1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Und da war diese andere Sache. Jemand hatte sich im Schlafzimmer befunden. Alle drei Schranktüren waren offen gestanden. Daher musste sich die Person unter dem Bett versteckt haben, als ich die Wohnung betreten hatte. Wer immer dort gelegen war, hatte einen entscheidenden Vorteil: Er hatte das Appartement verlassen. Zumindest erschien mir das in diesem Augenblick vorteilhaft, denn die Schritte in der Diele verrieten mir, dass der Mann näher kam. Es war plausibel, dass er nun, nachdem aus diesem Raum jemand herausgerannt war, nachschaute, ob sich eine zweite Person versteckt hatte. Unter dem Bett.
Oder im Schrank.
Dass ich mit meiner Vermutung richtig lag, verriet mir ein leises Knarzen. Ich kannte es, da ich es dreimal gehört hatte – als ich hastig die offenen Schranktüren geschlossen hatte. Demnach hatte der Mann soeben hinter der ersten Tür nachgesehen. Wieder knarzte es. Nummer zwei. In einer Sekunde würde er mich entdeckt haben.
Ich atmete tief ein.
Sie werden dich kriegen, Jack. Und dann werden sie dich töten.
Niemand wird mich töten. Warum sollten sie?
Aber das weißt du doch, Jack.
Die Helligkeit blendete, doch konnte ich die Überraschung im Gesicht meines Gegenübers deutlich erkennen. Gefolgt von dem Schmerzensschrei, als meine Faust gegen sein Nasenbein donnerte. Er wankte nach hinten, fiel auf das Bett. Ich stürzte mich auf ihn und erkannte erst jetzt die Waffe in seiner Hand. Mit dem linken Knie fixierte ich die Schusshand, meine Finger krallten sich um den Hals. Blut rann über seine Lippen.
»Was wollt ihr von mir?«, brüllte ich. Trotz der Panik und dem Schmerz in meinem Bein war mir bewusst, dass der Komplize jeden Moment zurückkommen würde. Spätestens dann war meine Situation aussichtslos.
Ich drückte meine Finger gegen die Kehle des Mannes. »Was wollt ihr?«, schrie ich ein weiteres Mal.
Der Mann starrte in mein Gesicht. Die Lippen zitterten. Ich zog mein verletztes Bein nach und versuchte den zweiten Arm zu fixieren. Offenbar hatte der Gegner meine Achillesferse erkannt. Er zog den Arm zurück, und noch bevor ich ihn fassen konnte, donnerte seine Faust gegen meinen Oberschenkel. Für eine Sekunde raubte mir der Schmerz die Sinne. Vermutlich auch das Bewusstsein, da ich von einem Moment zum anderen in die Mündung der Waffe blickte.
»Wo sind sie?«, zischte der Mann und wischte mit dem Handrücken über seine Oberlippe.
Ich schüttelte den Kopf. Unbewusst. Vermutlich weigerte sich mein Gehirn, diese Situation als real anzuerkennen. Ich lag in meinem Bett, in meiner Wohnung, in der offenbar ein reges Kommen und Gehen herrschte. Eine Pistole war auf meinen Kopf gerichtet. Ein hagerer Mann in schwarzem T-Shirt, mit kurzen dunklen Haaren und Jeans saß auf meinem Bauch und stellte mir eine Frage, von der er offenbar erwartete, dass ich die Antwort kannte.
»Ich habe keine Ahnung, was Sie meinen«, presste ich durch die Lippen.
»Ich werde dir deine Eier in Streifen schneiden, Arschloch, wenn du mir nicht augenblicklich sagst, wo sie sind.«
»Wer?«, brüllte ich und versuchte mich aufzubäumen. Der Mann zuckte kurz zurück. » Wer soll wo sein?«
Die Schusshand begann zu zittern. Das Klingeln des Fahrstuhls hallte durch den Korridor. Der Mann blickte nach hinten. Meine Finger krallten sich um den Lauf der Pistole, drückten die Waffe von meinem Kopf fort. Ich bäumte mich auf, fasste den Arm des Mannes, zog daran, bis er seitlich von mir kippte. Ein Tritt gegen meinen Oberschenkel. Ich schrie. Doch anstatt das Bewusstsein zu verlieren, stieg Zorn in mir hoch. Meine Faust donnerte abermals gegen seine Nase. Er drückte die Waffe in meine Richtung – mit einer Kraft, die ich ihm anhand seiner Statur nicht zugetraut hätte. Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Ich schlug die Waffe nach unten. Ein Schuss. Ich erstarrte. Der Mann ebenfalls. Ich rollte seitlich weg. Blut floss aus seiner Lende. Die Augen weit geöffnet. Der Blick leer.
Ich griff nach der Waffe, sprang aus dem Bett, presste mich gegen die Wand und horchte. Jemand musste in die zehnte Etage gekommen sein. Und dieser jemand hatte den Schuss gehört. Wenn es der Komplize gewesen war, dann war er gewarnt. Er würde nicht in das Appartement stürmen. Er würde warten, bis ich in seine Schusslinie kam. Und falls es ein Nachbar gewesen war, dann war mittlerweile die Polizei alarmiert und es konnte sich nur noch um Minuten handeln, bis sie hier eintraf. So oder so – ich saß in der Falle.
Ich schob mich die Wand entlang und schaute kurz in den Vorraum. Nichts. Sobald ich den Dielenboden betrat, wusste ein potentieller Killer anhand der Geräusche, wo ich mich befand. Ich musste schnell und entschlossen handeln. Meine tobende Wunde, in der jeder Pulsschlag einen stechenden Schmerz auslöste, war mir dabei keine große Hilfe.
Mein Ziel war das Eck zur Eingangstür. Ich hielt die Pistole vor meine Brust und sprang mit zwei Sätzen durch die Diele. Mein Blick fokussierte die Kante. Jede verdächtige Bewegung würde ich mit einem Schuss quittieren. Doch das war nicht nötig. Am Eck angekommen, lugte ich zur Wohnungstür. Geschlossen.
Ein Blick durch den Türspion zeigte mir, dass sich im Vorhaus niemand befand. Ich erkannte links die Lifttür und den Stiegenabgang. Rechts konnte ich nur den Gang erkennen. Schummrig, dunkel – und leer. Blieb nur die Wand, unmittelbar neben meiner Wohnungstür, wo jemand ungesehen stehen könnte.
Ich umfasste den Türknauf und drehte ihn möglichst geräuschlos. Dann riss ich das Türblatt nach innen, blieb jedoch in der Wohnung. Nichts passierte. Ich musste mich nun für eine Seite entscheiden. Links oder rechts von der Eingangstür. War es die richtige, hatte ich einen Vorsprung von ein paar hundertstel Sekunden gegenüber der Reaktionszeit eines Menschen, der auf mich wartete. War es die falsche, war ich tot.
Links oder Rechts.
Leben oder Tod.
Leben.
Links.
Ich hielt die Waffe an den Türstock und beugte mich vor, bereit sofort abzudrücken. An der Wand neben der Wohnung befand sich niemand. Ich erwartete einen Schuss von hinten. Wirbelte herum. Nichts.
Dennoch fühlte ich mich beobachtet und ich achtete auf jedes Geräusch, als ich die Tür hinter mir schloss und in Richtung Fahrstuhl humpelte. Die Waffe richtete ich auf die Treppe, von der ich nur die letzten Stufen einsehen konnte.
Ein mechanisches Seufzen hallte durch das Gebäude. Der Aufzug. Jemand benutzte ihn. Die Anzeige über der Lifttür zeigte die Zahl 3. Dann 4. Ich musste damit rechnen, dass dieser Jemand der Komplize war. Oder die Polizei. Wobei ich bislang keine Sirene gehört hatte, die die Ankunft der Polizei angekündigt hätte.
6, 7, 8.
Ich presste mich an die Wand rechts neben der Lifttür. Falls Polizisten in dem Fahrstuhl standen, war es so gut wie sicher, dass ich auf das Revier gebracht wurde. In meinem Appartement lag eine Leiche. Erschossen mit einer Waffe, die ich in der Hand hielt. Meine Chancen standen schlecht.
9.
Wenn es jedoch der Komplize war, dann bestand meine einzige Chance darin, ihn möglichst schnell zu entwaffnen und zu hoffen, dass er mir Auskünfte geben konnte, was er und sein toter Kollege in meiner Wohnung zu suchen hatten. Und was mit der Frage »Wo sind sie?« gemeint war.
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