»Wenn du dich ruhig verhältst, passiert dir nichts«, sagte Bolle.
Die Türkin nickte wimmernd. Vor Schreck zitterte sie am ganzen Körper wie Espenlaub. Wenig später trafen die ersten Angestellten ein.
»Komisch, es ist so ruhig«, sagte Daniela Michels, eine blonde, schlanke Frau um die Vierzig, zu ihrer Kollegin, Katja Böker, die ihr etwas ähnlich sah, doch etwas kürzere Haare hatte. »Man hört den Staubsauger gar nicht.«
»Ayshe, bist du da?«, rief Katja.
In dem Moment sah sie die drei maskierten Männer und schrie vor Schreck auf. Bolle richtete sogleich die Waffe auf sie, um sie in Schach zu halten. Die beiden anderen fesselten die beiden Frauen, ließen aber vorerst das Klebeband weg.
»Ihr schließt uns jetzt den Tresorraum einschließlich Tresor auf!«, sagte Bolle mit leicht verstellter Stimme.
»Das können wir nicht«, meinte Daniela. »Ich habe zwar einen Schlüssel, aber es sind zwei nötig, um den Tresor zu öffnen. Den anderen hat der Filialleiter, Herr Kullmann, der auch als Einziger das Passwort kennt.«
»Dann werden wir den Herrn mit Spannung erwarten. Aber wehe, wenn du gelogen hast. Los, klebt ihnen die geschminkten Mäulchen zu!«
Fuzzi und Keule setzten seine Anweisung umgehend in die Tat um und banden die beiden Frauen an einem Heizungsrohr fest. Kurz darauf betraten Michael Kullmann und sein Kollege Marcel Köhne, beide korrekt mit Schlips und Kragen und modischem Kurzhaarschnitt, die Filiale.
»Nanu, sind wir die Ersten?«, wunderte sich Kullmann. »Die Damen scheinen etwas ausgiebiger zu frühstücken.«
»Nein, das tun sie nicht. Ihnen ist nämlich der Appetit gründlich vergangen«, hörte er eine fremde Stimme.
Bolle trat mit der Waffe im Visier vor und winkte damit.
»Bitte nähertreten, die Herren! Und machen Sie keine Dummheiten!«
»Wer sind Sie, und was wollen Sie?«
»Das liegt doch auf der Hand. Ihre reizende Kollegin meinte, dass Sie den zweiten Schlüssel zum Tresor haben.«
»Das stimmt. Aber im Tresor werden Sie kaum etwas finden.«
»Lassen sie das nur unsere Sorge sein. Und Sie kommen jetzt mit beiden Schlüsseln mit. Ein bisschen plötzlich! Um Ihren Kollegen kümmern sich die anderen Herren.«
Kullmann ließ sich von Daniela den anderen Schlüssel geben und ging dann voraus zum Tresorraum. Bolle und sein Kumpel Fuzzi folgten ihm. Keule fesselte und knebelte Köhne und kam dann nach.
»Sind das jetzt alle, oder kommt noch jemand?«, fragte Bolle.
»Nein, wir sind vollzählig. Mehr Personal haben wir derzeit nicht.«
»Gut. Aufschließen, und den Tresor auch gleich!«
Nachdem Kullmann den Tresor geöffnet hatte, wurde er an ein Gitter gefesselt. Hilflos musste er mit ansehen, wie die Räuber reiche Beute machten.
»Gib mir dein Handy«, sagte er zu dem Filialleiter. »Nicht dass du noch auf dumme Gedanken kommst.«
Bolle nahm das Handy entgegen, legte es auf den Boden und kickte es zur Seite. Während er anschließend dicke Bündel von Banknoten, Goldbarren und Silberbarren aus dem Tresor in seine Tasche räumte, brachen die beiden anderen Dutzende von privaten Schließfächern auf. Wie vermutet, befand sich darin hauptsächlich Schmuck und zum Teil auch Geld. Die ganze Aktion dauerte kaum eine halbe Stunde. Dann forderte Bolle zum Abbruch auf.
»Lasst gut sein, Jungs! Bevor die ersten Kunden kommen, sollten wir die Fliege machen.«
Schwer beladen gingen sie nach oben. Draußen war noch alles ruhig. Zum Glück stand noch kein Kunde vor der Tür. Die ersten zwei kamen erst, als die drei Männer bereits den Wagen vollgeladen hatten und abgefahren waren.
Als sie den Schalterraum durch die Automatiktür betraten, konnten sie es nicht fassen, dass kein einziger Angestellter zu sehen war. Als sie sich schließlich weiter vorwagten und auch die Räume inspizierten, die für Kunden normalerweise tabu waren, sahen sie die Bescherung. Sie befreiten die drei Frauen und Herrn Köhne aus ihrer misslichen Lage. Der rief zuerst die Polizei an und kümmerte sich dann um Herrn Kullmann.
Nach dem Eintreffen der Polizei versammelten sich schnell einige Schaulustige vor der Bank, wurden aber durch die Absperrung zurückgehalten. Katja Böker wurde mit einem Schock ins Krankenhaus gebracht.
»Die arme Frau«, sagte ein älterer Mann entsetzt.
»Na, der Kopp ist ja noch dran«, meinte ein anderer. »Sehn Se, das ist genau der Grund, warum ick mir kein Schließfach nehme. Da sind die Wertsachen nämlich auch nicht sicher.«
»Dafür gibt es doch Schließfach-Versicherungen.«
»Sicher, doch die nützen einem nur wat, wenn man nachweisen kann, wat man in seinem Minitresor aufbewahrt hat. Sonst is man Neese und braucht erst jar nich’ uff Ersatz zu hoffen.«
»Ach, Sie reden Unsinn. Ich könnte mir vorstellen, dass die Bank das großzügig regelt.«
»Jott erhalte Ihnen Ihren Glooben.«
Zuhause bei Bolle herrschte großer Jubel. Jeder hatte zwar gehofft, aber nicht so recht daran geglaubt, dass alles gutgehen würde. Allein an Bargeld hatten sie mehrere Hunderttausend Euro erbeutet. Ganz zu schweigen von den Juwelen und den Silber- und Goldbarren.
»Na, hab ick euch nich’ jesacht, wie einfach det is?«, jubilierte er.
»Warum sprichst du jetzt wieder Dialekt?«, fragte Keule. »Vorhin in der Bank hast du doch reinstes Hochdeutsch gesprochen.«
»Weil ick zwar mit Spreewasser getauft bin, aber sowohl det eene wie det andere beherrsche. Man is ja schließlich keen Prolet.«
»Und warum bleibst du dann nicht beim Hochdeutsch?«
»Weil ick mir nur bei de Arbeet die Schnauze verbiege. Privat quatsch ick, wie mir der Schnabel jewachsen is. Sonst noch Fragen?«
»Nö, nö, ist ja deine Sache. Wie machen wir das jetzt mit der Aufteilung?«
»Na janz einfach. Vom Barjeld kricht jeder `n Drittel. Aber bringt et nich’ gleich unter de Leute. Vergrabt et oder versteckt et erst ma, bis Gras über die Sache jewachsen is. Kann ooch sein, dass die Nummern notiert wurden. Gloob ick zwar nich’, weil et sich ja nich’ um Lösejeld handelt, aber Vorsicht is die Mutter von de Porzellankiste.«
»Ooch, jetzt hat man endlich Zaster im Überfluss und kann es nicht ausgeben«, maulte Keule.
»Vorerst nich’, hab ick jesacht. Die Gold- und Silberbarren müssen ohnehin erst vertickt werden. Ebenso der Schmuck. Keene Sorje, ick hau euch schon nich’ über’t Ohr. Wir sitzen schließlich alle im selben Boot. Wenn arme Schweine wie wir sich unternander ooch noch betrügen … Ick muss aber erst jemand Vertrauensvollet finden, der mir die Sore abnimmt. Et jibt soviel Jesindel in der Branche. Die Leute ha’m heutzutage einfach keen Anstand mehr.«
Als Kommissar Heiko Wieland ins Büro kam, wurde er schon erwartet.
»Wir haben einen neuen Fall«, sagte Valerie. »Weibliche Leiche in einer Grunewaldvilla.«
»Wie schön für euch«, meinte Heiko. »Vielleicht gibt es ja dabei auch etwas für mich zu tun.«
»Und ob. Mein Göttergatte beschäftigt sich gerade intensiv mit den ungeklärten Fällen. Er ist so vertieft, dass er nicht unterbrechen will.«
»Also schnapp dir dein Handtäschchen und komm, Heike.«
»Sag mal, bei dir piept’s wohl? Ich verbitte mir das!«
»Tschuldigung, war nicht böse gemeint. Ich denke nur, du hättest auch ein sehr hübsches Mädchen abgegeben.«
»Danke, ich verzichte. Ich bin mit meinem Geschlecht ganz zufrieden.«
»Umso besser. Also, auf ins feine Westend. Genauer gesagt in die Württembergallee! Die Zugehfrau erwartet uns. Sie ist ziemlich durch den Wind. Kein Wunder bei dem Anblick. Willst du wirklich nicht mitkommen, Hinni?«
»Nee, lass mal. Ihr macht das schon.«
»Na gut, dann lass dir die Zeit nicht lang werden. Und vergiss nicht, zwischendurch mal eine Pause zu machen, damit du heute Abend keinen steifen Nacken hast.«
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