Und wenn ich meine Arbeit gut mache, bekomme ich einen Fisch. Wenn ich einen Salto schlage und die Wasserwelle die Menschen trifft, dann werde ich wieder mit Fisch belohnt. Danach wollen fremde Leute auch mit mir schmusen und ich muss ständig gute Miene zum für mich blöden Spiel machen. Schmusen Sie auch manchmal mit wildfremden Menschen?«, fragte Sam den Anwalt.
»Nein, wie käme ich dazu?«, fragte der Anwalt Sam.
»Ach? Aber ich muss das tun. Ich werde als Delfin vorgestellt, der alle lieb hat. Ob ich will oder nicht «
»Wie sieht Ihr Heim aus?«
»Es ist dieses Becken hier, was Sie sehen «
»Dieses Betonbecken hier?«
»Ja!«
»Sind Sie alleine?«
»Heute schon, weil meine Kollegin ein Kind bekommt und Ruhe benötigt. Sie war irgendwo auf Reisen und wurde befruchtet «
»Sind Sie auch Vater?«, fragte der Anwalt.
»Das weiß ich leider nicht. Ich kenne nur die Kollegen hier und die wechseln ständig «
»Warum?«
»Sie stellen Fragen! Weil einige krank wurden. Sind dann über Nacht einfach verschwunden und werden hurtig durch neue ersetzt«, flüsterte Sam leise.
»Wie alt sind Sie?«
»Das weiß ich nicht «
»Sind Sie hier geboren?«
»Nein, ich bin gefangen worden «
»Wo haben Sie vorher gelebt?«
»In einem großen Schwarm mit meiner Familie. Wir wurden irgendwann in eine Bucht getrieben. Ich verlor dabei meine Eltern. Ob sie noch leben, kann ich nicht sagen «
»Wie lange ist das her?«
»Keine Ahnung «
»Warum gefällt Ihnen die Arbeit hier nicht?«
»Weil ich Nonstop arbeiten muss. Die einzige Ruhephase, die ich habe, ist in der Nacht, wenn nicht auch am Abend noch Shows stattfinden. Manchmal mit lauter Musik und johlenden Menschen «
»Was glauben Sie, was diese Menschen hier von Ihnen wollen, Sam?«
»Na, sie lachen und klatschen, wenn wir aus dem Wasser springen «
»Was ist daran so schlimm? Jeder hätte gerne einen guten Job «
»Wollen Sie meinen Job mal übernehmen? Wollen Sie mal hier einige Zeit wohnen?«
»Wie groß war Ihre Wohnung vorher?«
»Unendlich!«
»Spielen Sie in Ihrer Freizeit?«
»Spielen? Wie kommen Sie auf den Gedanken? Für mich ist das Springen und Lächeln auf Kommando nur Arbeit und für Freizeit nach meinem Geschmack bleibt keine Zeit mehr. Ich bin abends nach den Shows völlig geschafft. Man sagt mir immer, dass ich nicht an der Show teilnehmen muss, aber was glauben Sie, was los ist, wenn wir uns weigern?«
»Was denn?«
»Schiebetür auf und raus geht´s. Manchmal schlagen sie ohrenbetäubend auf Stahl. Das ist nicht zum Aushalten, da flüchtet man freiwillig in die Show«
»Aber Sie erfreuen doch Familien und deren Kinder?«
»Kinder? Sie wissen es nicht besser. Ihre Eltern erzählen Ihnen, dass wir ein Dauerabo aufs Grinsen haben. Ihre Kinder sehen uns nur springen und lieb lächelnd und manchmal dürfen sie auch an den Beckenrand kommen und einige von ihnen schlagen mir dann auf die Schnauze. Sie meinen das nicht böse, aber wie Sie wissen, haben Kleinkinder oft kein Feingefühl. Und lassen Sie sich doch mal betatschen. Schlimmer noch sind diese keifenden Weibchen, die schreiend ein Bild von mir und sich selbst machen lassen wollen «
»Das sind schon heftige Anschuldigungen! Was kann ich nun für Sie tun, Sam?«
»Würden Sie dasselbe von einem Menschen hören, würden Sie dies Sklaverei und Misshandlung nennen?«
»Eigentlich schon!«
»Gegen den Willen gefangen, obwohl keine Straftat vorliegt? Unser Trainer erzählt den Besuchern mittels Filmen, wie man uns versucht, zu schützen. Wenn wir nicht geschützt würden, kämen wir alle in der großen Ölpest um. Was ist eigentlich da draußen im Ozean los? Alles kaputt und verseucht?«
»Wie kommen Sie darauf?«
«Weil hier alle davon reden. Ich kann ja von Glück sagen, das man mich aus der Gefahr gerettet hat, aber ich will umziehen. Ich halte es hier nicht mehr aus. Hier und da muss ich mit meinen Kollegen auf den Beckenrand springen und eine Zeit da liegen bleiben und mein Gewicht erdrückt mich fast. Dann flackert das Licht wie wild und es tut in den Augen weh. Diese kreischenden Laute sind unerträglich «
»Was haben Sie da vorne an der Schnauze und an der Seite?«
»Meine Mutter hat früher die Region mit ihrem Sonar angepeilt und das habe ich übernommen. So konnte ich erkennen, wo ein Hindernis war. Leider ist das hier ausgefallen und ich bin oft sehr verwirrt. Ich bin anfangs gegen die Beckenwände geschlagen oder hab´ die Abstände zum Beckenrand verpeilt. Hier und da holen sie mich aus dem Wasser und dann liege ich lange in einer Tasche. Sie nennen dann laut Zahlen, das schlimmste aber war, als man mir einen Stab in den Bauch schob. Irgendwas machen die hier und dann schreiben sie was auf «
»Wie steht es um Ihre Gesundheit?«
»Tja, abgesehen von meinem kaputten Sonar, bin ich eigentlich nur noch müde und ich hab´ keine Lust mehr, hier im Kreis zu schwimmen. Ich fühle mich so einsam. Ich kann keine Freundschaften schließen, weil immer neue Kollegen kommen. Hören Sie … kommen Sie mal näher ran, das muss von denen keiner mitkriegen!«
»Ja, was denn Nr. 17?«
»Sam bitte! Ich habe in den letzten Jahren gesehen, wie Kollegen in der Nacht zur Seite kippten. Dann kamen am Morgen Leute und haben die Toten oder noch zappelnden Kollegen weggebracht. Damit das nicht auffällt und der schreibende Mensch da am Beckenrand nichts in seinen Protokollen vermerkt, wird die Show schnell geändert. Einige Zeit später tut man so, als wären alle noch da. Aber ich weiß es besser«
»Ich bekomme hier und da schon mal ein paar Kapseln. Mir ging es auch mal nicht so gut. Es gibt hier nur eine Möglichkeit. Entweder du machst mit oder du gibst auf. Mit mir macht man Werbung. Ich höre das immer wieder. Ich soll ein Vorbild sein, das Vorzeigeschild für gute Haltung. Was auch immer das bedeutet. Sollen die Leute sich doch mal fangen lassen und auf ewig in dieser Badewanne abhängen. Die können nach Hause gehen, in ihre artgerechte Haltung oder wie Sie das nennen. Ich muss hier bleiben. Aber Herr Anwalt, ich habe gehört, dass es da draußen gute Leute gibt. Leute, die mir helfen wollen. Deshalb habe ich Sie gebeten, sich meine Lage mal anzuschauen. Welche Rechte habe ich?«
»Rechte? Tja, wie soll ich Ihnen das erklären, Sam? Es gibt einen Tierschutz. Aber es gibt Unterschiede. Neulich sprach ich mit einem Hund aus einer Familie. Der bat mich um ein Gespräch. Schon an der Haustüre hörte ich ein Jaulen. Als die Tür aufging, stand eine qualmende, keifende Frau vor mir, die mir und den Leuten vom Tierschutz den Weg erst versperren wollte. Wir durften aber rein und die - ich glaube es waren drei - Hunde retten. Die Frau hatte ihre Hunde auf engstem Raum gehalten und diese wirklich gequält. Nannte sich Züchterin. Also bei so einem Fall ist das eine ganz klare Sache. Aber bei Ihnen? Wer ist denn hier für solche Dinge zuständig?«
»Hier brauchen Sie keinen zu fragen. Das sage ich Ihnen! Nach denen geht es mir gut und ich bin kerngesund. Solange ich springe und Salto schlage, zeige ich mich von der besten Seite und ein kranker Delfin springt nicht mit Freude. Wenn die Leute wüssten, wie ich wirklich denke. Wir zählen oft an den Bällen, wie lange es noch dauert. Manche Leute werfen auch kleine runde Metallsachen hier ins Becken. Ein Kollege hatte dann welche verschluckt, weil wir immer etwas hungrig sind. Der hat vielleicht gerasselt, als man ihn hier raus holte«
»Die Leute werfen Geld ins Becken?«
»Was weiß ich, was das ist, aber es ist nicht gut für uns. Die nennen das Magie oder Aberglaube. Ich nenne das Idiotie. Übrigens bin ich sehr gebildet, ich kenne mich im Wortschatz der Menschen sehr gut aus. Können Sie mir nun helfen?«
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