Velon ging den schlichten Flur hinüber in sein Zimmer, wo er zwei Becher von dem wohlschmeckenden Wasser in einem Zug leerte, das ein Aroma nach Minze in sich trug. Er sah sich eine Weile in dem kleinen Raum mit der spartanischen Einrichtung um, der ihn in den letzten drei Wochen so vertraut geworden war und dachte daran, dass sich die Zeit hier auf Cela 14 ihrem Ende entgegen neigte. Er berührte eine von La’lyns Blumen in der Wasserschüssel und schlenderte anschließend ein wenig durch die prächtige Grünanlage, die das alte Haus so weitläufig umgab. Die milde Luft war angenehm und der Gesang der Wach’tins hallte durch den Wald.
Im abnehmenden Licht des Tages kehrte Velon zur Villa zurück und sah, dass Co’neta noch immer an das steinerne Geländer der Terrasse gelehnt dastand. Nachdenklich, in abwesender Ruhe, wirkte sie wie eine Statue.
Sie träumt vor sich hin, dachte Velon und nahm den Weg zu der flachen Treppe die Terrasse hinauf, als er etwas Großes auf den Steinstufen liegen sah.
Co’neta starrte unbeweglich auf diesen Punkt.
»Die ganze Zeit über ...«, murmelte Velon.
Halb auf den Stufen, halb auf der Terrasse lag, die Glieder hilflos verrenkt, Celo’ton Rach’tel.
»Er schreit nicht«, sagte die alte Gärtnerin zu Velon. Es waren die ersten Worte, die sie an ihn richtete. »Er weiß, dass es keinen Sinn hat.«
»Was ist passiert, wie lange liegt er schon da?«
Ohne eine Antwort wandte Co’neta sich wieder dem gestürzten alten Mann zu.
Velon lief zu Rach’tel hinüber. Die Lippen zusammengepresst, die Augen fest auf die blühenden Pflanzen in den Holzkübeln gerichtet, reckte er einen dünnen Arm in ihre Richtung. Als der Alte Velon bemerkte, begann er zu wimmern.
Velon kniete sich neben ihn hin und sprach ihn an, aber aus der Kehle von Celo’ton Rach’tel drang nicht mehr als ein heiseres Stöhnen. Mit erstaunlich festen Griff gruben sich seine Finger in Velons Unterarm. Vorsichtig untersuchte Velon die Arme und Beine des alten Mannes, während die alte Gärtnerin ihm zusah, und konnte zwei Bruchstellen am rechten Bein feststellen. Vermutlich war auch eine Schulter ausgekugelt. Trotz der Schmerzen, die der Greis verspüren musste, folgten die grauen Augen jeder seiner Bewegungen.
»Wie ruft man denn auf euren Planeten einen Arzt«, murmelte Velon, der kurz überlegte, sein Schädelimplantat wieder einzuschalten, aber der RID-Chip würde ihn hier auf Cela 14 nichts nutzen.
Co’neta stand regungslos auf ihrem Platz, nach vorne gebeugt und Celo’ton Rach’tel nicht aus den Augen lassend, ein stiller Ausdruck auf ihrem Gesicht. Von ihr war keine Hilfe zu erwarten.
Velon lief die Terrasse entlang und klopfte an die Glastür zu Ach’tuns Zimmer. Erleichtert hörte er die sich nähernden Schritte.
Mit einem leisen Klicken schloss Velon seine Reisetasche und sah sich in dem Raum um. Nichts deutete mehr auf seine dreiwöchige Anwesenheit hin. Er stellte die Reisetasche neben die große Tasche am Fußende des Bettes und öffnete noch einmal den Schrank, aufmerksam nach vielleicht vergessenen persönlichen Gegenständen suchend. Als er die Schranktüren schloss, klopfte es an der Tür.
»Herein!«, rief Velon.
Ach’tun trat ein und verbeugte sich mit einem Lächeln. »Haben Celot'on Harris fertig gepackt?«
Velon nickte. Durch die immer noch defekte Terrassentür konnte er sehen, wie die Sonne aufging und der prächtige Garten langsam zum Leben erwachte. »Wo ist Co’neta?«, fragte er. »Ich habe sie gestern gar nicht gesehen.«
»Cela’ta Co’neta ist krank!«, antwortete Ach’tun.
Velon sah ihn fragend an. Die morgendlichen und abendlichen Gießrituale der alten Frau waren ein so fester Bestandteil dieses Hauses gewesen, dass eine Unterbrechung der Routine gar nicht möglich schien.
»Vorgestern, nach dem Unglück mit Celo’ton Rach’tel, legte sie sich abends ins Bett und wurde noch in der Nacht krank. Am Morgen konnte sie sich nicht mehr erheben.«
»Wie merkwürdig. Sie wirkte auf mich immer sehr gesund.«
»Oh, sie war auch nie krank gewesen. Ihr ganzes Leben nicht. Aber nun kann sie das Bett nicht mehr verlassen.«
Nachdenklich sah Velon zu den Blumenkübeln auf der Terrasse hinaus. Den Duft der großen, schillernden Blüten. »Was ist mit Rach’tel?«
»Glücklicherweise geht es ihm langsam wieder besser!«
»Ich würde Cela’ta Co’neta noch gerne einen Besuch abstatten, bevor ich abreise.«
Ach’tun lächelte und senkte den Blick. »Cela’ta Co’neta wird von ihrer Tochter gepflegt. Es ist nicht notwendig, dort zu erscheinen.«
»Ich weiß, Ach’tun. Aber ich würde es trotzdem gerne tun.«
Der Einheimische trat an Velon vorbei. »Wir sollten die Taschen schon einmal in den Gleiter bringen!«
Gemeinsam gingen sie nach draußen und Ach’tun verstaute die beiden Gepäckstücke im Fahrzeug, das vor dem Eingang des alten Hauses stand. In den Bäumen erklang das melodische Singen der Wach’tins, ohne dass man eines der Tiere zu Gesicht bekommen hätte. In den blassen Strahlen der Morgensonne schritten sie über den Rasen zum hinteren Teil des Gartens. Velon sah La’lyn, die in einiger Entfernung den Stamm einer der Ko’wen-Bäume hinaufkletterte.
Ach’tun schwieg, während er Velon in den abgelegenen Gartenbereich führte. Velon entdeckte die kleine Hütte erst, als sie zwischen zwei hochgewachsenen Büschen hindurchtraten, hinter denen sie sich zu ducken schien. Am Ende des Grundstücks, im Schatten der Bäume des angrenzenden Waldes gelegen, besaß das Heim der Gärtnerin etwas von einer Höhle. Ach’tun klopfte an die verwitterte Tür, von der die grüne Farbe abblätterte, und wartete geduldig, bis man sie öffnete.
Die dicke Frau mit strähnigen grauen Haaren musste die Tochter der Gärtnerin sein, selbst schon in den Sechzigern und ohne die geringste Familienähnlichkeit mit ihrer Mutter.
»Ja?«, fragte sie mit grober Stimme.
»Unser Besucher möchte sich von Cela’ta Co’neta verabschieden«, sagte Ach’tun.
Die Frau warf ihnen einen unwilligen Blick zu und ging dann ohne ein Wort wieder nach drinnen. Velon trat hinter Ach’tun in den engen Raum, der das einzige Zimmer der Hütte bildete. In der Mitte stand ein Tisch mit benutztem Geschirr mehrerer Tage, ein Bett unter dem Fenster war ungemacht. Der Geruch von altem Essen und körperlichen Ausdünstungen hing in der Luft.
Cela’ta Co’neta lag in einem Bett auf der anderen Seite des Raumes. Ihr schmaler Kopf auf dem fleckigen Kissen wirkte um Jahre gealtert. Velon musterte kurz ihre Tochter, die mit mürrischem Gesicht am Tisch saß und die rundlichen Arme vor der Brust verschränkt hatte. Er näherte sich dem Bett der Greisin und der Geruch nach Urin und Verfall wurde so intensiv, dass er durch den Mund atmen musste. Offenbar lag die alte Frau in ihren Exkrementen. Der Blick ihrer Augen war aber immer noch hart und unnachgiebig.
»Ist er tot?«, fragte sie heiser.
Velon schüttelte langsam den Kopf. »Celo’ton Rach’tel lebt, er erholt sich von seinem Sturz.«
Die fleckigen Hände auf der Decke zuckten. »Beinahe hätte ich es geschafft ...«, sagte sie ruhig. »Es war so knapp gewesen ...«
Sie hat sich nicht verändert, dachte Velon. Obwohl sie bald sterben wird ... Der schnelle Verfall ihres Körpers war offensichtlich und ein Blick in ihre Augen zeigte, dass sie es mehr als alles andere verbitterte, vor ihrem ewigen Widersacher sterben zu müssen, der ihr eine so tiefe Kränkung zugefügt hatte.
Velon wollte instinktiv etwas Tröstliches sagen, aber er erkannte, dass sich auch auf der Schwelle des Todes nichts an Co’netas Einstellung geändert hatte. Hier gab es kein Erbarmen und keine Vergebung. Velon sah sich um. Ach’tun war direkt neben der Tür stehen geblieben und blickte auf den Boden. Die Tochter saß immer noch mit verschränkten Armen auf dem Stuhl. »Was hat sie?«, fragte er sie.
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