Alle drei Fahrzeuge fuhren hintereinander an der Zahlstelle des Parkplatzes vor. Beide, Garcia und Pato, hatten Gelegenheit, sich das Gesicht Grafs einzuprägen. Dank seines kahlen Kopfes war er nicht zu verkennen.
Die drei Wagen überquerten nach wenigen Augenblicken die Brücke über den Rio Rimac und bogen kurz darauf nach links in die Avenida Argentina Richtung Stadtzentrum.
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Rupert Graf lehnte sich in seinem Sitz zurück und zog die Luft ein.
„Es riecht immer noch so widerlich wie beim letzten Mal," sagte er. Das Geruchsgemisch von Abgasen, schwelenden Müllhaufen, von Fäkalien und der nahegelegenen Fischmehlfabrik ist typisch für Lima, insbesondere in der Nähe des Flughafens. Gerade hier um den Fluss herum gibt es eine Reihe von Pueblos Jovenes, "jungen Ortschaften", wo die Ärmsten der Armen in Hütten aus Pappkartons oder Bastmatten leben, zwischen Müll und ihren eigenen Abwässern, die im Boden versickern. Das triste Bild wird nur aufgelockert durch die farbenfrohen peruanischen Flaggen, die über jeder Behausung wehen. War die Fahne erst hochgezogen, durfte der Erbauer des Hauses nicht mehr vertrieben werden. So wollte es irgendein Gesetz.
Graf ließ sich von Kinzel das Programm für den Aufenthalt erklären. Kinzel legte besonderen Wert darauf, den guten Kontakt zur Marineführung zu erläutern.
"Du wirst sehen, Rupert, Chavez will die Schiffe. Und der Kontakt stimmt. Walter ist mit Chavez ganz eng."
„Die Marine kann doch hier nichts entscheiden! Das wird ein finanzielles Problem. Der Finanzminister muss mitmachen, der Präsident, das Parlament, auch wenn das hier wohl nicht sehr ernst genommen werden muss. Wie will Chavez, selbst als Chef der Marine, sicherstellen, dass die alle mitspielen?"
"Über Freundlichkeiten. Darüber haben Walter und Chavez sich Gedanken gemacht, sonst hätten wir dich nicht einfliegen lassen."
„Dir ist bewußt, dass bei uns die Gewährung von Freundlichkeiten im Ausland inzwischen bestraft wird,“ sagte Graf. „Das kann dich nicht nur den Job kosten, sondern dich in den Knast bringen.“
„Da werdet ihr doch wohl Mittel und Wege finden.....“ antwortete Kinzel gelassen. „Ohne Schmiergeld läuft hier im Lande doch nichts. Nada! Kein Dokument einer Behörde, kein Ausweis, keine Dienstleistung! Das weißt du doch selbst!“
Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu:
„Und alle unsere Konkurrenten wissen das auch!“
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Kinzel wohnte, wie Enrique Pato sah, in einem der schöneren Teile von Miraflores, in einer ruhigen Seitenstraße mit gepflegten Rasenflächen vor hohen weißen Mauern, die die Grundstücke umgeben. Hier warfen großgewachsene Eukalyptusbäume Schatten, und über die Mauern ragten die Spitzen von Bananenpflanzen und Avocadobäumen. All diese Pflanzen müssen täglich begossen werden, da es in Lima so gut wie niemals regnet. Jeden Tag machen sich Heerscharen von Gärtnern auf in diese Gegenden der Stadt, in denen die Reichen wohnen, Geschäftsleute, Politiker, hohe Verwaltungsbeamte und Militärs. Die Gärtner kommen von weither, aus den Armenvierteln, sie kommen auf Fahrrädern, hinter denen sie auf einem kleinen Anhänger ihre Gerätschaften transportieren, Hacke, Spaten, einen Rechen, einen Handrasenmäher. Aber die Gärtner haben zumindest Arbeit, und sie verdienen nebenbei Geld durch den Verkauf von Gartenpflanzen.
Auf der Mauereinfassung des Grundstücks blinkten Glasscherben.
Zu Patos Leidwesen hatte Graf schlichtweg abgelehnt, das für ihn vorbereitete Zimmer im Hotel zu beziehen. Er hatte strikt darauf bestanden, ein Zimmer in einem der unteren Geschosse zu bekommen.
Pato, der aus seinem Auto heraus die Vorfahrt des Ehepaares Fernandez beobachtete, sah sich um. Er dachte darüber nach, wie er Kinzels Haus mit einer Abhöranlage ausstatten lassen könnte. Zu viel Wirbel würde Aufsehen erregen. Außerdem musste er erst mal sehen, wie sich das Ganze entwickelte.
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"Was darf ich zu trinken bringen, Señora? Ihnen, Walter?" fragte Kinzel seine Gäste. Kinzel war hocherfreut über die Pünktlichkeit von Fernandez. Auch wenn "hora alemana", "deutsche Zeit", ausgemacht worden war und dieser Begriff in Peru wirkliche Pünktlichkeit bedeutete, war man nie sicher, ob Gäste nicht mit ein bis zwei Stunden Verspätung erscheinen würden. Das Dienstmädchen servierte Getränke, chilenischen Champagner für die Damen, Whisky für Fernandez und Kinzel, ein Glas Weißwein für Graf.
Graf machte Liliana de Fernandez ein paar artige Komplimente, die diese wiederum ausgesprochen angenehm empfand. Dass Graf ihr zur Begrüßung die Hand geküsst hatte, hatte sie charmant gefunden.
Nach einer Weile standen die drei Herren auf und gingen in die neben dem Wohnraum liegende Bibliothek.
Diese Bezeichnung mochte übertrieben sein für einen großzügigen Raum, auf dem an einer Seite wandhohe Bücherregale aus Teakholz eingelassen waren. Weicheres Holz als Teak würde sofort von Ameisen zerfressen. Der Raum war mit einer Sitzgruppe ausgestattet, mit einem Schreibtisch unterm Fenster und mit einem Fernsehgerät mit DVD-Recorder.
In den Regalen standen mehr DVDs als Bücher.
Graf bat Kinzel, als sie sich setzten, den Fernseher anzuschalten und auf Zimmerlautstärke einzustellen.
Dann wandte er sich an Fernande z.
"Ihre Marine will Korvetten, Señor Fernandez?"
"Ja, Señor Graf. Lutz wird Ihnen gesagt haben, dass ich verwandtschaftlich verbunden und eng befreundet bin mit dem Oberkommandierenden der Marine, Admiral Rogerio Chavez. Chavez steht unter Druck, weil unsere Gewässer überfischt werden. Es wurden in großer Anzahl Fischereischiffe aus Japan und Russland ausgemacht. Selbst spanische Schiffe fahren bei uns herum.“
Er nahm einen Schluck aus seinem Glas, bevor er fortfuhr:
„Ich spreche nicht von einer Handvoll von Trawlern. Die kommen mit zwanzig, dreißig und mehr Schiffen, darunter Fabrikschiffe, auf denen der Fang sofort verarbeitet wird. Die peruanische Flotte ist zu klein und überaltert, um reagieren zu können. Chavez liegen Berichte vor, nach denen beim Erscheinen seiner Marine die Fischereischiffe sich über den Horizont und aus unserer Zweihundertmeilenzone davonmachen. Die sind schneller als unsere Marineeinheiten."
"Señor Fernandez, hierfür käme man auch mit Fischereischutzbooten aus. Solch einfache Schiffe sind preiswerter und leichter zu beschaffen. Wenn wir allein über Fischereischutz sprechen, ist der Wunsch nach Korvetten überzogen. Bei Korvetten reden wir selbst bei nur leichter Bewaffnung über Schiffe mit einem Stückpreis von mindestens hundert bis hundert fünfzig Millionen Dollar."
„Señor Graf, das ist Chavez bewusst. Der Druck auf Chavez kommt nicht nur aus dem Fischereiministerium. Peru ist von der Fläche her ein großes Land, aber wirtschaftlich ein Zwerg. Wir haben enorme Probleme, was Armut in weiten Teilen der Bevölkerung angeht. Die Fischerei ist wesentlicher Bestandteil unserer Wirtschaft. Wir stehen unter Druck der USA, mehr zur Bekämpfung des Drogenschmuggels zu tun. Unser Nachbar Chile hat sich wirtschaftlich erholt und baut eine eigene Rüstungsindustrie auf. Ecuador im Norden macht Ärger. Sicherlich ist Ihnen bekannt, dass wir ungeklärte Grenzverläufe im Amazonasgebiet haben. Auch wenn im Moment das Verhältnis zu beiden Ländern friedlich ist, es ist keinesfalls freundschaftlich. Chavez sieht die Chance, jetzt ein solches Projekt durchzubringen. Neue Schiffe braucht er ohnehin. Verteidigungsminister General Urraca hat ihm Unterstützung zugesagt. Nur, wenn wir dieses Vorhaben offiziell angefragt hätten, hätten Sie wahrscheinlich eine Absage erteilt. Ich kann angesichts der Lage unseres Landes und unserer Auslandsverschuldung Ihre Skepsis verstehen.“
Graf sah Fernandez mit ausdruckslosem Gesicht an, sagte aber nichts.
„Insofern ist Rogerio Chavez dankbar, dass Sie sich der Mühe der Reise hierher unterzogen haben. Die deutsche Industrie hat genügend oft bewiesen, dass sie auch für ärmere Länder Finanzierungskonzepte hat finden können. Deshalb hat Chavez mich gebeten, Kontakt zu Ihnen zu suchen. Er sieht jetzt eine Chance, seine Marine mit modernen und schlagkräftigen Schiffen auszurüsten."
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