Umso öfter ich die Bretagne und die angrenzenden Gebiete der Normandie durchstreife, desto mehr habe ich den Eindruck, dass die Zeit der alten Götter und der Druiden längst nicht so weit zurückliegt, wie die offizielle Geschichtsschreibung es uns glauben machen will. Vielleicht haben die Druiden dem erstarkenden Christentum, ganz ähnlich wie der mit Waffengewalt durchgeführten Romanisierung Galliens, ja aus der Gewissheit heraus keinen ernsthaften Widerstand geleistet, dass sie immer unterschwellig wirken würden – nämlich im kollektiven Bewusstsein der Menschen, die diese keltischen Länder bevölkern – und dass ihre Zeit wiederkommen würde, sobald eben diese Menschen erkannten, dass eine Zivilisation, die auf einem rein materialistischen Weltbild aufgebaut wurde, sich am Ende selbst zerstören muss. Vielleicht haben sie sich aber auch einfach nur aus dem Rampenlicht zurückgezogen, weil ihnen wohl bewusst war, dass das Christentum nach Kaiser Konstantin aus schlauem Kalkül zur Staatsreligion des Römischen Reiches stilisiert worden war, nämlich als ein äußerst wirksames politisches und ideologisches Instrument der Staatsführung. Und dem konnten sie bereits – ohne gewaltiges Blutvergießen zu provozieren – von dem Augenblick an nichts mehr entgegensetzen, als die Römer mit der Eroberung der Ostalpen (16/15 vor der Zeitrechnung) den dortigen Druiden und Druidinnen die weitere Ausübung ihrer Ämter verboten. Durch dieses »Berufsverbot« wurde die zentrale Funktion für die Ausübung und den Bestand sowohl der keltischen Kultur als auch des keltischen Glaubenssystems bereits in einem Teilgebiet der keltisch besiedelten Länder brutal abgeschafft und damit in den Untergrund gezwungen. Den Höhepunkt dieser Unterdrückung kann man rund 70 Jahre später, im Jahr 61 der Zeitrechnung, festschreiben: Der römische General Suetonius Paullinus stürmte mit Truppenteilen aus der Legion XIV Gemina und der XX Valeria Victrix die Insel Mona (Anglesey), auf der sich die zu dieser Zeit wohl bedeutendste Druidenschule der keltischen Welt befand, und ließ dort sämtliche Druiden und Druidinnen, deren man habhaft werden konnte, hinrichten. Schließlich schändete man alle sakralen Orte auf der Insel und machte sie so weit wie irgend möglich dem Erdboden gleich. Dieser grausame Akt hatte bezeichnenderweise einen rein politischen Hintergrund und war darauf ausgerichtet, das politische Element der geistigen Führungselite der Kelten endgültig zu brechen, nachdem Rom bereits mehrfach schmerzhaft erfahren musste, in welchem Maße die Druiden an der Vorbereitung und Durchführung diverser Aufstände gegen ihre Herrschaft beteiligt gewesen waren.
Die große Schwäche der Kelten, die schließlich zur Unterwerfung und Unterdrückung ihrer Kultur führte, war die Tatsache, dass sie niemals das politische Ordnungsdenken der Römer besessen hatten und daraus resultierend über keine zentrale politische Macht verfügten. Als das Römische Reich ab der Mitte des 6. Jahrhunderts der Zeitrechnung endlich zerfiel, waren die alten Stammesstrukturen schon zu sehr aufgelöst worden, um in einem gemeinsamen Kraftakt der Kelten von dieser Situation profitieren zu können und sich noch einmal – aus der Asche Roms – zu altem Ruhm aufzuschwingen. Es wäre ein Krieg an vielen Fronten geworden, nicht nur gegen das in Todeszuckungen liegende Reich, sondern insbesondere gegen die fast übermächtig anmutenden, anstürmenden germanischen Franken. Dies waren jene Merowinger, die den Römern so lange Zeit militärische Hilfstruppen gestellt hatten und von deren Reichtümern so geblendet worden waren, dass sie nun selbst in die Fußstapfen ihrer ehemaligen Dienstherren treten wollten. Lediglich im Nordwesten der ehemaligen gallischen Provinzen des Römischen Reiches gelang es den Kelten – verstärkt durch ihre Verwandten, die vor den Angeln und Sachsen aus Britannien zurückströmten –, ein eigenständiges Staatsgebilde zu errichten. Armorica – die Bretagne – war bis zum Ende des 16. Jahrhunderts sowohl als Herzogtum als auch als Königreich unabhängig. Doch sie litt, sozusagen vom Augenblick ihrer Geburt an, unter genau derselben Krankheit, die der keltischen Nation beim Auftauchen der Römer zum Verhängnis geworden war und die auch ihr am Ende zum Verhängnis wurde: übermäßiger Individualismus, Uneinigkeit der Barone untereinander, interne Streitereien und Bruderkämpfe und ein Mangel an gemeinsamen Machtstrukturen.
Natürlich gelang es immer wieder der einen oder anderen historischen Führerpersönlichkeit – Conan Meriadec, Riothomas, Judicaël, Nominoë, Alain dem Großen, Yann dem Eroberer, Yann dem Weisen oder Arzhur dem Rächer –, dem Land oder Teilen des Landes Macht, Einfluss und Stabilität zu geben. Doch diese »goldenen Zeiten« der keltischen Bretagne waren leider immer nur kurze Zwischenspiele in einem langen und grausamen Kampf ums Überleben, den das »Land vor dem Meer« in dem Augenblick endgültig verlor, als die kleine Herzogin Anne mit Waffengewalt an die Seite des französischen Königs Karl VIII. vor den Traualtar gezwungen wurde.
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