»Solange es nur der Nacken ist …«
»Tä …«
»Wo liegt diese Allee genau?«, fragte Heiko unterwegs. »Zwischen Heerstraße und Preußenallee. Ein teures Pflaster, das man sich heutzutage kaum noch leisten kann.«
»Demnach muss das Opfer vermögend gewesen sein.«
»Anzunehmen. Die Häuser stammen zwar überwiegend aus den dreißiger Jahren, aber billig war es dort noch nie. Hinni, unser fleischgewordener Berlinführer meint, sie sei 1908 nach dem Königreich Württemberg benannt worden.«
»Wie viel unnützes Wissen sammelt er eigentlich? Da Valerie schräg guckte, wechselte Heiko das Thema. »Dann wirst du jetzt bald deine Schwiegertochter in spe kennenlernen«, sagte Heiko. »Gibt es schon einen Termin?«
»Nicht dass ich wüsste. Wenn Ben nicht seinen Vater ins Vertrauen gezogen hat. Das mit der Schwiegertochter hat noch Zeit, so unsicher wie sich Ben in dieser Beziehung ist.«
»Was Lena betrifft, offensichtlich nicht. Sie planen schon zusammenzuziehen. Oh, jetzt habe ich mich wohl verplaudert. Das wollte er euch wohl selbst sagen.«
»Wie kommst du darauf? Hat sich Ben dir gegenüber entsprechend geäußert?«
»Ja, er meinte, bald auszuziehen. Tobias ist auch schon im Aufbruch. Bald haben wir die beiden Zimmer wieder für uns.«
»Du meinst, Sergej.«
»Für mich heißt mein Bruder weiterhin Tobias. Diesen albernen russischen Namen hat er sich doch bloß zugelegt, um von seinen Peinigern nicht gefunden zu werden. Aber jetzt, wo sie die geschnappt haben, dürfte sich das Pseudonym erledigt haben.«
Heikos Bruder war als Kind von Kinderschändern nach Hamburg verschleppt worden. Als Teenager war ihm die Flucht nach Berlin geglückt, wo ihn Heiko durch Zufall entdeckt hatte. Tobias ging auf den Strich – wohl seine Art, sich an den lüsternen Strolchen zu rächen. Heiko hatte ihn zu sich und seinem Freund Fabian in die gemeinsame Wohnung am Kaiserdamm genommen und versucht, Tobias ein halbwegs normales Leben zu ermöglichen. Dazu sollte der nachgeholte Schulabschluss gehören. Doch Tobias hatte eigene Pläne und arbeitete seit geraumer Zeit in einer Videothek.
»Und, sucht ihr euch einen neuen Untermieter? Finanziell seid ihr doch eigentlich nicht darauf angewiesen.«
»Finde ich auch. Aber das soll Fabian entscheiden.«
Vor dem Haus standen schon mehrere Polizeifahrzeuge, denn die Spurensicherung und die Rechtsmedizin waren schon bei der Arbeit.
»Hallo, ihr beiden«, grüßte sie Knud Habich, der smarte Rechtsmediziner.
»Hallo, hast du Stella nicht mitgebracht?«
»Nein, die hatte noch zu tun.«
»Warum wundert mich das nicht? Also, was gibt es über das Opfer zu sagen?«
»Es ist die neunundsechzigjährige Elisabeth Jüttner. Sie wurde mit großer Gewalteinwirkung erschlagen.«
»Wie lange ist sie schon tot?«
»Schätzungsweise seit gestern in den späten Abendstunden.«
»Und die Zugehfrau hat sie gefunden? Wo ist die eigentlich?«
»Sie sitzt wie ein Häufchen Elend in der Küche. Ich habe ihr ein Beruhigungsmittel gegeben.«
»Danke, ich sehe gleich nach ihr. Heiko, befragst du derweil die Kollegen von der Spurensicherung?«
»Alles klar.«
Manfred Hoger berichtete, dass es keine Einbruchsspuren gab, weder an der Haustür noch an der Terrassentür. Auch herrschte keine Unordnung, wie bei Einbrüchen üblich.
»Sie hat also ihren Mörder gekannt und freiwillig eingelassen«, meinte Heiko. »Und der scheint sich im Haus ausgekannt zu haben und ist zielgerecht vorgegangen.«
»Genau. Der ausgeräumte Safe spricht dafür. Wir sichern jetzt erst mal die Fingerspuren.«
Valerie traf auf eine leichenblasse, ältere Frau, die Mühe hatte, das Erlebte zu verarbeiten.
»Guten Tag, ich bin Valerie Voss vom LKA. Und wie heißen Sie?«
»Franziska Tietjen. Ich komme zweimal die Woche, mache sauber und erledige die Einkäufe.«
»Hatten Sie ein gutes Verhältnis zu Frau Jüttner?«
»Ja schon, aber wie das eben so zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist. Elisabeth war keine einfache Frau und hatte kaum Kontakt zu anderen Leuten. Kennen Sie die Filme über Almuth und Rita? Da spielt Senta Berger eine versnobte Zahnärztin und Cornelia Froboes die Putze. So in etwa war das zwischen uns auch. Irgendwie hat sie mich wohl gemocht, ließ aber keine Gelegenheit aus, mich in die Schranken zu weisen. Wir waren ja gleich alt, hatten aber einen ganz unterschiedlichen Lebensweg genommen. Ich musste immer hart arbeiten, und Elisabeth war die feine Frau eines Juweliers. Na ja, die zweite. Er ist schon einige Jahre tot. Daraufhin hat sie alles geerbt.«
»Hatten die beiden Kinder?«
»Gemeinsame nicht. Elisabeth hatte aus erster Ehe zwei Söhne und eine Tochter. Mittlerweile gibt es schon erwachsene Enkel. Aber die hatten kaum Kontakt zu ihrer Großmutter. Auch die Kinder ließen sich äußerst selten sehen. Wie das eben so ist, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Sie sind ohnehin beim Vater aufgewachsen. Fragen Sie mich nicht, warum.«
»Würden Sie mir bitte die Namen aufschreiben? Ich muss ihnen ohnehin die Todesnachricht überbringen. Oder haben Sie das bereits getan?«
»Nein, dazu war ich noch gar nicht in der Lage. Also, der älteste Sohn heißt Martin Bensch. Der jüngere Robert, und die Tochter Anne ist eine verheiratete Birkholz. Der Mann heißt Andreas. Die genauen Adressen kenne ich leider nicht.«
»Die finden wir raus. Hatte Frau Jüttner viel Schmuck? Ich meine, als ehemalige Juweliersgattin …«
»Doch, ja. Sie liebte es, ihn hier im Haus anzulegen. Eine Marotte, denn Besuch bekam sie ja so gut wie nie.«
»Dann gibt es doch bestimmt Unterlagen darüber?«
»Doch, die werden bei ihren persönlichen Papieren sein. Sie hat alles fotografiert für die Versicherung, soviel ich weiß.«
»Und wie verhielt es sich mit dem Bargeld? Der Safe ist ja gänzlich leer.«
»Ja, da muss sich einer tüchtig bedient haben.«
»Wie könnte er an den Schlüssel gekommen sein? Wissen Sie, wo Frau Jüttner ihn aufbewahrte?«
»Nein, sie hat immer ein großes Geheimnis darum gemacht. Ich hätte glatt beleidigt sein können – als wenn ich mich am Safe bedient hätte –, aber so war sie nun mal.«
»Vielen Dank, Frau Tietjen. Dann erholen Sie sich erst mal von dem Schock. Wenn wir noch Fragen haben, melden wir uns.«
»Was wird denn jetzt? Meinen Job bin ich ja nun los. Was ist mit meinen persönlichen Dingen?«
»Haben Sie denn viele Sachen hier?«
»Nein, ein paar Schuhe, einen Kittel zum Wechseln, Deospray und Handlotion … was man eben so braucht.«
»Das können Sie selbstverständlich mitnehmen. Ich könnte mir vorstellen, dass Frau Jüttner Sie in ihrem Testament bedacht hat …«
»Ja? Ich mir nicht. Dazu war sie viel zu geizig. Andererseits, den Kindern wird sie es auch nicht gegönnt haben.«
»Dann warten Sie ab. Manchmal erlebt man da gehörige Überraschungen.«
Valerie und Heiko fuhren zuerst zu Martin Bensch, der in Spandau ein Einfamilienhaus besaß. Seine Frau Natalie, eine etwas farblose Brünette, Anfang vierzig, öffnete die Tür und erschrak, als sie erkannte, dass es sich um die Kriminalpolizei handelte.
»Ist Ihr Mann zu Hause, Frau Bensch?«, fragte Valerie.
»Ja, er hat hier auch ein Büro. Aber was ist denn um Himmels willen geschehen? Ist etwas mit unserem Sohn?«
»Nein, mit Ihrer Schwiegermutter …«
»Martin, kommst du mal, bitte? Aber treten Sie doch näher …«
Natalie Bensch führte Valerie und Heiko in den Salon, der mit wenigen, aber kostbaren Antiquitäten ausgestattet war. Kurz darauf kam der Herr des Hauses und zeigte ein finsteres Gesicht.
»Was ist denn? Du weißt, dass ich bei der Arbeit nicht gestört werden möchte.«
»Ihre Frau trifft keine Schuld. Wir sind vom LKA und haben Ihnen eine traurige Mitteilung zu machen.«
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