Heugon, Trinox Samoni Sindiu 4389 M. T
(9. November 2014)

Es ist außergewöhnlich schwierig, wenn nicht gar unmöglich, vollkommen unbefangen über die Druiden und ihr Heilwissen zu schreiben. Jeder, der sich an dieses Thema wagt, bewegt sich historisch und auch wissenschaftlich auf recht dünnem Eis, und das Risiko, nicht nur seine Glaubwürdigkeit zu verlieren, sondern sich gleichzeitig im Reich der eigenen frommen Wunschvorstellungen zu verlaufen, darf nicht unterschätzt werden. Außerdem besteht die Gefahr, der Versuchung zu erliegen, aufgrund einer eher spärlichen Quellenlage zwanghaft Fakten zurechtzubiegen, bis diese den eigenen Ansichten entsprechen.
Um diese Gefahren, wenn schon nicht völlig aus dem Weg zu räumen, aber vielleicht doch ein wenig zu mindern, möchte ich Sie zuerst zu einer kurzen Reise in das Reich der harten wissenschaftlichen Fakten einladen:
Es mag ungewöhnlich erscheinen, ein Buch über den Kräutergarten der Druiden mit einem Ausflug in die Sprachwissenschaften zu beginnen, aber er ist insofern sinnvoll, als sie es letzten Endes waren, die uns erlaubten, Zusammenhänge zu erkennen und zu behaupten, dass das Heilwissen der Druiden ganz und gar nicht verschwunden ist, sondern höchst lebendig, und – auch wenn in etwas nebulöser Form – die Jahrhunderte fast unbeschadet überdauern konnte.
Ein Wort der Warnung zum Anfang: Auch im deutschsprachigen Raum hat sich die geschichtliche Bewertung der keltischen Kulturen lange an den zeitgenössischen Sichtweisen der Franzosen und der Engländer orientiert, sofern dieser Aspekt der europäischen Kultur überhaupt ernsthaft und nicht bloß anekdotenhaft zur Kenntnis genommen wurde. Auch stand und steht teilweise heute noch in den Geschichtsbüchern Europas im Wesentlichen die Geschichte der »Sieger«! Die oben angedeutete spärliche Quellenlage ist außerdem lückenhaft, in keinem Fall absolut ursprünglich und stets in irgendeiner Weise römisch oder christlich verzerrt, entstellt oder überlagert. Dem zu Trotz sind außergewöhnlich viele Parallelen zwischen den keltischen Ländern zu verzeichnen, nicht zuletzt das Einsetzen einer keltischen Renaissance, die bereits in das ausgehende 18. Jahrhundert zurückdatiert werden kann. Diese Renaissance führte zu einer sehr positiven Entwicklung in den überlebenden keltischen Sprachgemeinschaften der sechs Länder des »keltischen Gürtels« im äußersten Westen unseres Kontinents: Irland, Cornwall, Schottland, Wales, die Isle of Man und die Bretagne.
Die keltischen Stämme haben in der Zeit ihrer höchsten Blüte einen riesigen Raum in Europa besiedelt: Sie lebten in Portugal, Spanien, in der norditalienischen Po-Ebene, in einem Teil der Türkei, in der Schweiz, in Österreich, in Tschechien, in einem Teil Polens, in Frankreich, Luxemburg, in den Niederlanden bis zur Mündung der Rheinausläufer ins Meer, in halb Deutschland bis zum nördlichen Rhein, in Belgien, Ungarn, Rumänien, der Slowakei und auf den Britischen Inseln. Man stelle sich einmal die Größe des von ihnen besiedelten Gebietes vor!
[Das Ausbreitungsgebiet der Kelten
in der Zeit ihrer höchsten Blüte 600–100 vor der Zeitrechnung]
Die Kelten sind von den Römern niemals vernichtet worden! Daran ändern weder Alesia, Julius Cäsar und das Jahr 58 vor der Zeitrechnung noch Suetonius Paulinus, 61 der Zeitrechnung und das Massaker der Druiden auf der Insel Anglesey (Ynis Mõn) während des Ikeneraufstandes unter Königin Boudica etwas. Die Nachfahren von Vergingetorix und Boudica leben heute noch und erfreuen sich bester Gesundheit. Der allergrößte Teil der Mitteleuropäer und viele Zentraleuropäer haben keltisches Blut in den Adern und keltische Vorfahren im Stammbaum. Durch die gewaltsame Romanisierung der keltischen Welt ist insbesondere die ursprüngliche keltische Sprache untergegangen, diese Sprache, die genauso wie das keltische Glaubenssystem der wichtigste Einheitsfaktor der auf riesigen Gebieten weit verstreut lebenden Stämme, Clans und Großfamilien gewesen war. Und da die Kelten nicht als ein geeinigter, militärisch organisierter Staat oder Staatenbund aufgetreten waren, hat sich im Verlauf der Romanisierung ebenfalls die traditionelle Staats- und Regierungsform der Kelten verwässert oder ist von anderen, moderneren Staats- und Regierungsformen aufgesogen worden. Es ist eben diese untergegangene keltische Sprache, in der sich die Druiden auszudrücken pflegten. Diese Lingua franca ermöglichte es erst einem Schüler aus dem Velay im französischen Zentralmassiv oder aus der italienischen Po-Ebene, bei einem Meister – einem Ollamh – auf der Druideninsel Ynis Mõn (Anglesey) zu studieren.
An dieser Stelle soll kurz auf die Expansion der Kelten eingegangen werden, bevor sie ihrer politischen Uneinigkeit und Individualität zum Opfer fielen: Im 1. Jahrtausend vor der Zeitrechnung erreichten keltiberische Stämme das Gebiet des heutigen Spaniens, als »Gallier« zusammengefaßte Stämme weite Teile Westeuropas und mit »Galater« bezeichnete Gruppen den Balkan. Etwa um 600 vor der Zeitrechnung setzten die ersten keltischen Stämme über den Ärmelkanal und assimilierten oder verdrängten die dortige Urbevölkerung.
Wann sich die keltische Lingua franca in einen brythonischen und einen goidelischen Sprachenzweig auseinander entwickelte – ob vor oder erst während der Ausbreitung der keltischen Kultur auf den Britischen Inseln –, ist auch heute noch nicht abschließend geklärt. Doch aus diesen beiden Sprachenzweigen heraus haben sich sämtliche heute noch lebendigen keltischen Sprachen entwickelt. Wenn man lediglich davon ausgeht, dass die Übermittlung druidischen Wissens in der urkeltischen Sprache erfolgte, also jener Lingua franca, die vor der Sprachverzweigung ins Brythonische und Goidelische existierte, dann müsste man sich eigentlich dem Allgemeingut anschließen, dass bis zum heutigen Tag noch nicht ein einziger Quellentext aus dem Bereich der Heilkunde gefunden wurde, der eindeutig einem druidischen keltischen Verfasser zugeordnet werden kann. Die Druiden haben ihr Wissen und ihre Wissenschaft in der vollständigen Form nur mündlich an auserwählte Schüler weitergegeben, vermutlich in einer Form der Mnemotechnik.
Wenn wir also um unserer wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit willen diesem traditionellen Leitmotiv der Schriftlosigkeit druidischen Wissens folgen wollten, müssten wir logischerweise unser Buch hier an dieser Stelle sofort wieder beenden und es als eine gegebene Tatsache hinnehmen, dass es unmöglich ist, guten Gewissens über eine Heilkunst zu schreiben, von der nichts Konkretes überliefert werden konnte. So, wie wir auch akzeptieren müssten, dass die Kelten, deren wissenschaftliche und spirituelle Elite die Druiden waren, ein »verschwundenes Volk« sind, genauso wie die Etrusker oder die Maya, Azteken und Inka. Das gute Gewissen könnte noch dadurch verstärkt werden, dass im 5. Jahrhundert der Zeitrechnung das in Agonie liegende Römische Reich von plündernden, eroberungswütigen Völkerschaften überrannt wurde. Diese Vandalen gaben sich nicht nur damit zufrieden, zu morden und zu brandschatzen, sondern plünderten auch Kunstschätze und vernichteten dabei wertvolle Schriftrollen, die in ihren Augen keinen materiellen Wert besaßen. Sie zerstörten also quasi die gesamte klassische Zivilisation Westeuropas in einem gewaltigen Rundumschlag und nicht umsonst nennt man die Zeit nach dem Untergang des Römischen Reiches im englischen Sprachraum gerne »The Dark Ages« – »Die Dunkle Zeit«. Es ist also möglich, dass, falls entgegen aller wissenschaftlicher Fakten doch von Druiden verfasste Schriften oder Überbleibsel solcher Schriften aus der Glanzzeit ihrer Macht über die keltischen Stämme existiert haben sollten, diese letztendlich und mit allergrößter Wahrscheinlichkeit zum Zeitpunkt des Vandalensturms zerstört worden wären.
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