Joyce Mugozi– Verhörspezialistin des TISS
David Ngalama Ole-Nangoro– Makaïdis Vorgesetzter
Bob Bestbier– Chef der Söldnertruppe Executive Output (EO) in Prag
Piet van Vegan– Söldner und Taucher von EO
Eulalie Ntibagayimvo– Agentin des burundischen Geheimdienstes SNR
Clément Nibizi– Ntibagayimvos Partner, angeblich Pastor
Adrien Barbier– DGSE-Agent, angeblich Friseur
Felista Bwire– Bekannte von Honorata, Wirtin in Mwanza
Paulo Bwire– Felistas Drittgeborener, Fischer in Mwanza
Ambi Maregesi– Journalistin in Mwanza
Josbell Sikazwe– Taucher, Petermanns Buddy
Wilfrem Fundikira– Makaïdis Ex-Assistent, Inspektor
Nehemiah Baregu– Makaïdis zweitbester Ex-Assistent, Sergeant
Dr. Maua Okurut– Regierungsdirektorin
Daudi Mitigyakibira– TISS-Chef in Mwanza
Rücklingslässt sich der Mann von der Bootskante fallen. Sofort ist er umgeben von trübem Wasser, kann kaum noch einen Meter weit sehen. Orientierung gibt nur noch das Seil.
Alle hatten sie gewarnt: So kurz nach dem großen Gewitter sei das Wasser des Viktoriasees viel zu aufgewühlt und trüb, als dass sich ein Tauchgang lohnen würde. Trotzdem hatten sie sich entschlossen, es heute noch einmal zu wagen. Denn bald dürfte es hier nur so wimmeln vor Konkurrenz. Sobald das Wasser aufklart, würden ihnen auch die örtlichen Freitaucher wieder in die Quere kommen, die seit Jahr und Tag immer wieder Kleinigkeiten aus der Tiefe bargen. Bestimmt hat es sich längst herumgesprochen, dass da Fremde am Wrack der Bukoba zugange sind, die jedem Besucher Schweigegeld versprechen. Da ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann jemand sie an die Behörden verraten wird.
Das Wasser um ihn herum, in gut zwanzig Meter Tiefe, ist inzwischen eine einzige milchige Brühe. Er muss darauf vertrauen, dass sie ihren Liegeort exakt vermessen haben. Zwar hat er sich diesmal rasend schnell am Führungsseil herabgelassen, das tatsächlich am Schiffsrumpf landete, aber mehr als eine Viertelstunde bleibt ihm trotzdem nicht. Sobald er den Tauchscheinwerfer einschaltet, wird er gelbweiß geblendet wie im dichten Nebel. Kein Lichtstrahl dringt weiter als bis zur Hand. In einer solchen Umgebung einen Safe zu suchen, ist schlicht Wahnsinn.
Als Rettungstaucher vor fünfzehn Jahren hier unten in der gesunkenen Fähre Ertrunkene bargen, mussten sie sich zwischen herum schwimmenden Gepäckstücken, Bananenstauden und aus dem Nichts auftauchenden, zerquetschten Leichen zurechtfinden. Auch heute darf er sich zwischen dem verbogenen Stahl nur in Zeitlupe bewegen, alle paar Sekunden stupsen Schultern, Flossen, Hände oder Knie an irgendwelche unsichtbaren Gegenstände, mal hart, mal weich, beinahe schwabbelig, dann wieder gefährlich scharfkantig. Vier Tauchgänge hatten sie gebraucht, um einen Weg in die Kajüte des Kapitäns zu finden. Aber wo, zum Teufel, soll hier bloß ein Tresor sein?
Einige der damals beim Kentern des Schiffs eingeschlossenen Passagiere überlebten noch zwei dunkle Nächte in ihrer zunehmend stickiger werdenden Kabine. Wrack-Spezialisten der südafrikanischen Navy hätten sie retten können. Sie verfügten über Erfahrung und Gerät. Doch sie kamen einen Tag zu spät. Aufgequollene, verwesende Leichen zu bergen, hatten die Taucher dann nach wenigen Tagen wieder aufgegeben. „Zu traumatisierend, zu gefährlich“ hieß es, zu oft waren sie zwischen die ertrunkenen Körper geraten, die sich im Todeskampf ineinander verhakt und verknotet hatten. „Du siehst da unten die Hand nicht vor den Augen. Das Wasser ist so schmutzig, voller Stofffetzen, Flaschen, Gegenstände treiben herum. Die Leichen kommen aus der totalen Dunkelheit, du siehst sie erst, wenn du sie berührst“*, so einer der Taucher. Ein Geflecht aus ungezählten Toten verblieb im Bauch der gesunkenen Fähre. Hunderte Opfer, fast alles Passagiere aus der vollbesetzten 3. Klasse unter Deck, wurden nie bestattet. Das Wrack wurde zum Friedhof erklärt, jedes Tauchen verboten.
Seitdem besetzt die Tragödie, der Untergang der MV Bukoba auf dem Viktoriasee am Dienstag, dem 21. Mai 1996, wenige Kilometer vor Tansanias zweitgrößter Stadt Mwanza einen zentralen Platz im Trauergedächtnis der Nation. Eine Bergung des Schiffs stand nie zur Debatte, dafür fehlen in dieser Ecke der Welt noch auf Jahrzehnte hinaus alle Mittel.
Bald würde er aufgeben müssen, fehlende Sicht und Zeit machen die weitere Suche unmöglich. Plötzlich aber verfängt sich sein linker Knöchel an irgendetwas Weichem. Ein Kabel? Der Fuß zuckt zurück, verheddert sich, dann spürt er einen schmerzhaften Schlag auf der Wade. Reflexartig greift er nach dem vermeintlichen Angreifer und reißt sich an einem Blech Arm und Taucheranzug auf. Sofort färbt sich das Wasser im Licht der Lampe dunkel mit Blut. Panik steigt in ihm auf: In der Hand hält er einen Fetzen Stoff, in dem ein kräftiger Knochen steckt. Instinktiv schwenkt er wild seine Hände, reißt die Lampe auf und ab, signalisiert „Abbruch!“. Doch in dieser Brühe sind Tauchzeichen überflüssig. Sein Buddy bekommt von alledem nichts mit. Mit verzerrtem Gesicht schreit er in die Maske, zieht panisch am Sicherungsseil.
Wenn er sich nicht sofort beruhigt, kann ihn niemand mehr retten.
Das Thermometerauf der Terrasse zeigt fünf Grad über Null. Eigentlich ist Frühling, aber wirklich spüren lässt sich das noch nicht. Der Blick hinaus auf die weiten Felder vor den Harburger Bergen, gerade erst befreit von morgendlichen Nebelschwaden, wandert über kahle Flächen. Noch ziert nur zartes Grün die Büsche und Bäume der Umgebung. Hier oben in Rosengarten sei es immer zwei Grad kälter als in Hamburg, sagen die hier Geborenen.
Jens Petermann beugt sich über seinen konferenztischgroßen Schreibtisch, sinniert über der riesigen Konstruktionszeichnung eines Schulzentrums und schüttelt zweifelnd den Kopf. „Das wird so nichts!“, murmelt der hoch aufgeschossene Mann vor sich hin. Zum Glück ist er diesmal nur Zweitgutachter, das mindert die Verantwortung. Gerade, als er sich einen Kaffee holen und erste Eindrücke in den Laptop diktieren will, klingelt es. Zu früh für freundliche Besuche, und die Post war schon da. Beim Blick durch die verglaste Haustür schwant Petermann nichts Gutes. Vor der Tür steht seine stets leicht überdrehte Nachbarin.
„Silke! Schön, dich zu sehen! Was treibt dich so früh ...“ Weiter kommt er nicht. Stattdessen drängt sich Silke durch die Tür und überschüttet ihn sofort mit hysterisch aufgeladenen Fragen.
„Weißt du’s schon? Hat es euch niemand erzählt? Wo steckt denn Frieda? Die wird das doch bestimmt längst wissen!“ Aufgelöst schaut sich die Frau im Hausflur um.
Jens und Frieda Petermann leben seit Menschengedenken in ihrem Dorf am Südrand Hamburgs. Fest verwurzelte Sandkastenfreunde, die die Liebe nach dem Studium zurück in die Heimat trieb. Das Haus ist Friedas Elternhaus. Nur mit dem Kinderkriegen wollte es nie etwas werden, und jetzt, mitten in den Vierzigern, ist das auch nicht mehr geplant.
„Silke, komm doch mal zur Ruhe. Wovon redest du? Was ...“ Erneut wird Jens Petermann unterbrochen. In seinen gelösten Zügen zeigen sich nun doch erste Falten.
„Gerd ist weg! Verschwunden!“
„Aber das weiß doch jeder. Der ist in Tansania, arbeiten.“
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