Das war so erstaunlich mit Stephen. Selbst wenn er mit einer Sache beschäftigt war, schnappte er jeden Hinweis auf, über den sie reden mochte. Sie hätte es besser wissen müssen. Jetzt musste sie beichten.
„Meditationen sind nicht das Einzige, über das ich Bescheid weiß.“
Kayla zögerte, doch Stephen blickte sie weiter an und schien offen für alles. Er sah neugierig aus. Sie befürchtete, er könnte zu neugierig sein. Dann würde er die anderen Dinge ebenfalls lernen wollen.
„Nun, ich benutze auch Wicca-Techniken“, meinte sie langsam.
„Du meinst Hexenkünste, nicht wahr?“, fragte Stephen.
„Genau das meine ich.“ Kayla beobachtete sein Gesicht, während sie dies sagte. Sie war darauf vorbereitet, dass sich sein Gesicht verschließen könnte und er aus der Tür rennen mochte, so schnell er nur konnte.
„Cool! Kann ich das auch lernen?“, war seine überraschende Antwort. Kayla wusste nicht, ob sie erleichtert sein sollte. Jetzt wollte er das auch noch lernen. Sie hätte es wissen müssen.
Jedenfalls, wenn sie diese Techniken bei ihm anwandte, musste er darüber Bescheid wissen. Sie konnte es nicht geheim halten. Es war gegen die Regeln.
„Eins nach dem anderen. Wir haben gerade erst mit Rückerinnerungen angefangen. Und es gibt einiges, worüber wir reden müssen. Es ist wichtig.“
„Also gut, erzähl es mir. Ich höre zu.“
Zuerst sagte ihm Kayla, dass nur sehr wenige Menschen eine so klare Sicht in ihre vergangenen Leben hatten. Doch das beinhaltete ebenfalls die Gefahr, in der Vision eingefangen zu werden. Sie sprach von den Schwierigkeiten, die sie gehabt hatte, um ihn zurückzubringen. Dass sie ihre Wicca-Fähigkeiten benutzen musste, um ihn auf den Weg zu bringen. Und sie hatte diese Fähigkeiten anwenden müssen, ohne zuvor seine Erlaubnis erhalten zu haben.
Stephen versicherte ihr, dass er ihr völlig vertraute. Sie konnte tun, was immer notwendig war, wenn er nur weitere Erfahrungen wie die heute machen konnte.
„Was immer notwendig ist, sagst du? Sei vorsichtig mit deinen Versprechungen. Stephen. Ich möchte nämlich eine Erlaubnis von dir.“
„Was ist es? Wenn es hilft, werde ich es tun.“ Stephens Antwort kam schnell. Er wollte nur dorthin zurück.
„Also gut, ich möchte deine Erlaubnis, mit Liz darüber sprechen zu dürfen. Ich muss für nächstes Mal einige Vorsichtsmaßnahmen treffen. Die Visionen sind sehr stark. Und übrigens, die Namen, die du gehört hast, sind echt, glaub mir. Also, was sagst du?“
Stephen dachte für einen Moment nach. „Wenn es die einzige Möglichkeit ist wie es funktionieren kann, bin ich damit einverstanden. Sie scheint freundlich zu sein. Ist sie wie du?“
„Du meinst, eine Hexe? Natürlich ist sie das. So haben wir uns getroffen. Wir haben die Techniken gemeinsam gelernt. Wir sind wie Schwestern.“
„Muss sie dabei sein, wenn wir die nächste Sitzung haben?“, wollte er wissen.
„Es wäre besser. Sie könnte helfen, dich zu beschützen“, war Kaylas Antwort.
„Dann habe ich einen Wunsch. Bevor ich ihr so vertraue, wie ich dir vertraue, würde ich sie gerne besser kennen lernen. Könnten wir uns einfach zusammensetzen und vielleicht Tee trinken?“
Kayla schlug vor: „Ich könnte sie jetzt anrufen. Ich weiß, dass sie heute nichts Besonderes vorhat. Sie wird erfreut sein. Und wenn du jetzt mit ihr redest, hast du sieben Tage Zeit, dir zu überlegen, ob sie beim nächsten Mal dabei sein kann. Wenn du dich unbehaglich fühlst, kannst du immer noch absagen.“
Stephen war einverstanden und Kayla rief Liz an. Sie stellte dabei den Lautsprecher an, sodass Stephen mithören konnte. Kayla gab Liz nur einige Hinweise am Telefon. Liz war wirklich erfreut, wie es Kayla vorausgesagt hatte und sie versprach, sofort zu kommen.
„Bevor Liz hereinkommt, gibt es etwas anderes, über das wir sprechen müssen. Ich hab dir zuvor gesagt, diese Visionen sind nur sinnvoll, wenn du herausfindest, was sie für dein jetziges Leben bedeuten. Also, gibt es irgendetwas, das du nach der heutigen Vision gelernt hast?“
Es war ein Mittel, jemand stärker mit dem gegenwärtigen Leben zu verbinden, wenn er diese Sichtweise aufrecht erhalten konnte. Es war wichtig zu wissen, dass die Visionen Vergangenheit waren
„Es könnte erklären, warum ich immer Schauspieler werden wollte. Ich übernehme gern verschiedene Rollen und ich tauche gern in unterschiedliche Zeiten und Orte ein. Glaubst du, das ist es?“
„Klingt, als ob du deine Lektion gelernt hast. Also können wir weiter machen.“
In der Zwischenzeit hatte Kayla frischen Tee zubereitet und die Kekse auf den Tisch gestellt. Sie erzählte Stephen, dass es nach einer Reise wie dieser notwendig war, zu essen und zu trinken, weil es ihn die Wirklichkeit fühlen ließ. Kayla musste sicher gehen, dass er sich wieder vollkommen in der Gegenwart befand.
Atun, der Lehrer Shokars, verfolgte die Fortschritte seines Schützlings mit Wohlwollen. Allerdings ließ er ihn dies nicht spüren. Shokar sollte sich nicht zu sicher sein. Atun erwartete von ihm, dass er sich jeden Tag von neuem anstrengte, um sein Bestes zu geben.
Bisher hatte Shokar alle ihm zugewiesenen Aufgaben genau erfüllt. Er war nie selbstzufrieden über seine Fortschritte oder ungeduldig erschienen. Genau so sollte sich ein Schüler verhalten.
Atun dachte an die beiden anderen Anwärter, die bereits erste Schwächen gezeigt hatten. Sollte er als einziger Lehrer das Glück haben, einen vielversprechenden Kandidaten für das Priesteramt anleiten zu dürfen?
Atun hatte aber auch viel Erfahrung mit den Menschen und ihren Schwächen. Man durfte nicht von vornherein glauben, dass alles immer in bester Ordnung bleiben würde. Deshalb musste man mit seinen Lehren langsam vorangehen und immer abwarten, wie der Anwärter die nächste Aufgabe erfüllte. Erst dann konnte man den folgenden Schritt planen.
Shokar hatte sich als vertrauenswürdig erwiesen. Er hatte über keine ihm anvertrauten Inhalte anderen gegenüber geredet. Er war dazu von anderen Priestern auf die Probe gestellt worden. Sie hatten vorgegeben, mit ihm bestimmte geheime Inhalte besprechen zu wollen. Shokars Antwort auf derartige Versuche war immer die Gleiche gewesen: „Verzeiht mir, Ehrwürdiger, es ist mir nicht gestattet, über die Inhalte meiner Ausbildung zu sprechen.“
Jetzt war es Zeit für den nächsten Schritt. Atun bedeutete seinem Schützling, mit ihm zu kommen. Shokar folgte ihm schweigend in den Raum mit den Bücherrollen. Auch das war Teil seiner Ausbildung. Er durfte nicht unbedarft sprechen, sondern sollte warten, bis sein Lehrer das Wort an ihn richtete.
Nur in dringenden Fällen war es ihm gestattet, seinen Lehrer mit einem Handzeichen auf sich aufmerksam zu machen. Dann entschied Atun, ob er ihm erlauben wollte zu sprechen oder nicht. Da Shokar noch nicht herausfinden konnte, was ein dringender Fall war, hatte er bisher auf dieses Zeichen verzichtet.
Shokar blieb nun still neben seinem Lehrer stehen und wartete darauf, dass dieser ihm eine neue Aufgabe zuweisen würde. Auch jetzt ließ er kein Zeichen von Ungeduld erkennen, was Atun zufrieden bemerkte. Er hatte sehen wollen, wie Shokar auf den Anblick der vielen Bücher reagierte. Es war das erste Mal, dass er diesen Raum betreten durfte. Atun konnte es an Shokars leuchtenden Augen sehen, dass er dieses gesammelte Wissen durchaus wahrnahm.
Atun begann darüber zu sprechen, was Shokar als nächstes tun sollte. Durch den unachtsamen Umgang mit einer Öllampe war kürzlich im Raum der Bücher ein Feuer ausgebrochen. Zum Glück konnte es rasch gelöscht werden. Man hatte die Schriftrollen kurzerhand in diesen Raum geworfen, um möglichst viele zu retten. Jetzt waren sie hoffnungslos durcheinander geraten. Sie mussten neu geordnet werden.
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