„Hanna, Lyssa und Monika!“
„Kommt rein! Nehmt den Aufzug. Dritte Etage.“
Der Türsummer ging an und Hanna drückte die Haustür auf.
Der Hausflur war eine riesige und hohe Halle aus Marmor, Stuck und dunklem Holz. Eine breite Marmortreppe mit einem gewundenen Holzgeländer war der Mittelpunkt des Foyers. An den Wänden und der hohen Decke befanden sich zwischen den Stuckarbeiten Fresken im Jugendstil.
Hanna drehte sich um. Von außen war es nicht zu erkennen gewesen, aber die Glaseinlagen der Haustür schimmerten im Sonnenlicht in den schönsten Farben und zeigten die einzigartigen Motive aus dem Jugendstil.
„Verflucht, das ist teuer hier!“, murmelte sie.
„Mama, du trödelst!“
„Naseweis!“ Hanna ließ sich von ihrer Tochter zu dem Aufzug ziehen. Der Aufzug muss schon von Beginn an hier im Haus gewesen sein, denn der äußere Teil wies schmiedeeiserne Handwerkskunst auf. Im Ziehharmonika-Prinzip gingen die Türen auf und die drei Frauen gingen in den Fahrstuhl hinein.
Der Fahrstuhl war ziemlich groß und geräumig, von innen kernsaniert und entsprach mit TÜV-Siegel und Wartungsdaten den modernsten Anforderungen und Sicherheitsbestimmungen.
„Das ist wunderschön!“, sagte Monika und deutete auf das Tableau mit den Zahlenangaben für die Stockwerke. Passend zu dem Gesamtstil waren die Zahlen und Buchstaben verschnörkelt.
„Hhm!“, bestätigte Hanna und drückte auf den Knopf mit der Zahl drei. Als die Türen zugingen, fiel ihr plötzlich ein, dass sie schnell Beklemmungen in Aufzügen bekam. Kurz krampfte sie ihre freie Hand zur Faust. Monika legte ihre Hand auf den Arm der Tochter, lächelte ihr aufmunternd zu.
Als der Aufzug hielt, stieß Hanna ein stilles Dankesgebet aus. Die Aufzugtür öffnete sich und Helena Kapodistrias stand breit grinsend vor ihr.
„Nana!“ Helena zog Hanna in ihre Arme, drückte sie an sich.
„Umpf!“ Hanna bekam fast keine Luft und sie glaubte eine Rippe knacken zu hören.
„Entschuldige. Ich freue mich nur so, dich wieder zu sehen.“
„Kein Problem, Lena. Ich habe ja noch ein paar Rippen übrig.“
Helena kicherte und umarmte Monika Martens herzlich, aber vorsichtiger und auch respektvoll.
„Meine Güte, Kind! Du siehst wundervoll aus!“ Monika machte große Augen und maß Helena vom Scheitel bis zur Sohle.
Hanna blinzelte und sah sich ihre Freundin genauer an.
Es stimmte. Helena Kapodistrias war schöner, als sie es je zuvor war. Ihre Haut war ebenmäßig und ohne jeden Makel. Die Augen glänzten in verschiedenen Schattierungen und sie lächelte. Sie lächelte offen und ehrlich, strahlte eine innere Zufriedenheit und tiefes Glück aus. Ihre Zähne, schon immer ebenmäßig und weiß, schienen noch ebenmäßiger und weißer geworden zu sein.
„Verdammt, die Liebe bekommt dir!“, ächzte Hanna. Sie empfand plötzlich Neid. Etwas, was sie in Helenas Gegenwart noch nie empfunden hatte.
Helena hob Lyssa hoch und drückte sie an sich. „Hallo, mein Patenkind!“
„Hallo, Tante Lena! Du riechst toll!“
Die schöne Frau strahlte Lyssa an. „Du bist schon wieder gewachsen.“
„Kommt doch in die Wohnung, oder wollen wir im Hausflur Kaffee trinken?“
Die warme, männliche Stimme hinter Helena lenkte die Aufmerksamkeit erfolgreich von ihr ab. Ein großer, blonder Mann mit Engelsgesicht stand lässig in Bluejeans und Poloshirt im Türrahmen der Wohnung.
„Hallo, Hanna. Wir sind uns schon einmal begegnet.“
Hanna musste jetzt doch Grinsen. „Ich weiß. In der Disco. Damals hattest du noch ´ne Matte im Gesicht.“
Jannik Cerný grinste breit zurück und ging auf die drei Gäste zu. Sein Gang war leicht, fast federnd. Immer noch lächelnd nahm er Hannas Hand, drückte sie sanft. „Freut mich, dich noch mal kennen zu lernen. Und Sie müssen Hannas höchstens ein Jahr ältere Schwester sein.“ Er nahm Monika Martens Hand in seine, verbeugte sich leicht darüber und deutete einen Handkuss an. Monika wurde knallrot.
Hanna blickte ihre Mutter erstaunt an. Sie konnte sich nicht erinnern, dass ihre Mutter jemals wegen einem Mann einen roten Kopf bekommen hätte.
„Himmel, Sie sind ein Charmeur!“ Monika war hin und weg. „Helena, wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre, wären wir zwei jetzt Konkurrentinnen!“
Helena lachte und Janniks Grinsen wurde noch breiter. „Frau Martens, Sie sind jung und absolut anbetungswürdig.“
Monika kicherte albern wie ein junges Mädchen und Hanna verdrehte die Augen. Zugegeben, Janniks Charme war überwältigend, aber Hanna fand, dass er zu dick auftrug.
Helena ließ Lyssa runter und sie gingen alle in die Wohnung. Galant half Jannik seinen Gästen aus den Jacken und hängte sie in die Garderobe.
Hanna war beeindruckt. Der Eingangsbereich der Wohnung hatte dunkles Parkett, die Wände waren in rot, schwarz und creme gehalten. Moderne Grafiken in dunklen Rahmen hingen als Blickfang an den Wänden.
Helena öffnete eine dunkellackierte Schiebetür und führte die Gäste in den Wohnbereich. Auch hier war der Boden aus dunklem Parkett. Die Wände waren nur roh verputzt worden, an manchen Stellen blitzten Klinkersteine im Originalfarbton hervor. Dunkle Regale standen sparsam verteilt an den Wänden, gefüllt mit Büchern, CDs und Accessoires. Ein Fernseher mit Flachbildschirm stand auf einem dunklen, kleinen Sideboard. Der dunkle Couchtisch stand auf einem cremefarbenen Kamelhaarteppich, drapiert von einer cremefarbenen Dreisitzer-Couch und zwei Sesseln in derselben Farbe. Auf dem Couchtisch stand ein einzelner Kerzenhalter, der eine dicke rote Kerze hatte.
>Die Couch sieht irgendwie neu aus! <, dachte Hanna.
Große Fenster, die auf eine Dachterrasse führten, fluteten den Raum mit hellem Licht.
„Lena, das ist wundervoll!“
„Oh, ich habe gar nicht so viel verändert, als ich eingezogen bin.“
„Häh?“
„Jan wohnte schon hier. Wir haben einfach den gleichen Geschmack. Lediglich die Couchgarnitur und die Essecke sind neu. Kommt mit, ich zeige euch den Rest des Lofts.“
Helena und Jannik führten ihre Gäste umher. Die Küche war ein moderner und stilistisch geschmackvoller Raum. Marmor und gebürsteter Edelstahl, die modernsten Geräte, die das Kochen erleichterten.
Das Schlafzimmer der beiden war ein Traum in Blau und Weiß ohne viel Schnörkel. Der Kleiderschrank war in der Wand eingelassen und störte somit das Gesamtbild des Zimmers nicht.
Das angrenzende Badezimmer war aus dunklem Marmor mit goldfarbenen Armaturen. Eine riesige Badewanne bildete den Mittelpunkt und die ebenerdige Dusche in der einen Ecke bot Platz für zwei.
Hanna hatte plötzlich einen Anfall von lebhafter Fantasie, als sie sich ihre Freundin und deren Freund bei zärtlichen Spielen in diesem Raum vorstellte. Schnell und mit hochrotem Kopf schüttelte sie ihre Gedanken ab.
„Das Bad ist ja größer als mein Kinderzimmer!“, stöhnte Lyssa.
„Wir haben auch zwei Gästezimmer und ein Gästebad.“ Jan hatte seine Gäste den Korridor entlang geführt und öffnete eine weitere Tür. Das Gästezimmer, das er zeigte, war ebenfalls modern eingerichtet und wies eine klare Linie auf. Hier standen ein kleiner Kleiderschrank und ein Sideboard gegenüber dem Bett. Auf dem Sideboard stand ein kleiner Fernseher. Alles war hell und freundlich. Auch das Gästebadezimmer war eine Augenweide in cremeweiß und blau.
„Ich bin schwer beeindruckt“, gab Hanna zu, als sie sich an den Esstisch gesetzt hatten, der ausgezogen worden war und zwischen Küche und Wohnzimmer stand. Duftender Kaffee und ein luftig leichter Käsekuchen standen bereit. Sechs Stühle standen an dem Tisch, wobei zwei Stühle anders aussahen als die anderen vier.
„Lyssa, möchtest du Kakao oder Saft?“ Helena stand mit einem Glas an der Küchentür.
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