andre Art gewöhnt.
Ich lerne gern, meinte der Jägermeister in behaglicher Jagdlaune. Zeigt uns Eure Art!
Tristan streifte die Ärmel seines Rockes auf, zog seinen Hirschfänger, kniete nieder und
enthäutete den Hirsch. Alsdann zerlegte er das Tier fein und säuberlich.
Bald lagen die Kleinteile, der Ziemer, die Keulen, die Vorderblätter, die Rippenstücke und
so weiter auf dem Rasen.
Zuletzt bereitete er das Curée, indem er Lunge, Milz und Gescheide in kleine Stücke schnitt,
und warf es der schwanzwedelnden Meute mit fröhlichem Rufe zu.
Die Jagdgesellschaft fand kaum Worte genug des Lobes, und der vornehmste der Jäger, ein
rüstiger Sechziger, der Seneschall Tynas von Dinan, fragte den jungen Fremdling, der sein
Wohlgefallen gewonnen hatte: Gestattet mir zu fragen! Wer seid Ihr, junger Herr? Aus
welchem Lande kommt Ihr? Wo habt Ihr Eure höfische Kunst erlernt? Nennt mir Euren
Namen und Eure Heimat!
Und freundschaftlich bot er ihm die Rechte.
Tristan heiße ich, erwiderte Tristan. Eine Heimat ward mir nicht zuteil. Will ein Spielmann
werden, der seine Fahrt unterbricht, wo er liebe Leute findet. Und was ich Euch gezeigt,
das lernte ich von meinem Meister, Herrn Kurwenal.
Beide wurden ritterlich bewillkommt.
Reitet mit uns zum Herrn dieses Landes, zu König Marke! Ich bin sein Seneschall. Kommt
und seid seine Gäste! Folgt uns nach Schloß Tintagol! Zwei gute Pferde stehn Euch bereit.
Eure Einladung nehmen wir frohen Herzens an, erwiderte Tristan. Aber zuvor gestattet uns,
daß wir den Jagdzug ordnen, damit er Eures Königs würdig sei.
Er ließ sich Gabeln aus Baumästen schneiden, und jeder Jäger hatte ein Stück der Beute zu
tragen, der eine den Kopf, der andere den Ziemer, ein dritter die Lenden und so fort.
In Rotten zu zweit stellte sich der Zug auf. Zuletzt brach Tristan einen Zweig von einer
alten Eiche und reichte jedem Jäger grünes
Laub. Alle saßen auf und ritten an, die hornblasenden Hundsmänner unter dem Geläut der
lustigen Meute vorweg.
Nach zwei Stunden munteren Trabes erblickte man in der Ferne einen trotzigen Turm, und
alsbald leuchtete den beiden Fremdlingen vom Hang eines waldigen Hügels, hoch über
lachenden Wiesen und Weiden, die berühmte Burg Tintagol entgegen, der Königssitz des
Reiches Cornouaille.
Das ist Tintagol! ließ sich Tristan vom Seneschall berichten. Die ältesten Gebäude des
Schlosses haben zu Cäsars Zeit schon gestanden, und das Herrenhaus birgt Dinge, wie
man sie in keinem Schlosse findet: Wasserläufe, Marmorbäder und Heizröhren, steinerne
Teppiche und Riesenkrüge, und in der Halle werdet Ihr ein prächtiges Bildnis des Kaisers
Mark Aurel finden, aus zweierlei edlem Gestein! Die Stürme
der Zeit sind an diesem glücklichen Winkel vorübergejagt. Hinter der Burg, dort, wo die
alten hohen Wipfel sich wiegen, da ist des Königs Baumgarten, ein köstlicher Ort. Da wird
es Euch gar wohl gefallen.
Tintagol! jubelte der junge Weltfahrer bei sich. Tintagol, Haus meiner Mutter, sei mir gegrüßt!
Tintagol, birg mir mein Glück!
Tristan schwenkte seine Jagdmütze. Keiner außer Kurwenal ahnte den Grund seiner großen
Freude.
Wie der Zug näher kam, gliederte sich die stattliche Burg. Tristan bestaunte die gewaltigen
Umrisse der Wälle, Basteien, Türme und Häuser. Bald erkannte er auch das starke Tor, die
langen weißen Zinnen, das breite hohe Königshaus, merkwürdig bemalt, schachbrettartig,
die Felder blau und grün. Tristan hatte derlei noch nie gesehen. Ebenso farbenfroh hob
sich
hoch darüber das Ziegeldach. Man ward heiter, sah man alle die bunten Dinge.
Kurz vor der Brücke ließ Tynas die Hörner blasen. Das Burgtor öffnete sich. Die Reiterschar
zog feierlich und wohlgeordnet im Schritt ein. So hatte Herr Kurwenal es angeordnet.
Im Schloßhof unter dem Kreise von fünf alten Linden stand König Marke, der Herrscher von
Cornouaille, ein stattlicher Herr von dreiundfünfzig Jahren. Der Turmwart hatte ihm die
Rückkehr der Jagdgesellschaft vermeldet.
Er stand da und staunte.
Wie die Hunnen waren seine Ritter sonst durch die Tore in den Hof gestürmt. Woher die artige
Wandlung?
Aha, meinte er beim Anblick von Tristan und Kurwenal, zwei fremde Herren haben das
Wunder vollbracht. Betrachten wir sie uns näher!
Schon begann der alte Seneschall dem Könige von der Begegnung mit den Fremdlingen zu
erzählen und den Aufzug der Jäger zu erläutern. Marke lobte das geschickt zerlegte
Wildbret. Mehr noch gefiel ihm der fremde junge Waidmann.
Er hatte ein halbes Dutzend Edelleute um sich, junge und alte; auch ein Neffe, Herzog Audret,
lebte am Hofe. Marke war der reichste Fürst der Bretagne; er knauserte niemals, und oft ging
es hoch her im Schlosse Tintagol. Trotzdem fühlte sich der König einsam, und je älter er
wurde, umsomehr ward er den Anderen fremd. Er war Junggeselle geblieben; warum, das
wußte er eigentlich selber nicht.
Audret war der einzige Sohn von Markes verstorbenen jüngeren Schwester, deren Gatte
ebenfalls nicht mehr lebte. Da der Sohn der älteren Schwester Blankeflor verschollen war,
so fiel Krone und Land dereinst an Audret, der
sich daraufhin gewaltig viel einbildete, ohne daß seinen Dünkel sonstige Vorzüge
wettmachten. Der Oheim schätzte den Neffen wenig, und wenn er der Zukunft seines
Reiches gedachte, bekam er Herzdrücken. Audret eignete sich nie und nimmer zum
Thronerben. Fürstliches Tun und königliches Denken waren nicht von ihm zu erwarten.
Der Zufall fügte es, daß Audret und Tristan nebeneinander standen. Wer keinen von beiden
kannte, hätte glauben müssen, Tristan sei ein Königssohn und Audret von unbedeutender
Herkunft. Unwillkürlich verglich Marke die jungen Männer.
Er seufzte auf. Seltsame Zuneigung erwuchs in ihm. Wahlverwandtschaft zog ihn zu dem
jungen Fremdling hin, von dem er doch nichts weiter wußte als daß er einen Braten nach allen
Regeln der Kunst zu zerlegen verstand.
Er, der einsame Fürst, der seiner Umgebung als Menschenfeind, Zweifler und Sonderling
galt, bot einem hergelaufenen Knaben die sonst steife und stolze Rechte mit
unverkennbarer Huld.
Willkommen, junger Edelmann! sprach er. Meine Burg sei Euer Heim, solange Ihr Euer Glück
darin findet.
Tristan neigte sich tief vor dem König. Ein wundersam Gefühl beseligte ihn. Es war ihm, als
habe er in Tintagol endlich sein Vaterland gefunden.
Am Abend, als die Tafel aufgehoben war, ließ ein fränkischer Spielmann seine Harfe
erklingen, ein Meister seiner Kunst.
Als sein erstes Stück zu Ende war, fragte König Marke den ihm zu Füßen sitzenden Tristan:
Junger Freund, was sagt Ihr zu dieser Melodie? Gefällt sie Euch?
Tristan wandte sich an den Harfner: Meister,
Ihr habt der alten Weise ein neues schönes Kleid umgetan, der alten Weise zu dem Liede
von der Dame, die, ohne daß sie es ahnte, das Herz ihres Liebsten gegessen, des Ritters
Gralant, den ihr eifersüchtiger Gemahl auf der Jagd umgebracht hatte. Ihr habt wohlgetan,
der allbekannten alten Melodie ihre Art zu lassen. Ein Bretone hat sie ersonnen vor langen
Zeiten.
Was wißt Ihr von meiner Kunst? entgegnete der Spielmann ärgerlich. Ihr seid doch ein Kind,
kaum kundig eines Instruments.
Ein wenig spiele ich die Harfe, erwiderte Tristan, ohne seine Worte irgendwie zu betonen,
aber auch die Rotta. Gebt mir eine! Die habe ich am liebsten.
Man brachte ihm die Zupfgeige.
Tristan präludierte. Darauf sang er den bretonischen Text des Liedes von der Herzemäre.
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