»Und wenn wir mit der PINGO runterfahren und DODI hinterher schleppen? Ich hab genug Diesel an Bord«, kam ihm plötzlich die rettende Idee. »Dann sind wir da unten voll einsatzfähig, und meinen Dampfer legen wir so auf Reede, dass er nicht trockenfällt.«
Ich schenkte Heinz einen anerkennenden Blick. Der Knabe konnte ja sogar mitdenken. Trotz der Hitze schien sein Gehirn noch wendig genug, um solche Pläne zu entwickeln. Der PINGO-Skipper stieg in meiner Achtung ein beträchtliches Stück. Wir waren uns einig. Ohne weitere, überflüssige Worte zu verlieren, kurbelten wir die Schnüre unserer Angelruten ein. Kurzer Motorencheck, Leinen los und ab ging es. DODI folgte treu und brav der PINGO an der langen Schleppleine. Heinz schnupperte wohl plötzlich Abenteuerluft, denn er legte den Hebel auf den Tisch und ließ seine Safir durch die Wellen preschen. Am Nordende der langen Weserinsel Harriersand bogen wir am frühen Abend in die kleine Weser ein und hatten Glück. Das Wasser fing gerade an aufzulaufen und wir tasteten uns in den flachen Nebenarm hinein. Es gab dort eine Stelle, die nicht trocken fiel, und an der immer genügend Wasser verblieb. Dort konnte die PINGO auch bei Ebbe liegen. Wir warfen Anker und steckten eine ausreichend lange Leine aus, denn der Tidenhub betrug hier etwa vier Meter. Heinz kochte Kaffee für die Nacht, während mir die ruhmreiche Aufgabe zuteilwurde, mittels einer groben Nadel an die 100 Tauwürmer auf zwei Wollfäden zu ziehen. Ja, als Angler muss man manchmal hart im Nehmen sein.
Die Sonne war bereits untergegangen, und die Dämmerung brach herein. Wir schlossen die Schotten der PINGO und wechselten auf die DODI hinüber. Um mehr Bewegungsfreiheit zu haben, hatte ich die Persenning über der Plicht abgenommen. Wir lösten die Leinen und stießen von dem größeren Boot ab. Gemächlich trieb DODI tiefer in den Seitenarm der Weser hinein. Dann startete ich den Motor und steuerte das Boot in die Mitte der Fließrinne. Da die Strömung uns mit sich zog, brauchte ich nur wenig Gas zu geben, um das Boot manövrierfähig zu halten.
»Kennst du dich hier aus?«, fragte Heinz und man konnte merken, dass ihm nicht wohl dabei war, wenn ein anderer das Ruder hielt.
»Wie in meiner Westentasche«, beruhigte ich ihn und steuerte auf das Aschwardener Siel zu, in dessen Auslaufrinne ich vor den starken Sieltoren dicke Aale zu fangen gedachte. Es kam darauf an, mit der steigenden Flut langsam an den Schlickbänken emporzusteigen und dabei Rinnen zu finden, die über die Schlickkante hinweg ins Hinterland führten. Die Aale nahmen nachts bei auflaufendem Wasser diesen Weg in die breiten Schilfgürtel, um sich an allerlei Getier satt zu fressen. Mit ablaufender Tide verließen sie die Gräben wieder und schwammen mit dem Ebbstrom zurück in den großen Fluss.
Heinz merkte schnell, dass ich meine DODI genauso sicher führte, wie er sein eigenes Boot. Meine umsichtigen Manöver beruhigten ihn und er fing an, Vertrauen in meine seemännischen Fähigkeiten zu fassen. Wir wählten den Platz sorgfältig aus, ankerten und bliesen das Kinderplanschbecken auf, das Heinz aus den unergründlichen Tiefen seines Frachters gekramt hatte. Wir banden es neben unserem Boot fest, denn die Aale würden den Köder loslassen, sobald sie aus dem Wasser gehievt wurden. Dann fielen sie unweigerlich wieder zurück, wenn wir es nicht schafften, sie vorher über die aufgeblasenen Gummiwülste in den Mini-Swimmingpool zu befördern.
Mittlerweile war es ganz dunkel geworden, und wir führten kein Licht, damit sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnen konnten.
»Na denn!«, gab ich das Startzeichen und wir senkten unsere Gewichte mit den Ködern hinab in das trübe Wasser. Selbst im dicksten Stock spürt man, wenn das Blei auf dem Grund aufsetzt. Man hebt es dann soweit an, dass der Köder eben über dem Boden schwebt und spürt den leisesten Zupfer des kleinsten Aales. Und heute zupften hier nicht nur die Kleinen. Es ging hoch her da unten, denn die schleimigen Gesellen hatten Kohldampf. Ein Aal nach dem anderen wanderte in unser Fangbecken.
»Hast du einen Räucherofen?«, wollte Heinz wissen und bei dem Gedanken an frisch geräucherte Aale lief ihm bereits das Wasser im Mund zusammen. Ich hatte! Irgendwo musste der alte Räucherschrank noch in einer dunklen Ecke eines Schuppens herumstehen und auf bessere Zeiten warten. Diese schienen heute anzubrechen. Wir fingen und fingen, und uns wären sicher die Arme abgefallen, wenn nicht irgendwann urplötzlich die Aale aufgehört hätten zu beißen. Wir nutzten den Moment, um einen Happen zu essen und uns einen Schluck heißen Kaffee zu gönnen. Selbst im Sommer sind die Nächte auf dem Wasser recht kühl.
»Komisch«, murmelte ich. »Bis Hochwasser ist es doch noch eine Stunde hin. Warum hören die Biester auf zu beißen?«
»Sag mal, hörst du das?«, nuschelte Heinz, denn er kaute mit vollen Backen. Ich lauschte angestrengt in das Dunkel der Nacht, konnte aber keinen Laut hören.
»Eben«, murmelte Heinz. »Es ist so still!«
Er hatte Recht. Es ging kein Hauch, das Schilf, das hier an den Ufern einen breiten, fast undurchdringlichen Gürtel bildete, regte sich nicht. Kein Tier war zu hören, nur in der Ferne schlug eine Turmuhr einmal.
»Ein Uhr! Gott sei Dank«, flüsterte Heinz.
»Wieso?«
»Na, dann ist Geisterstunde doch schon vorbei!«
»Bist du sicher?«, fragte ich und deutete hinaus auf den Strom. Irgendwo dort in der Dunkelheit bewegte sich ein schwaches Licht auf und nieder. Heinz fiel die Mettwurststulle aus der Hand. Sie klatschte mit einem dumpfen Laut auf den Holzboden.
»Was ist das?«, fragte er flüsternd, aber auch ich hatte darauf keine Antwort. Ein klagender Laut wehte über das Wasser und jagte uns einen kalten Schauer über den Rücken. Das Licht bewegte sich jetzt zur Seite, wurde dabei aber noch immer gehoben und gesenkt. Dann kehrte es wieder an seinen Ausgangspunkt zurück.
»Ein Licht heben und senken heißt doch, dass sich jemand in Gefahr befindet«, sagte ich laut und begann unruhig zu werden. Urplötzlich öffnete sich für einen Moment knarrend das Sieltor neben uns, obwohl dieses physikalisch eigentlich nicht möglich war. Der auf ihm lastende Wasserdruck hätte das niemals zugelassen. Dann krachten die Tore mit einem Knall wieder zu, dass ich vor Schreck zusammenfuhr.
»Wir müssen hier weg«, keuchte ich. »Los, Heinz, das Wasser aus dem Planschbecken, und die Luft raus! Wir stauen den ganzen Kram mitsamt den Aalen einfach in die Bilge.«
Jetzt kam auch Leben in den Skipper der PINGO. In Windeseile hatten wir alles zusammengepackt und DODI war klar bei Maschine.
»Mensch! Wo fährst du denn hin?«, hechelte er atemlos, als er merkte, dass ich Kurs auf das Licht nahm.
»Das will ich mir ansehen. Noch läuft das Wasser auf, also besteht für uns nicht die Gefahr irgendwo aufzulaufen. Aber ich will wissen, was das da ist.«
Angestrengt starrten wir durch die Scheiben des Ruderhauses.
»Das Licht!«, stöhnte Heinz auf. »Es wandert weg. Es bewegt sich! Claus, stopp auf und dreh bei. Das geht nicht gut! Wer weiß, was das ist!«
»Mach mich nicht nervös! Ich sehe selber, dass es wandert. Aber die Fahrrinne macht hier eine Biegung, und das Licht wandert so, dass wir genau in der Fahrrinne sind, wenn wir drauf zu halten.«
»Das gibt’s doch gar nicht«, keuchte Heinz und sein Gesicht glänzte schweißnass in dem matten Schein der Instrumentenbeleuchtung. Das Licht vor uns wechselte unvermittelt auf die andere Uferseite und verharrte dort. Es beschrieb jetzt einen Kreis, als wolle es uns auffordern, ihm zu folgen. Die Geschichte wurde immer mysteriöser. Ich spähte aus dem Führerhäuschen hinaus in die Dunkelheit und versuchte etwas zu erkennen. Offensichtlich sollten wir zu der Stelle fahren, an der sich das Licht jetzt befand. Ich stoppte auf und schaltete den Motor aus. Von einer Sekunde zur anderen war es wieder ganz still.
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