„So in Gedanken, Herr Bunzlau? Was ist denn so wichtig? Kommen Sie, trinken wir noch etwas. „Ramsch rief nach dem Ober. Es kam nur ein Kellner. Nachdem die Bestellung aufgenommen war, rauschte der Kellner davon, mit der Nase noch oben, als wolle er die Kronleuchter inspizieren.
„Übrigens, Herr Bunzlau, kennen Sie Herrn Wagner? Axel Wagner?“
„Sie meinen doch nicht den von Zement-Wagner?“
„Doch, doch, ich meine natürlich den Sohn. Er studiert —das heißt, er hat hier in Berlin studiert/ bricht aber sein Studium ab; hat keine Lust mehr; will in den Betrieb seines Vaters bei uns in Kleinbach eintreten. Recht hat er.“
„Ist..., eh... ich meine, nimmt er auch an der Party teil?“ Ramsch lächelte.
„Aber ja, es ist ja eigentlich seine Party. Sozusagen seine Abschiedsvorstellung. Er wird morgen Nachmittag mit uns zusammen nach Düsseldorf fliegen. Der Fahrer seines Vaters holt ihn vom Flughafen ab und wir werden ebenfalls mitfahren. So haben wirs doch bequemer.“
Horst kannte Axel Wagner nicht persönlich, er wusste nur, dass der alte Wagner einen Sohn in seinem, Horsts Alter hatte.
„Hm, sagen Sie Herr Ramsch, wo findet denn die Party statt? Hat Herr Wagner hier ein Haus?“
Ramsch konnte sich ein amüsiertes Grinsen nicht verkneifen.
„Und was für eins“, gab er zu verstehen, „in Dahlem, ganz feudale Ecke. Sie werden es ja gleich sehen. Gehört natürlich dem Alten. Axel wird ziemlich knapp von ihm gehalten, aber das Haus kann er immer benutzen. Steht ohnehin meistens leer, abgesehen von dem Hausverwalter und dem Gärtner. Aber was das Finanzielle angeht, hat Axel auch keine Sorgen. Er hat einen sehr wohlhabenden und großzügigen Freund. Stinkt vor Geld der alte Sack.“
„Eh, Sie meinen, Axel ist auch... nun also...“
„Sei meinen schwul? Sprechen Sie es ruhig aus; es ist kein Schimpfwort für uns. Die Zeiten sind vorbei. Sehen Sie, ich zum Beispiel bin froh, dass ich so bin. Wenn ich daran denke, mit einer Frau im Bett, igittigitt. Ach so ja, Ihre Frage. Axel ist auch auf dieser Seite. Er ist ein netter Kerl, Sie werden ihn mögen.
„Willst du mich verkuppeln, du schwules Paket, dachte Horst. Der scheint tatsächlich zu glauben, er könnte mich doch noch in wärmeres Gewässer lotsen. Da kann ich ja nur lachen. Um Gottes Willen, wenn ich darüber nachdenke, Großvater würde kein Wort mehr mit mir sprechen, und im Verein würden sie mich auslachen und verstoßen. Nein, nein, ich? Niemals!
„Sagen Sie, Herr Ramsch, kennen Sie Axel Wagner schon lange?“ Ramsch sah einen Moment verdutzt drein.
„Ach Sie meinen, ob ich schon was mit ihm hatte?“ Nein, nein, so sei es nicht, klärte Ramsch Horst auf. Axel und er hätten sich vor zwei Jahren auf der Silberhochzeit seiner, Axels, Eltern kennengelernt. Seine, Ramschs, Eltern seien mit den Wagners befreundet gewesen, und sie seien eingeladen worden. Axel habe damals gerade sein Abitur gemacht, und er, Ramsch, habe ihm geraten, in Berlin-zu studieren. Er habe ja selbst ein paar Semester Jura in Berlin studiert, und da habe er Axel gleich ein paar Adressen von Freunden geben können. So habe Axel gleich einen netten Bekanntenkreis in Berlin gehabt. Ramsch sah Horsts versteckte Frage in dessen Augen.
„Ja, ja, es ist so wie Sie denken; Axel ist hier gewissermaßen von einem Ufer zum anderen geschwommen. Ich kann aber wohl sagen, er hat es nie bereut.“
So kann es einem also ergehen, dachte Horst.
Eine halbe Stunde später saßen sie in einem Taxi, das sich in Richtung Dahlem bewegte. Man musste es wohl eher kriechen nennen. Es war Anfang Januar. Die Luft war eiskalt und klar, und auf den Straßen war eine dünne, festgefahrene Schneedecke, da es einen Tag vorher wie wild geschneit hatte. Überall, auf jedem freien Platz, vor jedem Geschäftshaus, in jedem Schaufenster, wimmelte es noch von Weihnachtsbäumen, und alles war ein riesiges Lichtermeer von Weihnachtsbeleuchtung, Reklame und üblicher Straßenbeleuchtung. Horst hatte das Gefühl, sich in einer neuen Oben Welt zu bewegen. Die Menschen auf der Straße wirkten auf ihn exklusiv und feierlich, so als wäre es für sie auch keine Alltäglichkeit, durch diese Weltstadt zu marschieren.
In was für einem Dorf lebe ich doch, dachte er. Mit äußerst gemischten Gefühlen sah er der bevorstehenden Party entgegen. Mein Gott, die meisten werden studiert haben und furchtbar klug daherreden. Wieso habe ich mich eigentlich darauf eingelassen? Plötzlich wünschte er sich wieder nach Hause. Die Riesenstadt machte ihn unsicher. Horst Bunzlau hatte eine fixe Idee, einen Komplex. Er hielt sich für ungebildet, und das Schlimme daran war, dass er es berechtigterweise tat. Am liebsten hätte er Ramsch gebeten, ihn wieder zurück zum Flughafen zu bringen. Aber nein, das nun doch nicht, das würde nun doch zu dumm aussehen. Was für ein Trottel war er doch gewesen. Hätte er sich nicht bereits beim Aussprechen der Einladung fragen müssen, was er auf einer Schwulenparty eigentlich zu suchen hatte? oder hatte er geglaubt, er würde dort auch Mädchen antreffen? Ach, und selbst wenn. Was bedeuteten ihm schon Mädchen? Nie hatte er so recht verstehen können, was seine Kameraden dazu veranlassen konnte, so hinter den zickigen Dingern her zu sein, um sie ins Bett zu bekommen. Aber war er denn dann normal? Robert vom Verein hatte ihn schon öfter mal so komisch angesehen, wenn sie von Mädchen gesprochen hatten.
„Manchmal kommt es mir so vor, als wenn du...“Er hatte es nicht ausgesprochen, aber Horst musste später selbst darüber nachdenken. Und jetzt, dachte Horst, jetzt bin ich im Begriff, mit einem Haufen schwuler Heinis eine Party zu feiern, oder sind vielleicht doch...
„Sagen Sie, Herr Ramsch, sind auch Mädchen, ich meine Damen dabei?“ Ramsch musste unwillkürlich auflachen.
„Ha, ha, ha, aber ja, die eine oder andere wird schon +in. Axel hat einen großen Bekanntenkreis. Aber ganz im Vertrauen, sie sind alle lesbisch.“
Ramsch hatte diese Worte mit einer Gelassenheit hervorgebracht, als hätte er gesagt, sie seien alle ganz nett. Horst spürte, wie er rot wurde, denn der Taxifahrer schien sich mehr für das Gespräch zu interessieren, als für die glatte Straße. Wofür wird der mich jetzt halten, dachte Horst. Ach, zum Teufel! Er gab sich einen Ruck. Was solle, er kennt mich ja nicht, soll er denken, was er will. Ein paar Minuten später hielt das Taxi in einer eleganten Straße, vor einem noch eleganteren Haus. Das Haus stand im Hintergrund eines umzäunten Vorgartens, von dessen Schönheit aber nichts zu sehen war, weil er von einer frischen Schneedecke bedeckt war, die im Licht der Straßenlaternen gelblich wirkte. Ramsch, der den Taxifahrer bezahlt hatte, drückte auf den Knopf der Sprechanlage an der Gartenpforte. Sofort meldete sich Axel Wagner, der wohl schon den Motor des Wagens gehört haben musste.
„Hallo, Klaus, ich habe euch schon am Fenster gesehen. Wen bringst du uns denn da mit?“
„Lass uns erst mal rein, dann werde ich ihn dir vorstellen“, sagte Ramsch, und hastig zu Horst gewandt sagte er: „Ich stelle Sie als meinen Geschäftspartner vor. Ach, und haben Sie etwas dagegen, wenn wir uns duzen? Es ist einem lustigen Abend zuträglicher; wir können es ja im Geschäft wieder ändern, wenn Sie wollen.“
„Gut, wenn Sie meinen“, entgegnete Horst.
“O.k., vergiss nicht, Horst, ich heiße Klaus.“
Die Haustür öffnete sich, und Axel stand mit ausgebreiteten Armen auf der Schwelle.
„Alter Junge, lange nicht gesehen! Nett, dass du einen Freund mitbringst.“
Nachdem Ramsch Horst vorgestellt hatte, reichte Axel Horst die Hand. „Willkommen in der Hütte meines Alten! Kommt Kinder, mischen wir uns unters Volk!“
Sie kamen in eine für Horsts Begriffe ungeheuer große Diele, oder war es eine Halle? Der rote Florentinerboden war mit mehreren kleinen Brücken belegt. Es gab eine Garderobe mit einem riesigen Spiegel, eine lederne Clubgarnitur, die etwas verloren dastand, und noch ein paar antike Möbelstücke. Horst fand das alles nicht sehr geschmackvoll, und er meinte, dass Ramsch wohl etwas übertrieben hätte. Er sah in den Spiegel, der ihm bestätigte, dass er einen recht stattlichen Eindruck machte. Sein sanft und ebenmäßig geschnittenes Gesicht, das von seinen großen braunen Augen beherrscht wurde, und sein seidiges braunes Haar, gaben ihm bei dessen Betrachtung neue Selbstsicherheit. Er sah im Spiegel, wie Axel ihn musterte, und, - hatte Axel Ramsch einen anerkennenden Blick zugeworfen? Oder bildete er sich das ein? Und plötzlich, wie durch einen Windstoß, der seine diffusen Gedanken lichtete, war ihm klar, welche Rolle er hier einnehmen sollte. Darum das ominöse Duzangebot, auf das näher einzugehen ihm keine Zeit mehr geblieben war. Alle werden glauben, ich sei der Intimus des Ramsch, dachte Horst. Wie konnte ich je etwas anderes angenommen haben?
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