Inhaltsverzeichnis
1. Die Weberinnen
2. Bergthora
3. Am Scheideweg
4. Die Fäden der Zukunft
Über die Buchreihe
Der Nornenkater
Claudia Mayer
Buch 20 der Katzenreihe
©Claudia Mayer 2020
Machandel Verlag Haselünne
Charlotte Erpenbeck
Cover Catya Shok/shutterstock.com
Illustrationen shutterstock.com
1. Auflage 2020
ISBN 978-3-95959-291-8
Es war still, bis auf das leise Plätschern der Quelle. Der Boden unter ihm war warm und trocken, auch wenn der Ort etwas anderes vermuten ließ. Seine Ohren fingen das feine, kaum hörbare Geräusch der Spindel auf, das Weberschiffchen, das immer wieder gegen den hölzernen Rahmen schlug und dazwischen von Zeit zu Zeit das feine, jedoch herzzerreißende Geräusch der Schere, die einen Faden durchtrennte. Es war, wie es in Urdbrunnr schon seit Urzeiten gewesen war. Seit die Zeit begonnen hatte zu vergehen.
Und doch stimmte etwas nicht. Er hob den Kopf und blinzelte. Sie waren noch alle drei bei der Arbeit. Urd spann, Verdandi wob und Skuld durchtrennte die Fäden, deren Ende erreicht war. Die drei Nornen arbeiteten schweigend, so wie sie es immer taten, wenn sie nicht gerade um eine Weissagung gebeten worden waren.
Aber so deutlich, als wäre es eine solche, konnte er spüren, ja fast schon hören und schmecken, dass etwas nicht stimmte. Sein Blick wanderte zu Urd. Sie, die Älteste der drei Nornen, die Gewesene, spann. Gleichmäßig und ruhig drehte sich die Spindel, unbewegt vom Schicksal der Welt. Sie konnte schließlich auch nichts daran ändern, denn vergangen war vergangen. Aber sie vergaß nicht, niemals. Ihre vom Alter gezeichneten Hände waren noch immer so geschickt wie die eines jungen Mädchens. Sie arbeiteten rasch und gleichmäßig. Aber auch wenn er keine Unregelmäßigkeiten wahrnehmen konnte, fragte er sich jetzt, ob sie schon immer so gebeugt gewesen war. War das Alter schon immer so deutlich an ihr sichtbar gewesen?
Verwirrt blickte er weiter zu Verdandi, die am Webstuhl saß und das Schiffchen warf. Zwischen ihren langen, schlanken Fingern schoss es in einem ewig gleichen Rhythmus hin und her und zog den Faden in komplizierten, selbst für seine Augen kaum wahrnehmbaren Muster mit sich. Sie, die Norne der Gegenwart, die Sprunghafte, die für den Moment lebte, hatte von ihnen allen die geschicktesten Finger, denn sie war es, die die Schicksalsfäden wob. Unter ihren Händen überkreuzten sie sich, schlugen Knoten und folgten ihrem Muster. War da nicht eine neuartige Anspannung in ihren so geschickten Händen? War das ruhige Gesicht nicht eine Spur beunruhigt?
Sein Blick wanderte zu Skuld, der Norne der Zukunft, die die Schicksalsfäden durchtrennte. Ihre Augen folgten Verdandis Gewirk, als könnte sie die Bewegungen der anderen Norne verfolgen. Und wahrscheinlich konnte sie es auch, denn wie hätte sie sonst wissen sollen, wann es an der Zeit war, die Fäden zu durchtrennen. Ihre Hand war ruhig, zitterte niemals, wenn es darum ging, einen Faden zu druchtrennen. Aber auch an ihr nahm er eine Veränderung wahr. Und gerade bei ihr, die seinem Herzen am nächsten stand, nahm er die Veränderung am deutlichsten wahr.
Irritiert erhob Ljósfari sich, streckte sich und machte einen Buckel. Er dehnte jeden einzelnen Muskel, richtete die Ohren auf die Nornen aus und schnüffelte. Vertraute Gerüche umgaben ihn.
Er lebte schon lange in Urdbrunnr. Seit er sich dafür entschieden hatte, war er kaum noch in den anderen Welten und Reichen anzutreffen.
Und obwohl er Skuld gut genug kannte, um zu wissen, dass sie die Ungeduldigste unter den Nornen war zuckte er dennoch zusammen, als ihre raue Stimme erklang: „Wir müssen etwas tun! Verdandi, das Gewebe wäre eben fast gerissen!“
„Aber nur fast!“, antwortete die alte Urd.
„Es hält noch“, sagte Verdandi, die unverdrossen weiterwob.
„Ihr wisst so gut wie ich, dass uns die Fäden entgleiten“, widersprach Skuld. „Wir haben kaum noch Einfluss auf sie. Die Menschen verlieren den Weg!“
„Wir können dagegen nichts tun.“
Klang Urd nicht ein wenig resigniert?
„Vielleicht ändert sich das ja wieder“, sagte Verdandi, aber auch sie klang nicht unbedingt überzeugt.
„Das geht schon seit Jahrhunderten zunehmend so“, erklärte Skuld ungeduldig. „Es hat sich nie verbessert. Und ja, es wird sich ändern, es wird schlimmer werden und das Gewebe wird eines Tages reißen.“
„Aber ...“ Urds Stimme verklang. Sie hatte wohl protestieren wollen, doch fehlten ihr dafür die Argumente. Es wäre wenig sinnvoll gewesen, hätte die Norne der Vergangenheit versucht, sich mit der Norne der Zukunft über die Zukunft zu streiten.
„Wie sollen wir denn eingreifen?“, fragte Verdandi und lenkte damit ebenso Skulds Aufmerksamkeit auf sich, wie auch die Ljósfaris.
„Nun, wir können gar nicht eingreifen!“, protestierte Urd, zu ihrem alten Selbst zurückfindend.
„Nein, das können wir nicht“, stimmte ihr Verdandi zu.
„Ich rede nicht von uns selbst!“, erklärte Skuld. „Aber es gibt andere, die es können.“
„Wen?“, fragten Urd und Verdandi gleichzeitig.
Skuld wandte sich um, richtete ihren Blick auf Ljósfari: „Ljósfari, mein Lieber, komm her!“
Ljósfari gähnte noch einmal und kam dann herüber, um sich an Skulds Beinen zu reiben. Zu keinem anderen war die oft raue, ungeduldige, von manchen gar als böse oder sogar bösartig bezeichnete Norne so sanft wie zu ihm. Ihre Hand strich ihm über den Kopf, kraulte ihn an der Stelle unter dem Kinn, an der er das besonders gern hatte, und obwohl er die Ernsthaftigkeit der Situation wohl spürte, begann er unwillkürlich zu schnurren.
„Ljósfari, mein kleiner Freund, du wirst zu den Menschen gehen und du wirst sie lehren. Du wirst ihnen dabei helfen, wieder auf ihren Weg zurückzufinden.“
Ljósfari legte den Kopf schief. Er verstand nicht. Er war ein Kater, kein Gott. Wie sollte er Menschen irgendetwas lehren können?
„Dir werden sie folgen, denn du ziehst sie an. Ich vertraue dir diese Aufgabe an. Ljósfari, wirst du sie übernehmen?“
Ljósfari sah Skuld an, sah die ruhige Entschlossenheit im Blick der Norne, ihr altersloses Gesicht, das weder schön noch hässlich war, genauso wie Skuld weder schön noch hässlich war. Er las Vertrauen in ihrem Blick und eine Liebe, die wohl kaum jemand sonst in Skulds Blick finden würde. Er war sich immer noch nicht sicher, ob er tun konnte, was Skuld von ihm forderte, aber er wusste, dass er es versuchen würde. Um Skulds Willen hätte er alles getan. Er schnurrte und begegnete dem Blick der stahlblauen Augen, die seinen eigenen so ähnlich waren.
„Sieben Mal kannst du ihn senden!“, erklärte Verdandi.
„Sieben Mal, wie es die alten Überlieferungen sagen“, bestätigte die alte Urd mit einem Nicken.
Skuld nickte: „Und diese sieben Mal werde ich nutzen! Aber nicht gegen den Willen meines kleinen Freundes!“
Ljósfari gab ein aufforderndes Maunzen von sich. Er war bereit, er würde folgen!
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