vor ihm schon manch andrer seiner Ahnherren mit Ehr und Ruhm getragen hatten.
Wie weise Rual gehandelt, zeigte sich bald. Ein Jahr nach Tristans Ankunft fiel Herzog
Morold auf neuer Fahrt beutelustig in den Gau von Leonnois ein. Widerstand wäre vergeblich
gewesen, denn es waren am Strand von Cornouaille zu viele der Besten unter dem hohen
Heldenhügel verblieben. Darum, wenn auch schweren Herzens, schloß der Seneschall
Waffenstillstand mit dem Normannenfürsten und fügte sich seiner Oberherrschaft.
Hätte Morold gewußt, daß unter Ruals drei Knaben, denen er leutselig auf die braunen
Locken klopfte, einer der Sohn Riwals war, so hätte
er ihn kalten Herzens als den rechtmäßigen Erben des Landes umbringen lassen. Man
verfuhr nicht anders in jener harten Zeit.
Wie Tristan sieben Jahre alt war, schaute sich der Graf Rual, den der Eroberer als Verweser
von Leonnois belassen hatte, unter den Baronen des Landes nach einem guten Hofmeister für
den wohlgeratenen Knaben um. Er selber dünkte sich so schwerem Amte nicht mehr
gewachsen. Helden, so meinte er, müssen von jungen, nicht von alten Männern erzogen
werden.
Seine bedachtsame Wahl fiel auf den Herrn Kurwenal als einen Meister aller ritterlichen
Künste. Ihn ernannte er zum Guvernator des künftigen Fürsten, wobei er ihm das Geheimnis
seiner Geburt anvertraute.
Kurwenal war ein Ritter ohne Furcht und Tadel, ein echter Bretone, von tapferem Sinn und
tiefem Gemüt, schwer zugänglich, dafür umso beharrlicher, dreimal älter als sein Zögling.
Er hatte lange Zeit die Welt durchfahren, manches Herrn Land kennengelernt und die
Sprache dreier Völker zu der seiner Heimat hinzugelernt. Sieben Jahre hatte er zu Paris am
fränkischen Königshofe verweilt. Dort war es vor allem, wo er sich die waschechte
Urbanität des guten Europäers erworben hatte.
Aber nicht nur als Hofmann war Kurwenal Muster und Meister. Er war ebenso erfahren im
Gebrauch von Schwert und Lanze. Einen Reiter und Waidmann kannte man nicht seines
gleichen. Und in den schönen Wissenschaften, in der edlen Musika wie im gelehrten
Schachspiel galt er mit Fug und Recht für wohlbeschlagen.
Zur Stunde, da er vom Seneschall die wichtigste Aufgabe des Vaterlandes empfing,
gelobte er dem
jungen Fürsten insgeheim Treue bis in den Tod und weihte ihm sein ganzes Leben.
Feierlich bot er dem Knaben die Rechte, und Tristan umarmte ihn in namenloser Freude;
er hatte ihn so oft als hochgemuten Mann preisen hören. Vom ersten Augenblick an liebte
er die wunderbar klugen klaren Augen seines älteren Freundes.
Unter Kurwenals Vorbild wuchs Tristan von Leonnois zu einem wahren Ritter heran. Wie im
Spiel erlernte er alles, was ihm sein Hofmeister als gut, schön und edel lobte, und er kannte
kein anderes Streben als dies: seinem Führer zu gleichen.
Wie er sechzehn Jahre alt war, da sprach er eines Tages zu Kurwenal:
Herr Kurwenal, mich drängt mein Sinn, erprobt zu werden in der weiten Welt, von der Ihr
mir so viel Herrliches und Erhabenes erzählt. Nicht länger möchte ich damit warten.
Das Leben eines Mannes, so sagt Ihr oft, ist kürzer denn er denkt. Ich will das meine nicht
unnütz verfliegen lassen. Was vollbringe ich hier? Keiner außer Euch und meinem
Pflegevater weiß, wer ich in Wahrheit bin. Ihr meint, es sei gut so. Aber wenn ich einmal
als berühmter Ritter zurückkehre, dann sollen es alle wissen.
Kurwenal lachte.
Lieber junger Freund, sagte er, du hast es eilig, ein Mann und ein berühmter Mann zu werden.
Und um was im besten Falle? Weißt du nicht, daß sich in die große Welt begeben, Kämpfer
werden heißt? Daß wir da draußen jede Lust mit dreimal so vielem Leid bezahlen müssen?
Daß wir nimmermehr eine so friedsame Heimat wiederfinden?
Bin ich nicht heimatlos geboren? fragte Tristan versonnen.
Wohlan, sprach Kurwenal, wir wollen zuvörderst deinem Oheim, dem König Marke von
Cornouaille, in seiner Burg Tintagol den ihm geziemenden Besuch abstatten. So lange es
dir gefällt, verweilen wir bei ihm. Du wirst dort manches dir Neue sehen und lernen.
Wie Herr Rual und Frau Floräte von Tristans Weltsehnsucht vernahmen, waren sie gar traurig,
denn ihr Pflegekind war ihnen ans Herz gewachsen gleich wie ihre eigenen beiden Söhne; aber
sie sahen ein, daß es wohl sein müsse.
Und so sagte der alte Seneschall: Lieber Sohn und Freund, gern und ungern erfülle ich dir
deinen Wunsch. Zieh hin und erfülle dein ritterlich Schicksal! Bringe deinem edlen Vater
droben in Walhall und unserm teuren Vaterlande Ruhm und Ehre! Erkämpfe uns die alte
Freiheit! Räche König Riwals Tod! Dein hoher Sinn wird dich zum Helden machen.
Er befahl seinem Schaffner, die Reise bestens vorzubereiten. Zwei junge Edelleute und
fünf Knappen wurden ausgesucht, daß sie mitfahren sollten. Gold und Silber ward auf ein
Maultier geladen; auf ein anderes reiche Gewänder, Leinenzeug und Gastgeschenke. Und
zwei der schönsten Pferde wurden ausgerüstet.
Als sich Tristan und Kurwenal vom Seneschall und vom Hofe verabschiedeten, da reichte
Herr Rual dem jungen Weltfahrer das alte Feldschwert Riwals und sprach:
Führe es und hüte es und sei immer ein Ritter!
Herrn Kurwenal aber händigte Rual einen goldenen Fingerreif mit einem Rubin ein.
Blankeflor hatte ihn dereinst getragen.
Sodann fuhr die Schar aus dem Hafen um die sieben Felseninseln nach Cornouaille.
Bei der Einfahrt in die tiefe Bucht von Dinan
bat Tristan seinen Hofmeister: Herr Ritter, ich bitte Euch, haltet an König Markes Hof
geheim, welcher Herkunft ich bin, bis die Umstände meine Offenbarung erheischen!
Kurwenal willigte ein.
Bisher entschlossen, vor der Burg Dinan zu landen, ließ er nunmehr das Schiff zwei
Wegstunden weit vorher linker Hand in den Sand laufen. Tristan und Kurwenal samt einem
Knappen stiegen aus, schlichte Jägertracht angetan. Die Übrigen fuhren gemächlich weiter,
mit dem Befehl, regelrecht im Hafen die Reise zu vollenden und daselbst des Weiteren zu
warten.
Wie die drei zu Fuß landein wanderten, auf einem einsamen Wege durch hohen tiefen Wald,
hörten sie plötzlich Hörnerklang und Jagdgeschrei.
Tristans Jägerherz begann zu klopfen.
Und siehe! Von der einen Seite her, wo eine schmale Blöße den Wald unterbrach, sprang
ein
prächtiger Zwölfender auf den Weg und brach erschöpft zusammen. Zwölf braun und
weiße Bracken hingen ihm am Halse wie eine schwere Traube. Weiß vom Schweiße
glänzte dem zu Tod gehetzten Tiere das nasse Fell.
Mit Hallo und Halli kam das Feld der Jäger angaloppiert.
Alle Reiter schwangen sich behend aus den Sätteln. Die Hörner der nachkommenden Knechte
ertönten.
Alsbald durchschnitt der Jägermeister dem Hirsch die Kehle.
Verwundert sah Tristan, daß er wie ein Barbar verfuhr. Er hatte von Kurwenal den fränkischen
Waidmannsbrauch erlernt.
Indem er unter die Jäger trat, die im Kreise um die Jagdbeute standen, rief er dem
Jägermeister, der sich anschickte, den toten Hirsch mit seinem Dolche zu zerstückeln, laut zu:
Was tut Ihr, Herr Jägermeister? Ist es hierzulande Brauch, ein edel Stück Wild wie ein
Schwein zu schlachten?
Macht Ihr es anders? fragte der Andere und hielt ein in seinem Handwerk. Ich will den Kopf
dieses Hirsches abschneiden. Sodann zieh ich ihm die Haut ab und teile ihn der Länge nach in
zwei Teile, und jeden Teil der Breite nach abermals in zwei Teile. Jedes Viertel muß das
gleiche Gewicht haben. Mehr erfordert mein Amt nicht.
Es mag sein, hub Tristan von neuem an, daß Ihr damit Eures Landes Brauch erfüllt. Wir sind
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