Stundenlang verweilte er, auf seinen weiten einsamen Ritten auf Grani, seinem
Lieblingshengst, nur von seinen Hunden begleitet, nahe dem Meeresgestade, auf dem Doler
Berge. Dort träumte er von seinen Plänen.
Welche Tat muß ich vollenden, fragte er sich, damit der Name Tristan von Leonnois über dies
grüne Land, über die weißen Wogen dort, durch alle Welt klingt als der herrlichsten einer noch
in Tausenden von Jahren?
Freund Kurwenal weiß zu erzählen, daß irgendwo in der Ferne, über dem grauen Weltmeere
das Eiland Avalun leuchtet. Wer es erreicht, ist unsterblich.
Werde ich auf meiner großen Wanderfahrt diese göttliche Insel der Ewigkeit finden?
Feindselig lauerte Herzog Audret auf eine Gelegenheit, die seinen Vetter vom Hof
entfernen könnte. War der Verhaßte einmal fort, wer weiß, ob er dann jemals
wiederkehrte.
Mit viel Geschick hatten Audrets Parteigänger es zuwege gebracht, daß es unter den
Würdenträgern des Reiches nur wenige gab, die König Markes Vorliebe für Tristan billigten.
Niemand freilich zweifelte daran, daß des Herrschers Wille, seinem bevorzugten Neffen den
Thron zu hinterlassen, unbeugsam war, es sei denn ein leiblicher Erbe mit natürlichem
Vorrechte verdrängte den Erkorenen.
Marke war ein echter Hagestolz, und wahrlich, nichts war schwieriger als den schon zum
Einzelgänger gewordenen zu später Ehe zu bereden.
Gleichwohl, man mußte es versuchen. Darum hörte Audret nicht auf zu sagen: Verehrter
Herr
Oheim, Ihr müßt Euch ein Weib nehmen, denn es ziemt keinem Fürsten, Herrschaft und
Untertanen kinderlos zu hinterlassen. Wählt unter den Königstöchtern der Nachbarländer!
Sorgt für einen Leibeserben! Ihr seid es Eurem Volke schuldig.
Ganelun, Godwin und Denowal und alle andern Feinde Tristans bestürmten den König mit
dem gleichen Rate. Mitunter flochten sie verblümte Drohungen in ihre Reden, sprachen von
Überdruß, Kränkung und Hofflucht.
Der König wußte sich nicht mehr zu helfen. Obgleich er entschlossen war, solcher Bitte und
Nötigung immerdar Widerstand zu leisten, wollte er doch auch in Frieden mit seinen Baronen
verbleiben und sich seine Liebe zu Tristan nicht vergällen lassen.
Als aber selbst dieser eines Tages ernstlich in ihn drang, dem Wunsche der Ritter zu
willfahren,
da ihm sonst das Bleiben am Hofe verleidet sei, da versammelte König Marke seine
Edelleute und hörte sie einzeln an. Und da er vernahm, daß die Mehrheit mit seinem
Vorhaben unzufrieden war, bedingte er sich Bedenkzeit aus und befahl den Baronen, nach
vierzig Nächten nochmals vor ihm zu erscheinen.
Zwischen dem König und seinem Neffen herrschte das Schweigen der Erwartung. Keiner
sah einen guten Ausweg. In seinen Gedanken und Träumen sehnte sich Tristan weit weg
vom Haß und Neid seiner feigen Feinde, während Marke in seinem früheren Willen zu
schwanken begann. Allmählich machte er sich mit der Notwendigkeit vertraut, seinen
vornehmsten Wunsch und zugleich sein behagliches Hagestolztum zu opfern. Und wenn er
seinen hämischen Untertanen zuliebe auch einer Frau Venusin die Hälfte seines Thrones
einräumte, war damit der leibliche Erbe verbürgt?
Gleich einem Faun laut lachend, bedachte er dies, als er am vierzigsten Tage zu früher Stunde
sein fürstliches Himmelbett verließ und sich ans offene Fenster begab, um sich am
Maienmorgen zu erfrischen.
Da verflog sich im Eifer neckischen Streites ein sich jagendes Schwalbenpaar in Markes
Gemach. Es hatte wohl droben im Turm sein noch unfertiges Nest. Und wie die beiden Vögel
erschrocken sahen, wohin sie geraten waren, schwirrten sie durch das weite Fenster hurtig
wieder hinaus und entschwanden mit fröhlichem Schrei im Blau der Lüfte. Ihren Schnäbeln
war der Gegenstand ihres Spieles entfallen, ein langes Frauenhaar, blonder als Dukatengold
und feiner als feinste Seide aus dem Morgenlande.
König Marke hob das Haar auf.
Wiederum lachte er wie ein Faun:
Das senden mir die Götter!
Meine verehrten Ritter und Räte, sprach König Marke, als er gegen Mittag in die hohe Halle
vor die harrenden Herren trat. Vorausgesetzt, daß der Brautwerber, den ich aussenden werde,
seines Auftrages gerecht wird, ist es mein königlicher Wille, Eurem Wunsche zu willfahren.
Ich habe meine Wahl unter den Töchtern der Erde getroffen.
Man murmelte Beifall, wennschon sich keiner der Höflinge klar ward, ob der Fürst im Spott
oder im Ernst redete.
Darum stellte Herzog Audret die Frage: Sagt, König Marke, wer ist die Erkorene?
Marke erzählte die kleine Geschichte vom Schwalbenpaar und fügte hinzu: Die dieses
wundersame Goldhaar ihr eigen nennt, die habe ich erkoren. Wisset, nie und nimmer
werde
ich einer Andern die Krone des Landes anbieten. An Euch aber, meine Herren, ist es, die
Königsbraut nach Tintagol zu geleiten. Ich ahne es nicht, woher die Schwalben ihren
Schatz mitgebracht haben. Gewiß aus weiter Ferne, denn unter den Bretoninnen habe ich
solch Goldhaar niemals gesehen.
Audret vermochte des Argwohns nicht ledig zu werden, sein königlicher Oheim treibe argen
Scherz mit ihm und seinen Genossen, um sich ihrer Forderung listenreich zu entziehen.
Mit bösem Blick auf Tristan fragte er: Wir freuen uns Eures Entschlusses, König Marke. Doch
sagt, wer soll Euer Brautwerber sein?
Ich dachte zuvörderst an Euch, lieber Neffe, erwiderte der Herr der Bretonen, offenbar
belustigt, denn Ihr wart doch wohl der Vater des Gedankens.
Audret verbeugte sich geschmeichelt, um seine Ratlosigkeit zu verbergen. Empört über die
Wendung der Dinge schaute er sich um. Es dünkte ihn, über die Gesichter seiner besten
Freunde husche unverkennbare Schadenfreude. Er, der das gemächliche Leben über alles
liebte, er sollte sich urplötzlich aufmachen und in die weite Welt fahren – mit dem
lächerlichen Auftrage, zu einem ausgekämmten Frauenhaar die wer weiß wo weilende
Besitzerin aufzuspüren!
Zu seiner Überraschung trat Tristan vor den Oheim und sagte: Verstattet mir in Gnaden,
König Marke, daß ich mit etlichen Eurer Ritter und Mannen ausziehe, auf einem Eurer
Schiffe, um die Eine zu suchen, der dies schöne goldene Haar zu eigen ist! Ich zweifle
nicht, daß die Schwalben Boten des Schicksals waren. Irgendwo über Land und Meer harrt
eine herrliche
Königstochter Eurer Werbung. Verlaßt Euch auf mich! Ich werde die Königsbraut gen
Tintagol geleiten.
Möge er nimmer wiederkehren, der Narr! frohlockte Herzog Audret insgeheim; laut aber
sprach er: Wie soll dies Euch gelingen, Herr Tristan? Fürwahr, Ihr habt den Mund gehörig
voll. Hierbei werdet Ihr wohl andre Gefahren zu bestehen haben als auf der Insel des Heiligen
Samson, durch dessen Zauber Ihr den Wikinger erschlugt. Schon sehe ich Euch wieder in
unsrer hohen Halle, ohne die goldene Braut mit der verlegenen Nachricht: Einer Fee gehört
das Goldhaar, fern in einem Märchenlande, doch dies Paradies habe ich leider nicht betreten.
Hochmütiger denn je rief Tristan aus: König Marke, achtet des albernen Geschwätzes so
wenig wie ich! Aus Dankbarkeit, Liebe und Treue zu Euch, meinem edlen Oheim und
gütigen Schutzherrn, fahre ich über das Weltmeer, bis ich finde, was ich suche,
meinetwegen nach Avalun. Leib und Leben will ich unverzagt einsetzen. Und nie kehre
ich zurück nach Tintagol, es sei denn, ich bringe Euch die Königin mit dem Goldhaar. Das
schwöre ich Euch bei meiner Ritterehre!
König Marke ließ sein bestes Schiff rüsten und es reichlich mit Korn, Wein, Honig und
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