Velon konnte die Beleidigung noch in etlichen Metern Entfernung deutlich hören und ein merkwürdiges Feuer begann in seinem Inneren zu lodern.
Co’neta bückte sich wie zum Sprung, funkelte die beiden an. »Schwächling!«, spuckte sie aus. »Schlappschwanz!«
»Dreckstück!«, schrie die Schwester.
»Du Schlampe!«, brüllte Rach’tel mit erstaunlich kräftiger Stimme.
Ohne es zu bemerken, war Velon in den Garten gesprungen und lief auf die alten Leute zu. Als Velon neben der Gärtnerin stehen blieb, schlug sein Herz bis zum Hals. Eine animalische Wut brannte in ihm. Er spürte den Wunsch, seine geballte Faust in das Gesicht des alten Mannes zu schlagen, der ihn hochmütig betrachtete.
»Packt euch«, stieß Velon hervor, »sonst passiert hier ein Unglück!«
Er fühlte die Kraft in seinen Muskeln und wie leicht es wäre, seinem Zorn freien Lauf zu lassen. Es brauchte nur ein abfälliges Wort der beiden, nur eine weitere Beleidigung der alten Gärtnerin ...
Die Lippen in dem blassen Gesicht von Rach’tel waren ein schmaler Streifen, aber schließlich drehte er sich langsam um und ging, schwer auf den Stock gestützt, zum Haus zurück. Seine Schwester warf Co’neta noch einen giftigen Blick zu und folgte dann dem alten Mann.
Velons Herz schlug kräftig. Er merkte, dass seine Hände zitterten. Cela’ta Co’neta murmelte etwas vor sich hin, begab sich wieder zu ihrer Gartenschere und schnitt energisch die Äste des Busches zurück.
Am Abend betrat Velon sein Zimmer und bemerkte einen feinen, fremdartigen Geruch in der Luft. Die Terrassentür war geschlossen und sein Bett frisch bezogen worden. Auf seinem Kopfkissen erblickte er einige langstielige Blumen. Er nahm sie vorsichtig auf und roch an den kleinen Blüten, deren Kelche kaum größer als sein Daumennagel waren.
»Angenehm«, murmelte er.
Der Duft war kaum wahrnehmbar, aber erfrischend und klar. Auf dem Sideboard stand neben der blaulasierten Trinkwasserschüssel eine weitere Schüssel aus Glas. In dem Wasser schwammen etliche von den dunkelroten Blütenkelchen. Velon legte die Blumen auf das Bett zurück und trat zur Terrassentür, um Luft hineinzulassen. Irritiert bemerkte er, dass der Griff fehlte und die Tür fest verschlossen war. Er drückte noch einige Male dagegen und zuckte dann mit den Schultern. Er würde Ach’tun morgen dazu befragen. Gähnend zog er sich aus und hängte die leichte Sommerkleidung über die Stuhllehne. Das seidenartige Schlafgewand fühlte sich kühl auf der Haut an. Velon legte die Blumen ordentlich neben sein Kopfkissen, streckte sich aus und war nach wenigen Atemzügen eingeschlafen.
Er erwachte in der ungewohnten Stille des geschlossenen Raumes. Die Sonne war bereits schon aufgegangen. Auf der Terrasse sah er dünne Wasserrinnsale, die verrieten, dass die alte Gärtnerin mit dem Gießen der Pflanzen fertig war. Wegen der verschlossenen Tür hatte er sie wohl nicht gehört.
Der Tisch für das Frühstück, zu dem er durch den Leseraum ging, war umgestellt worden und befand sich auf der fast kahlen Terrasse in der Nähe der Dienstbotenzimmer. Velon fragte Ach’tun während des Essens nach der Verandatür in seinem Zimmer und der Einheimische lächelte schüchtern.
»Leider habe ich gestern beim Reinigen des Raumes den Griff der Tür beschädigt«, sagte er. »Ein neuer Griff wird bald montiert werden. Bis dahin möchte Celot’on Harris bitte eine der anderen Türen nehmen.«
Velon kaute etwas von dem scharfgewürzten Reis und spülte ihn mit der schäumenden Milch der Ko’wen-Frucht hinunter. Der Morgen war klar und es versprach ein weiterer sonniger Tag auf Cela 14 zu werden.
»Was wollen Celot’on Harris heute tun?«, fragte Ach’tun.
Velon fühlte sich in der Stimmung, ans Meer zu gehen und in die Bucht hinauszuschwimmen, auch wenn die Nacht weniger erholsam als die anderen gewesen war. »Zum Wasser!«, sagte Velon. »Wer weiß, wann ich wieder in den Genuss komme.«
Ach’tun strich sich über seinen bunten Wickelrock und wirkte erleichtert.
»Auf der Erde ist es nicht möglich, sich länger draußen aufzuhalten«, erklärte Velon. »Die Luft macht uns alle krank. Deswegen verbringen wir viel Zeit in geschlossenen Räumen und atmen gefilterte Luft. Ein ganzer Tag unter einem blauen Himmel ist wie ein Stück Unendlichkeit!«
Zum ersten Mal seit Tagen freute sich Velon wieder, das Meer sehen zu können. Er brach direkt nach dem Frühstück auf. Als er an der Stelle im Garten vorbeikam, an dem es am Vortag zum Streit gekommen war, runzelte er die Stirn, ging dann aber schnell weiter.
Velon schwamm noch einmal zu der kleinen Insel in der Bucht hinaus und verbrachte den halben Tag damit, die Unterwasserwelt zu erkunden. Dem Bioengineering war es zu verdanken, dass dabei seine helle Haut nicht verbrannte und schädliche UV-Strahlung abgewehrt wurde. Während er mittags zum Strand zurückschwamm, sah er La’lyn im Schatten einiger Bäume sitzen. Er winkte ihr zu und lief barfuß durch den warmen Sand.
Velon grüßte die junge Frau freundlich und sie legte die beiden Handflächen zusammen. »Wollen Sie mir ein wenig Gesellschaft leisten?«, fragte er.
Gemeinsam gingen sie den blauen Strand entlang, an dem das klare Wasser des Meeres in weichen Bögen auslief. La’lyn erschien ihm nachdenklich und er hatte den Eindruck, dass sie etwas auf dem Herzen hatte.
»Muss ich mich bei Ihnen für die Blumen bedanken?«, fragte Velon.
La’lyn warf ihm einen kurzen Blick zu. »Ich habe mir erlaubt, sie in Ihr Zimmer zu legen.«
»Ihr Duft lag die ganze Nacht in der Luft. Glücklicherweise rochen sie angenehm, denn ich hätte nicht zu lüften vermocht.«
»Haben sie Sie gestört?«
»Nein, nein …!«, beruhigte Velon sie. »An ihnen liegt es bestimmt nicht, dass ich mich ein wenig zerschlagen fühle. Ich glaube, die Ereignisse am Tag haben an meinen Nerven gezerrt.«
Sie schwieg und schien darauf zu warten, dass er weiterredete. Er bückte sich, um eine bläulich schimmernde Muschel aufzunehmen, und warf sie ins Meer zurück.
»Es ist merkwürdig«, sagte Velon. »Gestern war ich so zornig, dass ich beinahe einen alten Mann geschlagen hätte.«
»Und nun?«, fragte La’lyn.
Velon hielt sein Gesicht in den sanften Wind und sah über das Meer hinaus. »Ich habe noch nie einen Menschen geschlagen. Ehrlich gesagt, ist mir die ganze Angelegenheit ziemlich peinlich.«
»Ich hoffe, Celo’ton Harris, Sie werden Ihren Aufenthalt hier nicht in schlechter Erinnerung behalten.«
Velon schüttelte den Kopf. »Cela 14 ist ein wunderschöner Ort. Ich werde noch lange an ihn denken.«
»Wir sind es gewohnt, mit Celo'ton Rach’tel, seiner Schwester und Cela’ta Co’neta unter einem Dach zu wohnen. Es macht uns nichts aus. Aber für Besucher kann das irritierend sein.«
»Mich irritiert eher mein eigenes Verhalten, La’lyn«, sagte er.
Im Halbschlaf hörte Velon das Murmeln der alten Gärtnerin, die mit ihren Pflanzen sprach und ihnen vorhielt, wie undankbar sie waren, bei all der Pflege nur so schlecht zu wachsen. Er schlug die Augen auf und stellte fest, dass er die Worte nicht geträumt hatte. Velon war nach dem Mittagessen im Lesezimmer auf der Liege eingeschlafen, ein Luxus, den er sich im Alltag nicht gönnte, und jetzt begann die Sonne schon zu sinken. Draußen konnte er das Plätschern des Wassers hören, als Co’neta die großen Blumenkübel wässerte, und der sanfte Geruch nach feuchter Erde machte sich im Zimmer breit. Die Worte der Gärtnerin waren ein monotoner Singsang und ihr im Laufe der Jahre längst in Fleisch und Blut übergegangen. Velon döste noch eine Weile vor sich hin und lauschte den Geräuschen von draußen, während das Sonnenlicht durch den Raum wanderte.
Als er sich aufsetzte, war die Gärtnerin mit ihrer Tätigkeit fertig. Er rieb sich mit den Handflächen über das Gesicht und versuchte die Zeit zu schätzen. Dem Stand der Sonne nach musste er länger geruht haben. Velon dachte an das Gespräch mit La’lyn und warf einen Blick durch das Fenster und sah Co’neta, die an der Balustrade gelehnt dastand, wie ein altes Spiegelbild der jungen Einheimischen.
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