Alle, die es hörten, waren ergriffen. Am meisten
König Marke. Wie das Lied zu Ende war, zog er den Sänger an sich und küßte ihm die
dunkelumlockte Stirn.
Gesegnet sei der Meister, der dich das gelehrt hat, zur Freude der Menschen! rief er aus. Sag
an, wer ist dein Vater? Wo ist deine Heimat? Wer sind deine Lehrer?
Tristan deutete auf Kurwenal.
Der da, mein Freund und Hofmeister, der mag Euch auf Eure Frage Rede und Antwort stehen,
König Marke!
Kurwenal hielt den Augenblick für günstig.
Schweigsam überreichte er dem Fürsten den Reif, den ihm der Seneschall auf die große Fahrt
durch die Welt mitgegeben hatte.
Marke erkannte das Kleinod. Es war der Ring seiner eigenen Mutter, eine Brautgabe seines
Vaters. Blankeflor, Markes Lieblingsschwester, hatte ihn getragen bis zu ihrem letzten
Atemzuge.
Tränen zärtlicher Erinnerung traten ihm in die Augen.
König Marke, rief Kurwenal feierlich aus, dies ist Tristan von Leonnois, Euer Neffe, der Sohn
Eurer Schwester Blankeflor und des Königs Riwal, der sein Leben geopfert hat für Euer Land!
Ich habe Euern Neffen erzogen, auf daß er Ritter und Hofmann und vor allem Freund aller
Edlen werde.
Jene geheimnisvolle Stimme in mir hat mich also nicht betrogen, sprach der König. Vom
ersten Augenblick an wußte ich, daß du mein Sohn bist. Der Truchseß bringe uns goldne
Becher! Keiner der Tage, die ich bisher erlebt, war schöner denn dieser Tag.
Es ging ein wunderbares Licht von Tristans jungen Augen aus. Alle, die in der Halle saßen,
waren voller Freude.
Nur einer begann ihm zu grollen, Audret, denn
er sagte sich in bitterer Enttäuschung: Nimmermehr werde ich nun König von Cornouaille!
Fünf Jahre schon weilten Tristan und Kurwenal im Schlosse Tintagol. An König Markes
kurzweiligem Hof flogen die Tage rasch dahin.
Der junge Herr von Leonnois übte sich nach Herzenslust mit Schwert und Lanze, pflog
Waidwerk und Fischfang, ritt schwere und leichte Rosse, richtete Hunde und Falken ab,
warf Ball, schoß mit Pfeil und Bogen, trieb Musik und Schachspiel. Kurwenal
unterrichtete ihn in den Sprachen, die er beherrschte. So lernte Tristan Latein,
Normannisch und Fränkisch in der Pariser Mundart. Alles das kam ihm später gar wohl zu
statten. Und was an alten Liedern im Lande war, auch derlei blieb ihm nicht unbekannt,
dank dem gelehrten alten Kaplan, des Königs Geheimschreiber, dem es Freude machte,
die von den andern Geistlichen verdammten und verfolgten Denkmäler aus heidnischer
Heldenzeit zu sammeln und Liebhabern vorzulesen. Es war ein Lustrum behaglichen
Friedens und stiller Freuden.
Da plötzlich, an einem Frühlingstage, traf schlimme Nachricht ein.
König Hangwin von Dowelin, der schreckliche Wikingerfürst, der vor zweiundzwanzig Jahren
die bretonischen Lande bezwungen und verwüstet hatte, forderte durch eine Gesandtschaft den
Tribut, der ihm als Sieger noch zukam. Das war: hundert Pfund Gold, zweihundert Pfund
Silber, dreihundert Pfund Kupfer und hundert Jungfrauen aus den Bauern und Knechten
ebenso wie aus den Familien der Edelleute.
Nimmermehr konnte sich König Marke dazu verstehen, den schmachvollen Vertrag zu
erfüllen.
Er empfing die Boten. Ihr Führer war der Herzog Morold, wohlbekannt jedem Bretonen.
Damals, als er den König Riwal erschlug und im Lande Leonnois einbrach, war er ein
unlängst mündiger Jüngling. Jetzt ein stattlicher Vierziger in der Blüte seiner Heldenkraft.
Kampf war seine Leidenschaft, Krieg sein Handwerk, Grausamkeit seine Lust. An Gestalt
war er ein Hüne. Auch den größten Bretonen überragte er um Haupteslänge.
Als sich Marke, insgeheim ächzend und seufzend, auf seinen Königssessel gesetzt hatte, in der
hohen Halle von Tintagol, umgeben von seinen Baronen und Räten, da hob Herzog Morold
an:
König Marke, ich bringe Euch und Eurem Volke die letzte Botschaft meines Herrn, des
Königs Hangwin. Er fordert den ihm durch Sieg und Vertrag zukommenden Tribut, der
seit mehr denn zwanzig Jahren aussteht. Zahlt Ihr ihn,
so seid Ihr des Vertrages frei und ledig, und es herrscht Frieden zwischen Euerm und
unserm Volke. Gebt das Gold, Silber und Kupfer bei meinen Schiffen ab! Sie ankern
gegenüber der Insel des Heiligen Samson, wie Eure Kuttenträger den Ort jetzt nennen.
Ebenso die hundert Jungfrauen, wohlausgesucht, ohne Lahme und Bucklige. Laßt durch
das Los im Lande bestimmen, welche es sein sollen, und gebt sie ohne Verzug ab!
Der König von Cornouaille stand erregt auf.
Herr Herzog! rief er. Das Gold und Silber sollt Ihr hinwegführen, nimmermehr aber die
Jugend meines Landes! Ändert diese schmachvolle Bedingung; sie ist unwürdig Eures Königs
und Eures ruhmreichen Volkes!
Morold sann nach.
Die Kampflust war stärker in ihm als die Raubgier. Er schaute sich überlegen und
hochmütig
im Kreise um. Alle die Ritter König Markes, in ihren bunten Röcken, mit ihren höfischen
Schwerterchen, dünkten ihn drollig und spaßig. Etliche kamen ihm obendrein unverschämt
und anmaßend vor. Unsagbar gern hätte er mit dem oder jenen auf der Stelle einen kleinen
Waffentanz angestellt. Es lüstete ihn mächtig, einem dieser Maulhelden ein Maß Blut
abzuzapfen.
Wenn Ihr glaubt, König Marke, sagte er in kühlem Tone, daß Euch der rechtliche Tribut
schändet, so gäbe es wohl einen Ausweg. Stellt mir einen aus der Schar Eurer Edlen! Er soll
mir im ehrlichen Zweikampf entgegentreten. Wir werden um den Tribut kämpfen. Fällt er, so
zahlt Ihr den Tribut! Falle ich, dann haben wir unser Recht verloren! Ihr Herren von
Cornouaille, wer von Euch will für die Freiheit Eures Volkes mit mir fechten?
Verstohlen schauten die Ritter des Landes einander
an. Keiner trat vor, und alle senkten sie die wohlgelockten Häupter.
Der Eine sagte zu sich: Sieh ihn dir an; er ist stärker als vier Männer!
Betrachte sein Schwert! meinte der Andre. Es ist verhext und verzaubert. Sowie er ausholt,
fliegt schon der Kopf seines Feindes.
Der Dritte: Wehe um meine schöne junge Tochter! Habe ich sie erzogen, damit sie Magd und
Dirne eines verruchten Wikingers wird?
Aber mein Tod rettet sie doch nicht!
Und keiner trat vor.
Da hielt es den jungen Tristan nicht länger.
Schwer atmend rief er aus:
König und Herr, laßt mich kämpfen mit dem Feinde Eures Landes!
Marke schüttelte sein graues Haupt.
Ihr seid zu jung und noch nicht Ritter!
So schlagt mich zum Ritter!
Morolds finsterer Blick maß den verwegenen Jüngling geringschätzig vom Scheitel bis zur
Zeh. Wer seid Ihr, junger Mann? fragte er in gönnerhaftem Tone. Wißt Ihr, daß der Herzog
Morold nur mit Erkorenen zu kämpfen gewohnt ist? Wer seid Ihr? Wer ist Euer Vater?
Tristan erbebte. Die heiligste Pflicht seines Lebens, die Blutrache, hob ihm das Herz.
Tristan bin ich, Herr von Leonnois, einziger Sohn des Königs Riwal, mit dem Ihr gekämpft
habt wie ich mit Euch kämpfen will, auf Leben oder Tod. Ihr habt ihn erschlagen vor zwei
Jahrzehnten. Aber er ist wiedergeboren in mir, seinem Rächer!
Herzog Morolds Augen wurden heller. Der angehende Ritter gefiel ihm. Er erinnerte sich
jenes Zweikampfes zwischen den Fronten der Wikinger und Cornouailler. Damals war er
ein Jüngling wie dieser da. Und mit
wohlwollender Gebärde erwiderte er ihm: Angenommen! Laßt Euch zum Mann und Ritter
schlagen, und nach drei Nächten kommt zur Mittagszeit nach der Insel des Heiligen
Samson, unweit der Bucht, wo meine Schiffe liegen. Dort soll der Waffengang geschehen.
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