4. »Pranayama«
Praktiziere Atemübungen, um deinen Körper mit physischer wie feinstofflicher Lebensenergie durch bewusste Lenkung der Atmung anzureichern.
5. »Pratyahara«
Richte deine Sinne auf dein Inneres aus, um dich von äußeren Sinnesreizen nicht täuschen zu lassen.
6. »Dharana«
Übe dich in der Fähigkeit, deinen Geist auf einen Punkt auszurichten.
7. »Dhyana«
Erlange die Fähigkeit zu meditieren und den Zustand der Meditation aufrechtzuerhalten.
8. »Samadhi«
Erfahre grenzenlose Vereinigung mit der Schöpfung, verbinde dich mit dem Allwissen und erfühle ganzheitliche Harmonie.
Aus Erfahrung kann ich dir versichern: All diese Punkte sind keine Stufen, die du nur einmal gehen oder in einem Anlauf nacheinander meistern wirst. Der Treppenaufgang zum Reich des Lichts ist keine gradlinige Leiter, die mit Muskelkraft und diszipliniertem Willen und Logik erklommen werden kann. Der » Stairway to Heaven « ist mehr wie eine gewundene Treppe oder Spirale, die einem DNA-Strang unseres Körper gleicht. Unsere Lebenserfahrungen und Lebensaufgaben betrachten wir nach einiger Zeit aus höherer Perspektive auf der sich nach oben hin verjüngenden Spirale.
Sagen wir beispielsweise bei 12, 3, 6 und 9 Uhr sehen wir uns stets mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert, verfügen aber stetig über mehr Gelassenheit und Weisheit, weil wir auf die Spiralebenen, die bereits unter uns liegen, hinabblicken und so unseren bisherigen Erfahrungsstand nutzen können. Auch die Navigation durch die acht Stufen des Yoga wird auf diese Weise zu einer wiederkehrenden und doch runden Angelegenheit, weil der Durchmesser der Spiralwindungen kontinuierlich kleiner und die Umrundungen damit zügiger werden. Ob dein Weg zum Erwachen Monate oder Jahre oder Jahrzehnte dauert, ist individuell und hängt davon ab, was deine Seele an Weisheit in diese, jetzige Inkarnation auf Erden mitbrachte.
Was kann »Yoga Sutra« dir heute bieten?
»Yoga Sutra« ist eine Bewusstseinsschulung. Und das ist es doch, was du, was wir alle heute suchen, oder? Mehr Sinnhaftigkeit, mehr Tiefe, mehr Nachhaltigkeit und mehr Bewusstheit in dem, was wir tun, wie wir leben und wie wir denken. Das »Yoga Sutra« ist zweifelsohne kein Buch zum Durchlesen von Kapitel zu Kapitel oder von Vers zu Vers. Ich empfehle es als Begleitbuch in deinem Leben oder – um bei dieser Metapher zu bleiben – als eine Landkarte oder ein Navigationsgerät, auf die du ab und zu schauen kannst, um dich im Wirrwarr der hektischen Lebensweise der Jetztzeit nicht zu verirren. Die einzelnen Lehrsätze mögen dir als Markierungspunkte dienen und dich zu nachhaltigerem Denken, liebevollerem Handeln und bewusstem Weiterklettern auf die nächste Stufe der Treppe nach oben anregen.
Unsere charakterlichen Eigenschaften zu veredeln und eine der Menschheit des 21. Jahrhunderts angemessene Ethik zu leben, ist das, was einen Fortbestand der Weltengemeinschaft sichern könnte … und dieser Tage sieht es ja eher nicht so aus, als ob Mensch sich seit der Steinzeit wirklich geistig wie ethisch weiterentwickelt hätte.
Mache dir bewusst: Veränderungen beginnen nicht im Großen, kommen nicht vom politischen Establishment oder Wirtschaftskonzernen. Veränderungen beginnen stets im Kleinen, beginnen in dir und in deinem heiligen Herzen. Von dort und von dir aus breiten sich neue Gefühle, neues Denken und Handeln wie neue Vibrationen als Schwingungen in deine Mitwelt aus. Vibrationen und Klang kann man nicht stoppen, jedoch mit bewusster, erwachter Geisteshaltung stetig verstärken.
Geist und Körper in prickelnder Stille vereinen
Patanjali spricht immer wieder darüber – wohlwissend, wie die Menschen sind, wie schnell man ins Zweifeln kommt, wie leicht Angelegenheiten und Gedanken uns aus der Bahn werfen. Patanjali ermutigt seine Zuhörer (damals) sowie seine Leser heute, sich selbst zu veredeln, ethische Regeln einzuhalten und immer und immer wieder zu meditieren. Alle Praxis des körperlichen Yoga und alle Formen von Asanas, die heutzutage in allerlei bunten Stilen mit allerlei illustren Namen angeboten werden, sind lediglich eine Vorbereitung auf die Fähigkeit, das Meditieren zu erlernen und dauerhaft zu praktizieren, denn Yoga ist ein spiritueller (jedoch nicht religiöser Weg), um die Schöpfung zu verstehen, besser gesagt zu erfahren, also zu erfühlen statt zu erdenken in der Schwere und Behäbigkeit unseres Verstandes. Fühlen statt Denken.
Die Leiter des Yoga hinauf zu steigen lohnt sich ganz klar, weil mit wachsender Bewusstheit das irdische Leben mit all seinen Herausforderungen für dich aus höherer Perspektive leichter und reichhaltiger wird. Ein bisschen Disziplin braucht es natürlich schon und auch die Praxis von Asanas dient immens dazu, allein die Physis des Körpers energetisch anzureichern und gesund zu erhalten. Der bezaubernde und prickelnde Effekt des Körperyoga ist zudem der zeitweilige Stillstand des ansonsten ständig denkenden, abwägenden, sorgenden Verstandes. Das Gehirn muss während der Praxis von Asanas sich voll und ganz auf die Haltung und Atmung konzentrieren, sodass es zumindest Sequenzweise keine hypothetischen Szenarien kreiert, keine To-Do-Listen sortiert und keine Ängste produziert. Das ist bereits ein ganze Menge Benefit und Befreiung vom Üblichen … mit Kombination zum philosophischen Background des Yoga wird es noch toller, so dieser verständlich aufbereitet daherkommt.
Und das ist das Angebot dieses Buches: Dir Patanjalis weise Empfehlungen verständlich und für deinen gegenwärtigen Lebensstil nachvollziehbar und inspirierend darzustellen.
Patanjali Update – warum?
Seit zwei Jahrzehnten bin ich dem Konzept des Yoga verbunden, beschäftige mich ebenso lange mit den yogischen Lehren Patanjalis und gebe sie im Yogaunterricht, in Seminaren und an Ratsuchende weiter. In meinem Buch »Patanjalis 10 Gebote des Lebensfreude« , das freundlicherweise vom GU Verlag Gräfe und Unzer erfolgreich publiziert wurde, erläutere ich die zehn ethischen Grundempfehlungen des »Yama« und »Niyama« , die Patanjali den Yoginis und Yogis für alle Zeit überliefert hat.
Es gibt einige Bücher in deutschen Übersetzungen des »Yoga Sutra«. Wenn du diese Bücher nebeneinander legst und die 195 Lehrsätze miteinander vergleichst, erkennst du sehr schnell, wie unterschiedlich die Übersetzungen und die daraus folgenden Interpretationen je nach Autor sind. Ok, Sanskrit ist eine sehr komplexe Sprache, die weder inhaltlich noch grammatikalisch leicht zu transformieren ist, weil es keine Sprache ist, die Dingen ein eindeutiges Etikett gibt. Sanskritworte und -namen für Sachen und Zusammenhänge umfassen Gegenständliches und Feinstoffliches.
Beispielweise steht das Sanskritwort »Padma« für Lotusblüte, also eine Sache, eine Blume. Es steht jedoch auch für den energetischen Zustand der Reinheit, Klarheit, Purismus. So wird mit dem Wort »Padma« auch die Bedingungslosigkeit und die feinstoffliche Kraft dessen verehrt, wie eine Pflanze sich aus dem dunklem Schlamm eines Teiches zur Wasseroberfläche kämpft, um sich dem Licht zu nähern und im Sonnenlicht zu erblühen. »Padma« ist als Pflanze sowie als Sanskrit-Begriff ein exemplarisches Synonym für Erleuchtung oder Verlichtung. Jedes Sanskritwort umschreibt neben dem grobstofflich Sichtbaren auch das feinstoffliche Energiefeld, das mit einer Sache, z.B. einem Stuhl oder einem Sachverhalt, verbunden ist. Unsere heutige Sprache ist dagegen dinghaft.
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