»Und wie willst du das mit dem Fluchtauto machen? Wir sind beide nicht motorisiert. Du wahrscheinlich auch nicht.«
»Nee, aber den Führerschein hab ick noch’. Und Karren steh’n uff der Straße reichlich rum. Ick hab noch’n paar olle Kennzeichenschilder, und `ne olle Knarre mit Munition hab ick ooch noch. Mit `ner Spielzeugpistole brauchen wa gar nich’ erst anzukommen. Also, ick kundschafte mal’n paar Filialen aus. Wenner mit von die Partie sein wollt, sacht Bescheid.«
Das Paar räkelte sich in der seidenen Bettwäsche. Sie wollte noch kuscheln, aber er war merklich abgekühlt, wie es bei Männern „danach“ oft vorkommt.
»Warum bist du denn so ungemütlich?«, fragte sie. »Jetzt wo du alles hattest, was du wolltest …«
»Du etwa nicht?«
»Ich beklage mich doch gar nicht. Aber du wirkst, als wärst du auf der Durchreise. Mein Mann kommt nicht vor zwölf. Das macht er nie, wenn er mit seinen Kumpels unterwegs ist.«
»Ich weiß nicht. Ich habe so ein komisches Gefühl. Könnte es nicht sein, dass er etwas ahnt?«
»Du siehst Gespenster. Er würde mich ganz anders behandeln, falls er etwas wüsste. Und dich erst recht. Verstellen war noch nie sein Ding. Wenn ihn etwas belastet, hält er damit nicht hinter dem Berg.«
»Vielleicht tröstet er sich auch anderswo?«
»Er ist viel zu geradlinig, um sich heimlich eine Geliebte zu halten.«
»Vielleicht geht er in den Puff?«
»Niemals. Dazu hat er viel zu große Angst, sich etwas einzufangen. Du kennst doch seine Sorge vor Ansteckung. Er war immer schon ein Hypochonder. Vielleicht war das seine Masche, sich etwas Aufmerksamkeit zu verschaffen.«
»Du kennst ihn besser als ich. Schließlich seid ihr schon eine Anzahl von Jahren verheiratet.«
»Was heißt das schon? Wer kann schon in einen anderen hineinsehen? Ein Rest von Geheimnis bleibt immer.«
»Eben hast du ihn noch als geradlinig bezeichnet.«
»Ja, wenn es sich um einen Verdacht gegen uns handelt, aber was sonst noch so in seinem Kopf vor sich geht …«
»Wie dem auch sei, ich mache mich jetzt auf den Heimweg. In flagranti ertappt zu werden, danach steht mir weiß Gott nicht der Sinn. Es war mir wie immer eine Ehre Gnädigste …«
»Oh, das Kompliment kann ich nur erwidern. Jederzeit gerne wieder, mein Herr.«
»Wenn es die Umstände zulassen … Ciao, Liebste. Ich ziehe mich jetzt an, und dann bin ich weg.«
»Du kannst gern noch duschen. Vielleicht leiste ich dir dabei Gesellschaft.«
»Ein andermal.«
»Ich nehme dich beim Wort.«
Am Rande des Berliner Tiergartens hatte sich gerade etwas Ähnliches abgespielt, nur dass es sich bei dem Paar um Eheleute handelte. Valerie Voss, ihres Zeichens Hauptkommissarin beim LKA und zum zweiten Mal mit ihrem Kollegen Hinnerk Lange verheiratet, ging mitunter gern gleichgeschlechtlich fremd. Mit Duldung ihres Mannes, der in einer Frau keine Konkurrenz sah. Ihre derzeitige Liebste war die Rechtsmedizinerin Stella Kern, die die Nachfolge ihrer Kollegin Tina Ruhland angetreten hatte, auch bei Valerie.
Tina war bei einem Verkehrsunfall* ums Leben gekommen. So sehr sich Valerie darüber grämte, die Liebe zwischen den beiden war zu diesem Zeitpunkt schon erkaltet gewesen. Bei Valerie durch Hinnerk, mit dem sie den gemeinsamen, bereits erwachsenen Sohn Ben hatte, und bei Tina durch die Staatsanwältin Ingrid Lindblom, die noch immer nicht über den Verlust der Freundin hinwegkam. Die beiden hatten sich bei einer Gartenparty in Valeries und Hinnerks Haus kennengelernt und waren von da an unzertrennlich gewesen.
Die aparte Stella, der man ihren Beruf auf den ersten Blick nicht zutraute, hatte in Valerie ein Verlangen geweckt, das für viele Jahre geruht hatte. Umso
*siehe Band 9 „Böse Mächte“
leidenschaftlicher hatte sie diesem nachgegeben. Stella war mehr als pflegeleicht, beklagte sich nie und stand bei Bedarf zur Verfügung. Ein Umstand, der Valerie ein wenig betriebsblind gemacht hatte, sodass sie eventuelle Vorzeichen übersah.
»Wie geht es eigentlich der lieben Stella?«, fragte Hinnerk. »Du erzählst gar nichts mehr von ihr.«
»Ich empfinde das nicht als ein passendes Thema, nachdem wir uns gerade geliebt haben.«
»Warum nicht? Mit ihr tust du es doch auch hin und wieder.«
»Du bist nicht auf dem Laufenden, mein Lieber. Mit Stella habe ich mich schon länger nicht getroffen. Immer, wenn ich sie sehen wollte, hatte sie angeblich keine Zeit. Vielleicht hat sie mich bereits satt.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Von dir kann man doch gar nicht genug bekommen …«
»Das sagt gerade der Richtige. Dann muss ich unseren Scheidungsgrund wohl nur geträumt haben …«
»Fang bitte nicht wieder von Marion an. Das war ein einmaliger Ausrutscher, den ich bitter bezahlen musste.«
Hinnerk sprach nicht gerne über seine Exgeliebte, denn er gab sich die Schuld an ihrem Tod. Marion Haberland war nach einem Streit völlig kopflos aus dem Haus gelaufen und von einem Lastwagen tödlich verletzt worden. Grund des Streits war die erneute Annäherung zwischen Valerie und Hinnerk gewesen, die Marion nicht entgangen war.* Nach einem erfolglosen Versuch, allein zu bleiben, war Hinnerk reumütig zu seiner Familie zurückgekehrt.
»Ich weiß, entschuldige«, sagte Valerie.
»Vielleicht nascht deine Stella nur ein wenig anderweitig herum. Sie ist schließlich frei und ungebunden.«
»Das sei ihr auch nicht verwehrt, aber ich mag nicht, wenn man mich hinhält. Ein offenes Wort zur rechten Zeit ist immer noch das Beste.«
»Ich glaube, du machst dir unnötig Sorgen. Vielleicht ist sie nur beruflich stark beansprucht. Du weißt doch, was in der Gerichtsmedizin manchmal los ist. Irgendwann wird sie sich melden und ganz wild auf dich sein.«
»Na, ich weiß nicht.«
*siehe Band 5 „Gottlos – Der Todesengel“
Bolle hatte ausgiebig recherchiert, und seine Wahl war schließlich auf eine etwas abgelegene Bankfiliale gefallen, die sich in Kladow in der Sakrower Landstraße befand. Mit dem Bus X34 war er mehrmals schon am frühen Morgen vom Zoologischen Garten zirka vierzig Minuten durch die Stadt gefahren, um die Gegend auszukundschaften. Und was er sah, gefiel ihm. Ein zweigeschossiges Haus, das in der ersten Etage einen rundumlaufenden Balkon mit Holzbrüstung aufwies. Ein wenig erinnerte der Bau an ein bayrisches Bauernhaus. Die Straße, die von Spandau aus zunächst Gatower Str., später Alt-Gatow, dann für längere Zeit Kladower Damm und schließlich Sakrower Landstraße hieß, wurde in diesem Bereich immer ruhiger. Es gab nur noch vereinzelt Geschäfte. Nicht wie weiter vorn, wo sich in unmittelbarer Nähe der Filiale einer anderen Bank ein Lidl-Supermarkt, ein Drogeriemarkt und ein Rewe-Geschäft befanden. Neben der auserkorenen Bankfiliale gab es nur ein Restaurant, das morgens noch nicht geöffnet hatte.
Bolle legte sich auf die Lauer und beobachtete genau, wann wer eintraf. Zuerst eine Putzfrau und später nach und nach die Angestellten. Als sein Plan ausgereift und vorzeigbar war, informierte er seine beiden Kumpel aus Jugendtagen. Bei einer längeren Besprechung schilderte er die Vorgehensweise und wer was erledigen sollte. In der Nacht vor dem Überfall musste ein Pkw organisiert werden. Weiterhin hatte sich jeder mit einer wollenen Sturmhaube, wie sie zum Beispiel von Motorradfahrern getragen wurde, die nur die Augen freiließ, neutraler Kleidung und mindestens einer Reisetasche auszustatten.
An dem bewussten Morgen waren dann die drei sehr früh vor Ort. Über eine Stunde vor Öffnung der Bank. Als die türkische Reinigungskraft auftauchte, die Bolle schon vom Sehen kannte, hielt er ihr die Waffe vor die Brust und zwang sie, ihn und seine beiden Kumpel einzulassen. Drinnen fesselten sie die völlig verängstigte Frau und hinderten sie mittels Klebeband am Schreien.
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