmal und ich hatte das Gefühl, als würde ich die Kontrolle über meinen Körper und über meine Gedanken vollkommen verlieren. Mein Herz begann wie verrückt zu pochen und mein Puls schoss in die Höhe. Ich spürte wie meine Hände sich verkrampften, die Finger zu zittern begannen.
»Hallo Drea!«, hörte ich Joanna sagen. Nur mit Mühe konnte ich meinen Blick von Logan losreißen und ihn auf seine Schwester richten. Sie kam näher und riss mich in eine herzliche Umarmung.
Als sie sich von mir löste, fiel ihr Blick schließlich auf Mia, die sich etwas näher an mich gedrückt hatte und die beiden aus schüchternen Augen musterte.
In diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich ihre Hand, die noch immer mit meiner verschlungen war, wohl fast zerdrückte. Sofort beschlich mich ein schlechtes Gewissen und ich lockerte meinen verkrampften Griff um ihre zarten Finger.
»Ist das deine Schwester?«, fragte Joanna und schenkte Mia ein strahlendes Lächeln. Zur Antwort nickte Mia und ergriff die ihr von Joanna dargebotene Hand.
»Hallo Kleine, ich bin Joanna, das ist mein Bruder Logan«, sie deutete auf ihren Bruder.
»Und wer bist du?«
»Mia«, erwiderte sie scheu. Ihr Blick wanderte zu Logan und ihre Wangen begannen sich leicht rosa zu färben. Wow, Logan schien wohl nicht nur auf mich eine gewisse Wirkung zu haben. Diese Schwäche für ihn lag wohl in der Familie. Meine Augen wanderten wieder zu ihm.
Er schenkte Mia ebenfalls ein Lächeln. Doch es war keins, das seine Augen erreichte. Er wirkte traurig. Traurig und gebrochen, als wüsste er nicht mehr richtig wie man lächelte. Sein Blick richtete sich wieder auf mich. Ein verzweifelter Ausdruck lag dieses Mal in seinen Augen und ich wurde das Gefühl nicht los, das er etwas sagen wollte. Aber es kam kein Ton über seine Lippen.
Sekunden vergingen, in denen wir uns einfach nur anstarrten. Je länger ich jedoch in seine vertrauten blauen Augen blickte, desto tiefer riss die Wunde in meinem Innern auf, die ich seit Wochen mit Mühe und Not zu verschließen versuchte.
Im Augenwinkel erkannte ich, dass Joannas Blick unsicher zwischen Logan und mir hin und her wanderte.
Mein Herz begann zu schmerzen. Es tat weh, ihn zu sehen. Es tat sogar so weh, dass ich es kaum noch aushielt. Unwillkürlich wurde mein Kopf nur noch von einem einzigen Gedanken beherrscht.
Ich musste hier weg.
Ich räusperte mich und schluckte den Kloß in meinem Hals herunter. Dann endlich schaffte ich es und riss meinen Blick von Logan los. Ich zwang mich dazu, Joanna noch ein letztes freundliches Lächeln zu schenken, ehe ich die erlösenden Worte aussprach.
»Wir müssen weiter, schönen Abend euch noch«, mit diesen Worten und ohne einen weiteren Blick schlängelte ich mich mit Mia an der Hand an Joanna und Logan vorbei, bis hin zum Eingang des Cafés.
Mit einem lauten Quietschen öffnete ich die Tür und trat ein. Sofort schlug mir der aromatische Duft von Kaffee, Zimt und Gebäck in die Nase. Der Boden war übersät von matschigen Schuhabdrücken, welche die Leute von draußen mit hereintrugen.
Im Vergleich zu der eisigen Kälte draußen, war es hier im Café mollig warm. Trotz dieser Tatsache fröstelte ich noch immer. Innerlich.
Mein Herz klopfte nach wie vor in einem beunruhigenden Tempo in meiner Brust und meine Knie fühlten sich so weich wie Butter an. Warum meine Beine unter mir nicht einfach nachgaben, war mir ein Rätsel. Die Begegnung mit Logan wühlte mich völlig auf. Ich war total durcheinander. Alles drehte sich.
Ich nahm einen tiefen Atemzug, um mich zu sammeln. Ich durfte jetzt nicht schwach werden und mich gehen lassen, immerhin war ich hier mit meiner kleinen Schwester! Ich musste stark bleiben und weitermachen. Für sie. Also setzte ich ein Lächeln auf und marschierte mit Mia zur Theke. Da es bereits relativ spät war, war die Auswahl an Süßspeisen in der Glasvitrine recht spärlich. Allerdings war mir aufgrund des Aufeinandertreffens mit Logan ohnehin der Appetit vergangen.
Читать дальше