„Guten Morgen, Kollege“, grüßt Zink den Polizisten der ihnen entgegenkommt.
„Guten Morgen“, er nickt den beiden Kriminalbeamten zu. „Bitte kommen sie, hier hinten liegt der Tote“, sagt der Uniformierte und geht voraus. Sie müssen durch ein vom nächtlichen Regen aufgeweichtes Blumenbeet stapfen, um zur Leiche zu gelangen.
„Das hat gerade noch gefehlt“, mault Brenner. „Wenn ich das geahnt hätte, wäre ich in Gummistiefeln gekommen.“ Wie ein Storch schreitet er in den Fußabdrücken seiner Kollegen hinter ihnen her, um seine Schuhe nicht zu ruinieren.
„Dort liegt er.“ Ihr Kollege deutet auf eine Hecke. „Ich warte hier, wenn sie nichts dagegen haben, mir ist von dem Anblick jetzt noch schlecht.“
Zink und Brenner gehen vorsichtig an ihm vorbei. Nach ein paar Schritten sehen auf den Toten hinab. Die beiden Beamten haben weiß Gott schon einiges in ihrer Laufbahn gesehen. Doch dies ist ein grausiger Anblick, der sich ihnen bietet. Dass es sich um einen Mann handelt, erkennt man erst bei näherem Hinsehen.
Die völlig entkleidetet Leiche ist furchtbar zugerichtet. Der Rücken ist mit unzähligen Schnitten und Stichverletzungen übersät. An den Handgelenken, sowie an den Knöcheln der Füße zeichnen sich dunkle, tief in das Fleisch eingeschnittene Wunden ab. Da das Opfer auf dem Bauch liegt, müsste es umgedreht werden um das Ausmaß weiterer Verletzungen zu erkennen.
„Mein lieber Mann, da hat einer aber ganz schön Dampf abgelassen. Wer ist dazu fähig einen Menschen so zuzurichten, kannst du mir das sagen, Heinz?“
„Ein Wahnsinniger, ein gehörnter Ehemann, eine betrogene Ehefrau oder eine sitzen gelassene Freundin. Vielleicht ein Racheakt der Unterwelt, heutzutage ist alles möglich, Lothar. Jedenfalls sieht das nicht nach der Tat eines psychisch gesunden Menschen aus. Wer zu so etwas fähig ist, muss krank sein. Komm gehen wir zurück und warten auf die Spurensicherung.“
„Moment noch“, Brenner beugt sich nach vorne. Mit prüfenden Blicken sucht er das Gras ab. „Keine Blutspuren zu sehen“, stellt er fest. „Der Fundort ist augenscheinlich nicht mit dem Tatort identisch. Dennoch müssten Blutspuren zu erkennen sein, es sei denn ...“ Er bricht mitten im Satz ab, richtet sich wieder auf und sieht Zink an.
„Es sei denn, der Regen vergangene Nacht -.“
„Hallo Kollegen, macht mal bitte Platz, damit wir an die Arbeit gehen können“, unterbricht eine Stimme Zink in seinen Überlegungen. Franz Gertel von der
Spurensicherung kreuzt mit seinen Männern in ihren weißen Overalls auf. Er begrüßt Zink und Brenner per Handschlag. „Schon was entdeckt?“
„Für uns Laien ist hier nicht viel zu erkennen, Franz“, antwortet Zink, „wir verlassen uns voll und ganz auf euch.“
„Dann wollen wir mal loslegen. Jungs!“ Gertel gibt seinen Männern einen Wink, die sofort mit ihrer Arbeit beginnen. Die Beamten stellen eine kleine gelbe Tafel mit der Nummern 1 neben der Leiche auf. Anschließend suchen sie den Fundort in einem größeren Radius Zentimeter für Zentimeter ab. Jeder noch so unscheinbare Hinweis, die kleinste Spur, alles wird mit weiteren, fortlaufend nummerierten Täfelchen gekennzeichnet. Gleichzeitig wird der Tote aus verschiedenen Positionen fotografiert.
Nachdem die Spurensicherung ihre Arbeit beendet hat, winkt Gertel Zink, Brenner und den inzwischen eingetroffenen Rechtsmediziner zu sich heran. „Sie können anfangen, Doktor, wir sind fertig“, sagt Gertel. Er wendet sich Zink und Brenner zu. „Dort drüben“, er deutet nach links auf ein Blumenbeet, „etwa zwanzig Schritte von der Leiche entfernt, ist jemand durch das Beet zur Straße gelaufen. Die Person hat einige blitzsaubere Fußabdrücke in der feuchten Erde hinterlassen. Ansonsten sieht es auf den ersten Blick nicht gut aus. An der Hecke einige angebrochene Zweige, die wir im Labor auf Faserspuren untersuchen. Das ist vorerst alles. Ach ja, das hier ist auf keinen Fall der Tatort, die Leiche wurde hier abgelegt.“
„Ziemlich dürftig, Franz“, sagt Zink der aufmerksam zugehört hat, „aber besser als gar nichts.“
„Tut mir leid, dass ich nicht mit mehr dienen kann. Meinen Bericht bekommst du so schnell wie möglich, wir verschwinden jetzt. Macht ´s gut!“
„Mach ´s besser“, antwortet Zink. Er sieht den abrückenden Beamten der
Spurensicherung nach. „Lass uns mal hören“, sagt er nach einer kurzen Denkpause zu Brenner, „was der Arzt zu sagen hat.“
Als sie bei ihm angelangt sind, erhebt sich der Rechtsmediziner soeben schwer atmend aus der Hocke. Er hat den Toten zur Seite gedreht. „Sehen sie sich das an“, er deutet auf das Opfer. „Der Mann wurde richtiggehend massakriert. Der Körper des Mannes weißt zentimetertiefe Schnittwunden und Einstiche im Brust- und Bauchraum sowie an den Oberschenkeln auf.“ Der Arzt unterbricht kurz, nimmt seine Brille ab und putzt sie mit seinem Taschentuch. Als er damit fertig ist setzt er die Augengläser wieder auf. „Das war der harmlose Teil, jetzt wird es langsam interessanter.“ Er atmet tief durch, was weniger mit dem Anblick der Leiche, als mit seiner Körperfülle zu tun hat. „Der Körper ist allem Anschein nach völlig blutleer, was an Hand der schweren Verletzungen nicht verwunderlich ist. Beide Augen wurden ihm ausgestochen. Sein Penis ist abgetrennt“, erklärt der Arzt emotionslos den beiden Kriminalbeamten. „Und wenn sie glauben, meine Herren, dass es keine Steigerung mehr gibt, täuschen sie sich.“
Er hält kurz inne. Mit Daumen und Zeigefinger rückt er seine Brille zurecht. „Sein Herz fehlt!“
„Was?“, entfährt es Zink und Brenner wie aus einem Mund. Ungläubig sehen sie den Arzt an.
„Das darf doch nicht wahr sein!“ Brenners Blick fällt auf das Opfer. „Bist du sicher?“
„Ich bitte dich!“ Ein vorwurfsvoller Blick trifft Brenner.
Leicht beleidigt fährt der Arzt mit seinen Ausführungen fort: „Außerdem war er an seinen Handgelenken und Knöcheln, wie du anhand der Blutergüsse und den tiefen Einschnitten unschwer erkennen kannst, wahrscheinlich mit einem Draht oder einer dünnen Nylonschnur gefesselt.“
Zink fährt sich durchs lichte Haar. „Wann etwa wurde er, man muss wohl sagen, abgeschlachtet?“
„Das kann ich ohne genauere Untersuchung nicht sagen, Herr Hauptkommissar.“
„Ich will es jetzt auch nicht genau auf die Minute wissen, sondern ungefähr.“
„Berücksichtigt man außer der Tatsache, dass er völlig ausgeblutet ist auch noch den Regen heute Nacht, würde ich sagen so zwischen zweiundzwanzig Uhr gestern Abend und drei Uhr heute Früh. Näheres kann ich ihnen erst nach der Obduktion bekannt geben. Sagen wir ...“, er überlegt kurz, „... morgen im Laufe des Tages.“
„Danke Doktor“, sagt Zink nachdenklich. Er reibt seine Nasenwurzel zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand. „Für den Anfang war das vorerst alles.“
Der Arzt gibt seinen zwei Begleitern, die darauf warten den Toten ins Rechtsmedizinische Institut zu bringen, einen Wink. Sie legen den grässlich verstümmelten Leichnam auf einen bereits ausgebreiteten, aus speziellem Kunststoff bestehenden, luft- und flüssigkeitsdichten Leichensack. Nachdem einer der Beiden den Reißverschluss zugezogen hat, heben sie den Toten in den bereitstehenden Bergungssarg aus Polyethylen.
Читать дальше