Kopfschüttelnd vertrieb ich diese Vorstellung; es gab unzählige schwarze Geländewagen und vor allem in unserer Wohngegend und an dieser Schule waren diese Autos nicht unüblich. Noch in Gedanken versunken, merkte ich nicht, wie sich jemand an mich heranschlich, also zuckte ich erschrocken zusammen, als mir plötzlich jemand von hinten seine Hände vor die Augen hielt.
Nach dem ersten Schrecken lachte ich und musste keine Sekunde überlegen, wer da hinter mir stand. „Eric“, rief ich. „Du hast mich zu Tode erschreckt!“
Eric ließ seine Hände sinken und ich drehte mich zu ihm. „Wieso so schreckhaft, Kleine?“, fragte er und zeigte mir sein strahlendes Grinsen.
„Ich war in Gedanken“, meinte ich.
„Oh, schon bei den Hausaufgaben?“, fragte Eric frech.
Ich verzog das Gesicht und wollte ihn schlagen, doch er wich meiner Hand geschickt aus. Eric ärgerte mich ständig damit, dass ich so fleißig und gut in der Schule war und nannte mich dann immer „seine kleine Streberin“.
„Hey, hast du Millie gesehen?“, fragte ich.
Eric schüttelte den Kopf.
Ich seufzte. „Wo bleibt sie?“
Wie aufs Stichwort kam Millie aus dem Schulgebäude und blieb bei uns stehen. „Hey.“
„Wo warst du denn?“, fragte ich.
Millie wurde rot. „Ich hab Ausschau gehalten“, nuschelte sie.
Ehe ich etwas darauf erwidern konnte, fragte Eric mit hochgezogenen Augenbrauen: „Wonach?“
Millie sagte nichts.
„Nach unserem neuen Mitschüler“, antwortete ich an ihrer Stelle. „Das hättest du dir sparen können, er ist schon weg“, fügte ich an Millie gewandt hinzu.
„Er ist schon weg?“, wiederholte sie enttäuscht. „Dann hab ich ihn wohl übersehen.“
„Ganz offensichtlich“, stimmte ich zu.
„Na, dann können wir auch fahren“, meinte Millie achselzuckend und stieg auf den Beifahrersitz meines Audis.
„Soso, neuer Mitschüler“, grinste Eric.
Ich biss mir unsicher auf meine Unterlippe; ich hätte Eric gerne erzählt, dass es sich bei unserem Mitschüler um den rätselhaften Lebensretter aus dem Einkaufszentrum handelte, aber solange Millie dabei war, würde ich lieber meinen Mund halten. Also nickte ich nur grinsend und sagte: „Tja, Millie ist verknallt.“
„Bin ich gar nicht!“, rief Millie aus dem Wagen. „Ich will ihn doch nur kennen lernen.“
„Muss ja ziemlich hübsch sein“, sagte Eric belustigt.
„Hab ich auch gesagt, bevor ich ihn gesehen habe“, sagte ich lächelnd.
„Und, ist er es?“, fragte Eric grinsend.
„Hübsch?“ Ich zögerte kurz. „Ja, sieht ganz gut aus.“
„ Ganz gut ?“, ertönte Millies entsetzte Stimme und ich lachte.
„So, wir fahren dann mal“, sagte ich und öffnete die Fahrertür. Eric machte keine Anstalten, ebenfalls einzusteigen, also fügte ich hinzu: „Kommst du nicht mit?“
Eric schüttelte den Kopf. „Ich habe noch Sport.“
„Ach ja“, rief ich; das vergaß ich ungefähr jeden Montag.
„Und morgen auch nicht, da hab ich die ersten Stunden frei“, meinte Eric.
„Du hast’s gut“, seufzte ich neidisch und stieg ins Auto. „Mach’s gut!“, rief ich noch aus dem Fenster, während ich das Auto rückwärts aus der Parklücke bugsierte.
Als wir unterwegs Richtung Millies Haus waren, sagte sie nach einer Weile: „Jetzt sei mal ehrlich, wie findest du Simon?“
Ich antwortete nicht sofort und war froh, dass ich nicht rot wurde. Nach ein paar Sekunden zuckte ich die Achseln. „Wie soll ich ihn finden? Ich habe noch kein einziges Mal mit ihm gesprochen.“
Millie stöhnte genervt. „Ich glaube, noch keiner hat mit ihm gesprochen“, sagte sie, „ich meinte, ob du ihn wirklich nur ‚ganz hübsch‘ findest oder doch mehr?“
„Er ist doch ganz hübsch, oder nicht?“, entgegnete ich.
„Extrem hübsch!“, verbesserte Millie mich aufgeregt.
Ich seufzte kopfschüttelnd. Da zeigte sich mal wieder, wie unterschiedlich Millie und ich waren; sie wollte immer über Jungen reden oder über irgendjemanden lästern und das waren Themen, die ich eigentlich umging und mich nicht sonderlich interessierten. Natürlich interessierte Simon Galloway mich sehr, doch ich wollte das nicht vor Millie zugeben. Genauso wenig wollte ich ihr erzählen, dass ich Simon schon am Samstag im Einkaufszentrum begegnet war, obwohl ich nicht so recht wusste, warum ich ihr davon nichts sagen wollte. Wahrscheinlich weil ich mir diese Begegnung selbst nicht erklären konnte und weil es mir unangenehm war, mit Millie über so etwas zu sprechen; sie war dafür einfach zu anders als ich.
Ich brachte sie nach Hause und fuhr dann weiter in unsere Wohnsiedlung. Während ich wieder an den ganzen Villen und Palästen vorbeifuhr, war ich in Gedanken die ganze Zeit bei Simon. Ich sah seine blauen Augen und sein unglaublich hübsches Gesicht immer noch vor mir und nach wie vor konnte ich kaum fassen, dass er in meine Klasse ging.
Vor dem großen Tor vor unserem Haus hielt ich an, machte das Fenster auf, streckte meinen Arm zu der Sprechanlage aus, gab genau wie gestern Abend den Code ein und fuhr durch das Tor, das sich langsam öffnete, auf unsere Einfahrt. Ich stellte den Wagen ab, stieg aus und ging ins Haus.
Ich wollte gerade die Treppe hinaufgehen, als meine Mutter aus der Küche gestürmt kam und mich lächelnd ansah. Sie sah super aus; sie trug ein eng anliegendes Designerkleid und war schick gestylt.
Ich runzelte die Stirn angesichts ihres Outfits, über dem sie jetzt noch eine Schürze trug. Außerdem hatte sie Topflappen in der Hand; offenbar bereitete sie in der Küche gerade ein besonderes Festmahl vor.
„Da bist du ja“, begrüßte sie mich fröhlich. „Wie war dein Tag?“
„Ganz okay“, antwortete ich achselzuckend.
„Und geht’s dir gut?“, fragte meine Mutter ein wenig besorgt.
Ich wusste, dass sie die Explosion im Einkaufszentrum meinte, der ich nur haarscharf entkommen war. Offenbar konnte sie immer noch nicht so ganz glauben, dass ich sie unverletzt überlebt hatte. Ich nickte und brachte ein Lächeln zustande. „Alles bestens, ehrlich“, meinte ich. Dann wechselte ich möglichst schnell das Thema und fragte: „Und bei dir? Du siehst aus, als stündest du schon seit einer Weile am Herd?“
Meine Mutter schnaubte. „Ja, kann man sagen. Schon eine ganze Weile.“
„Ist irgendwas Besonderes heute Abend?“, fragte ich stirnrunzelnd.
Meine Mutter zog ungläubig die Augenbrauen hoch. „Ich habe doch unsere neuen Nachbarn zum Abendessen eingeladen, das weißt du doch“, sagte sie vorwurfsvoll. „In einer halben Stunde müssten sie kommen, also beeil dich!“
Damit verschwand sie wieder in der Küche und ließ mich auf der Treppe stehen.
Ich seufzte. Die neuen Nachbarn … Über die ganzen Gedanken und das Gerede über Simon Galloway und den aufregenden Samstag hatte ich die schon wieder völlig vergessen. Natürlich wusste ich, dass sie heute Abend zum Essen bei uns eingeladen waren, meine Mutter hatte es mir ungefähr tausendmal erzählt, aber ich hatte es mir kein einziges Mal länger als fünf Minuten gemerkt. Ich hielt nicht besonders viel von den Willkommensessen meiner Mutter, da wir in einer Wohngegend lebten, wo Freundlichkeit ein Fremdwort war. Aber meine Mutter wollte unbedingt ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn aufbauen. Verständlich, aber in einer Wohngegend wie dieser aussichtslos. Ich dachte an den Vollidioten in dem Geländewagen von heute Morgen und fand das Ganze noch aussichtsloser als ohnehin.
Ich lief die Treppe hinauf und ins Badezimmer. Unter der Dusche fragte ich mich, wie schrecklich die neuen Nachbarn sein könnten und mit dem Gedanken an heute Morgen fand ich sie jetzt schon unsympathisch. Unwillkürlich fragte ich mich, wie lang der Abend werden würde und ob ich mich wohl früher davon stehlen könnte, was ich jedoch bezweifelte. Steven war noch auf der Arbeit, er würde frühestens beim Nachtisch dazu stoßen, also zählte meine Mutter auf mich und ich würde es wohl oder übel bis zum Ende aussitzen müssen.
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