Nachdem Ach’tun nach drinnen gegangen war, um den gegrillten Fisch zu holen, nahm sich Velon ein Stück einer grünen Frucht, die in lange Scheiben geschnitten war, und blickte kauend in den Garten. In diesem Moment sah er die alte Frau, die er am Morgen beim Gießen der Pflanzen getroffen hatte.
Regungslos stand die greise Gärtnerin in der prallen Sonne und hatte den Kopf vorgereckt. Ihre Augen fixierten einen Punkt unterhalb der Terrasse, etwas weiter rechts von Velon. Nachdem Ach’tun den Fisch gebracht hatte, sprach ihn Velon auf die Frau an.
»Das ist Cela’ta Co’neta. Sie steht dort jeden Tag.«
»Was macht sie da?«
Ach’tun lächelte gequält und Velon sah ihm an, dass er nicht gerne über das Thema sprach. »Cela’ta Co’neta lebt schon lange hier im Haus. Ich hoffe, Sie fühlen sich nicht von ihr gestört.«
»Nein«, sagte Velon und wandte sich dem Fisch zu.
Gegen Abend brachte ein milder Wind eine frische Meeresbrise mit sich. Velon lag auf dem Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und lauschte dem fernen Meeresrauschen, während der Wind die langen Vorhänge an der offenen Terrassentür bauschte. Er sah an die Decke und dachte an nichts, ein Luxus, den er sich zu Hause auf der Erde nicht erlaubten konnte. Die weißen Wände, grob verputzt, strahlten eine Schlichtheit aus, die seine Gedanken zur Ruhe kommen ließ. Kein Bild, kein Schmuck lenkte das Auge ab.
Müßig erhob er sich und trat in den Flur hinaus. Der lange Gang war verwaist. Das Haus lag in tiefer Stille da. Im Eingangsbereich mit der wuchtigen Haustür blieb er eine Weile unschlüssig stehen. Sein Blick fiel auf den gegenüberliegenden Gang. Das musste der Bereich mit den Hauwirtschaftsräumen und die Zimmer der Bediensteten sein.
Kurzentschlossen betrat Velon den anderen Flur, der genauso leblos war wie sein eigener, nur dass hier die Türen fast alle verschlossen waren. Die Doppeltür zur Küche stand offen. Glänzende Töpfe und Pfannen hingen unter der Decke, auf einer Arbeitsfläche an der Wand stapelten sich runde Behältnisse aus Holz mit einigen Sieben, die wohl als Einsätze gedacht waren. Velon ging bis zum Ende des Flurs, an dessen Kopf sich das Zimmer von Ach’tun befand. Links davor lag eine Art von Speiseraum. In dem schmalen Raum stand ein länglicher Tisch mit sechs Stühlen, auf einer Anrichte lagerten Teller aus einem dunkel gemaserten Holz und Schüsseln unterschiedlicher Größe.
Hier aßen also die zumeist unsichtbaren dienstbaren Geister des Hauses. Im Raum hing ein leichter Geruch nach dem stark gewürzten Reis, den es zu allen Mahlzeiten gab. Einige Paar von den Strohsandalen, die die Bewohner hier trugen, waren im hinteren Bereich des Zimmers aufgereiht. Durch die Terrassentür, die einen Spaltbreit geöffnet war, konnte man in den Garten blicken, allerdings war die Terrasse hier kahl und ohne die allgegenwärtigen Blumenkübel von Co’neta, der alten Gärtnerin.
Erst nach einigen Sekunden erkannte Velon, dass er nicht alleine war. Die schlanke Gestalt einer Frau zeichnete sich draußen vor dem hellen Horizont ab. La’lyn stand reglos auf der Terrasse und schaute in den Garten heraus. Sie trug ihr leichtes Gewand aus dem glänzenden dunkelroten Stoff, das ihr bis zu den Knien reichte. Mit den Fingerspitzen berührte sie das steinerne Geländer, das die Terrasse vom tiefer liegenden Garten trennte. Die aufrechte Haltung ihres Körpers ließ eine gewisse Anspannung erahnen, und doch rührte sie keinen Muskel. Velon erinnerte sich daran, wie mühelos sie den Baum mit der Ko’wen-Frucht erklommen hatte.
Das Quietschen einer anderen Terrassentür war in der Stille zu hören, aber La’lyn sah sich nicht um. Schritte näherten sich und Velon erkannte Ach’tun, der nah hinter die junge Frau trat, sodass er sie fast berührte. Keiner sagte ein Wort und gemeinsam sahen sie in das tropische Grün hinaus, den Rücken Velon zugewandt.
Velon überlegte, ob er sich leise zurückziehen sollte, befürchtete aber, durch eine Bewegung auf sich aufmerksam zu machen.
Ach’tun hob langsam seine Hand und öffnete den Verschluss im Nacken der Frau. Der feine Stoff des Gewandes rutschte wie Seide nach unten und ringelte sich zu ihren bloßen Füßen. La’lyn stand am Geländer, ohne sich zu rühren. Ihre kupferfarbene Haut schimmerte in der Abendsonne und ließ die Formen ihrer langen Rücken- und Oberschenkelmuskeln sichtbar werden. Sanft strich Ach’tun von den Schulterblättern beginnend die Mulde ihrer Wirbelsäule hinab, die wie eine Wasserrinne bis zu den Wölbungen ihrer Pobacken verlief, und verharrte auf ihrem unteren Rücken. Er legte ihr seine Handfläche auf eine Stelle kurz über ihren Steiß und drückte sacht. Langsam ließ La’lyn den Kopf sinken, sodass ihr Haar ihr Gesicht bedeckte, und beugte sich vor, wodurch sich ihre Oberschenkel und die festen Pobacken spannten.
Velon spürte, wie ihn dieser weibliche Körper erregte, der doch so keinem Schönheitsideal der Erde entsprach, wo die Frauen dünn und ohne Muskeln waren, und ihre langen, schlanken Beine mit eng anliegenden Beinkleidern betonten. Beine, deren Oberschenkel kaum dicker als ihre Unterschenkel waren. Dieser Körper hier war anders.
Bewegungslos standen die beiden an dem Geländer, während Ach’tuns Hand auf ihrem Rücken ruhte. Einige Vögel flogen durch den Garten und ließen sich in einem der alten Bäume zur Nacht nieder. La’lyns Brustkorb begann sich stärker zu heben und zu senken, während sie mit gesenktem Kopf auf die kleine Berührungsfläche zu achten schien, die die einzige Verbindung zwischen ihnen darstellte. Unter dem leichten Druck seiner Hand richtete sich die junge Frau wieder auf und drehte sich langsam um. Zum ersten Mal konnte Velon La’lyns Gesicht sehen. Ach’tun folgte jeder ihrer Bewegung, die Hand nicht von ihrem Rücken nehmend. Sie sah ihn nicht an, das Gesicht abwesend und gerötet. Zwischen ihren Brüsten schimmerte Schweiß. In ihrem Haar konnte Velon zwei von den violetten Blumen erkennen, die sie am Mittag im Wald gepflückt hatte, und er meinte, ihren Duft sogar auf die Entfernung wahrnehmen zu können. Ernst und feierlich schritt Ach’tun neben ihr her, während seine Handfläche weiterhin auf ihrem Rücken ruhte. Sanft lenkte er sie in Richtung seines Zimmers. Sie ging aufrecht und mit kleinen Schritten und ließ sich von ihm zu der offenen Terrassentür führen, wo sie beide im Halbdunkel des Raumes verschwanden. Ihr rotes Kleid blieb unbeachtet auf den Steinfliesen zurück.
In der Nacht träumte Velon von La’lyn, wie er lange schon nicht mehr geträumt hatte, und wachte bereits früh am Morgen auf. Obwohl die Sonne noch nicht aufgegangen war und im Zimmer ein graues Zwielicht herrschte, fühlte er sich frisch und erholt. Er setzte sich auf den Bettrand und schenkte sich aus dem irdenen Krug vom Nachttisch Wasser in einen Becher, den er in kleinen Schlucken leer trank. Barfuß trat er zwischen zwei der großen Blumenkübel nach draußen und ließ sich auf den Steinfliesen nieder, um seine hundert Liegestütze zu absolvieren. Anschließend duschte er lange und trödelte unter dem warmen Wasserstrahl herum, bis die Haut an seinen Fingern schrumpelig wurde. Als er sich abgetrocknet hatte und in frische Kleidung geschlüpft war, hörte er von draußen eine Frauenstimme.
Es war nicht die von La’lyn, sondern besaß den rauen, kratzigen Klang des Alters. Er schob den Vorhang vor der offenen Terrassentür etwas beiseite und sah die greise Gärtnerin, die die schweren Wassereimer abstellte und sich mit dem Unterarm über die Stirn wischte.
»Wachsen müsst ihr«, sagte Co’neta und nahm die Pflanze vor sich genauer in Augenschein. »So gut, wie es euch hier geht, müsstet ihr noch viel größer sein.« Sie berührte die Blütenblätter. »Ihr müsst üppiger blühen.«
Unzufrieden schüttelte die alte Frau den Kopf, bückte sich zu den beiden Wassereimern und trug sie zu dem nächsten Pflanzentopf. »So, hier …«, murmelte sie und goss mit geübter Hand Wasser in den Topf. »Auch für dich wird es Zeit, langsam größer zu werden. Ich mach das hier nicht zu meinem Vergnügen. Wisst ihr eigentlich, wie viel Arbeit ihr mir macht.« Sie ging zu der nächsten Pflanze und setzte ihren Monolog nahtlos fort. »Meine alten Knochen schleppen jeden Tag diese schweren Wassereimer und ihr lasst es euch hier gut gehen und faulenzt in der Sonne. Ihr seid undankbar. Wachst gefälligst ein wenig schneller!«
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