Simon grinste. „Ich wusste doch, dass du vorhin überhaupt nicht zugehört hast“, meinte er.
Ich lächelte. „Jedenfalls nicht aufmerksam“, gab ich verlegen zu.
„Wir sind aus der Stadt hergezogen.“
Ich biss mir auf die Lippe und überlegte fieberhaft, wie ich ihn am besten auf das, was im Einkaufszentrum passiert war, ansprechen sollte. „Hör mal, ich wollte dich etwas fragen“, begann ich zögerlich, „wegen Samstag … was da im Einkaufszentrum geschehen ist …“
Simon sagte nichts, doch ich meinte zu merken, wie er sich leicht anspannte.
„Das warst doch du , nicht wahr?“, fragte ich leise.
Simon schluckte und sah mir unsicher in die Augen. „Würdest du mich kurz entschuldigen?“, fragte er unvermittelt und ließ mich allein in der Küche.
Ich zog überrascht meine Augenbrauen hoch und wandte mich wieder der Spüle zu. Ich ließ heißes Wasser hinein und begann mit dem Abwasch der Töpfe und Pfannen, um mich vom Warten abzulenken.
Es dauerte ein paar Minuten, bis jemand zu mir in die Küche kam. Ich wollte Simon gerade erneut nach Samstag fragen, als meine Mutter sich neben mich an die Spüle stellte und anfing, das saubere Geschirr abzutrocknen.
Stirnrunzelnd sah ich mich um. „Wo sind Simon und Samuel?“, wollte ich wissen.
„Sie sind gerade gegangen“, antwortete meine Mutter verblüfft. „Simon sagte, er hätte sich von dir verabschiedet.“
„Nicht wirklich“, entgegnete ich. Beim weiteren Abwaschen war ich wütend.
Als ich später in meinem Bett lag, fragte ich mich, warum Simon mir derart ausgewichen und abgehauen war, ohne sich zu verabschieden. Was sollte das denn?
Glaubte er etwa, ich würde ihn nicht erneut darauf ansprechen? Natürlich würde ich das, wir gingen jetzt in dieselbe Klasse und waren Nachbarn. Plötzlich kam mir ein anderer Gedanke und ich musste grinsen; wir waren Nachbarn. Ich musste an Millie denken und was sie für ein Gesicht machen würde, wenn sie das erfahren würde! Vermutlich würde sie mich ab jetzt sehr viel öfter besuchen kommen.
Ich schlug meine Augen auf und kniff sie sofort zusammen, da ich in blendend helles Sonnenlicht geguckt hatte, das durch das Fenster in mein Zimmer schien. Für einen Moment befürchtete ich, dass ich verschlafen hatte und fuhr hoch, doch ein Blick auf meinen Radiowecker sagte mir, dass es gleich sieben Uhr morgens war. Erleichtert lehnte ich mich zurück und atmete tief durch.
Dann stand ich auf, streckte mich und ging ins Badezimmer. Während ich mich im Spiegel betrachtete und meine dunkelbraunen Haare kämmte, tauchte automatisch Simon wieder in meinen Gedanken auf und blieb hartnäckig dort. Ich konnte ihn weder beim Frühstück noch beim Fertigmachen vertreiben und auch als ich zu meinem Auto ging, war ich noch in Gedanken an ihn versunken.
„Amelia?“, hörte ich plötzlich eine Stimme rufen und ich zuckte zusammen.
Als ich nach dem Inhaber der Stimme Ausschau hielt, fiel mein Blick auf niemand anderen als Simon Galloway, der über die Hecke von seinem auf unser Grundstück spähte und mich anlächelte. „Guten Morgen.“
Ich trat etwas näher an die Hecke und erwiderte sein Lächeln. „Morgen“, sagte ich.
Eine peinliche Stille folgte, in der wir uns nur ansahen und anscheinend beide nicht wussten, was wir sagen sollten. Ich wollte mich gerade abwenden und die Autotür öffnen, als Simon fragte: „Fährst du zur Schule?“
Ich nickte und überlegte kurz, ihn zu fragen, ob ich ihn mitnehmen sollte, doch ich brachte schon wieder keinen Ton heraus.
„Ja, ich auch“, sagte Simon. „Wollen wir zusammen fahren?“
Nach der Art und Weise, wie er gestern Abend förmlich vor mir geflohen war, überraschte mich dieses Angebot. Dennoch brachte ich ein Lächeln zustande und nickte. „Okay.“
„Willst du fahren oder ich?“, fragte Simon und setzte ein leicht gezwungen wirkendes Lächeln auf.
Ich sah ihn nachdenklich an und beschloss, ihn auf der Fahrt erneut auf Samstag anzusprechen, dann sagte ich: „Ich fahre. Aber ich muss noch meine Freundin Millie mitnehmen.“
„Okay“, nickte Simon und ging zur Straße, wo er auf mich wartete.
Als ich meinen Audi aus unserer Einfahrt bugsiert hatte, hielt ich neben ihm an und er stieg auf der Beifahrerseite ein. Mein Herzschlag verschnellerte sich augenblicklich.
So gelassen wie möglich, fuhr ich los und malte mir in Gedanken aus, wie Millie gucken würde, wenn sie sah, wer hier in meinem Auto saß. Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Gerade als ich Simon wieder nach Samstag fragen wollte, kam er mir zuvor. „Wegen gestern bin ich dir vermutlich noch eine Erklärung schuldig“, sagte er ernst.
Überrascht sah ich ihn an. „Ach was“, sagte ich sarkastisch und wandte meinen Blick wieder nach vorn auf die Straße. „Ich habe schon ein paar eigene Erklärungen für dein Verhalten gefunden.“
„Und die wären?“, fragte Simon und klang amüsiert.
„Entweder dir bekam das Essen meiner Mutter nicht“, sagte ich, „oder du bist einfach total verrückt. Oder du bist mir ausgewichen, weil du keine Erklärung für deine Rettungsaktion im Einkaufszentrum hast.“
Simon lächelte. „Letzteres trifft zu“, meinte er. „Ich hab selbst keine Ahnung, wie ich das angestellt habe, ehrlich.“
„Okay“, sagte ich. „Dann habe ich aber eine weitere Frage; warum bist du danach einfach abgehauen? Ohne etwas zu sagen und ohne dich untersuchen zu lassen? Du hättest wirklich schwer verletzt sein können.“
„Ja, ich weiß auch nicht, wieso ich das getan habe“, behauptete Simon nachdenklich. „Ich war vermutlich selbst noch so geschockt von allem, dass ich keinen klaren Gedanken fassen konnte.“
Ich warf Simon einen skeptischen Blick zu. Irgendwie hatte ich das Gefühl, er verheimlichte mir etwas. Dennoch beließ ich es (vorerst) dabei und wechselte das Thema. „Und wie gefällt dir und deinem Onkel unsere Gegend bis jetzt?“, fragte ich.
„Es geht so“, meinte Simon achselzuckend. „Schick und so, klar, aber irgendwie ein bisschen steif.“
Ich musste lachen. „Ja, daran werdet ihr euch gewöhnen müssen.“
„Deine Familie ist anscheinend die einzige, die okay ist“, fuhr Simon fort. „Obwohl wir noch nicht lange hier sind, haben wir das schon mitgekriegt.“
Ich zuckte die Schultern. „Damit muss man rechnen, wenn man in so eine Luxusgegend zieht“, meinte ich und war überrascht, wie einfach es war, sich mit Simon zu unterhalten. Womöglich vereinfachte es aber auch nur der Umstand, dass ich mich auf den Verkehr konzentrieren musste und ihn nicht die ganze Zeit ansehen konnte.
„Ihr wohnt schon immer hier?“, fragte Simon.
Ich stutzte kurz; das hörte sich irgendwie nicht wie eine Frage an, sondern vielmehr so, als wüsste er das bereits. Kopfschüttelnd vertrieb ich diesen Gedanken; natürlich war das eine Frage gewesen. Woher sollte Simon denn wissen, dass wir schon immer hier lebten?
„Seit ich denken kann“, antwortete ich. „Aber inzwischen hab ich mich daran gewöhnt. Man darf einfach nicht mit den Nachbarn reden, sondern sie nur beobachten, das ist dann amüsant und nicht ätzend.“
Simon lachte und ich warf ihm einen kurzen Blick zu. Sein Lachen war warmherzig und unheimlich anziehend, sodass ich sofort rot anlief und mich zwingen musste, meinen Blick wieder auf die Straße zu richten.
„Dann werde ich mich auch damit begnügen, sie zu beobachten und mich lustig zu machen“, sagte Simon grinsend.
Ich nickte lächelnd und hielt vor Millies Haus an. Wie auf Kommando kam sie heraus, als hätte sie bereits hinter der Tür gelauert. Doch als sie sah, wer neben mit im Auto saß, blieb sie wie angewurzelt stehen.
Augenblicklich musste ich schmunzeln.
„Ist das Millie?“, fragte Simon.
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