An diesem sonnigen Sommermorgen versuchte ich, meine Truppen in Formation zu bringen. Immer wieder ritt ich die lange Reihe der Schwarzen und Braunen ab und trieb die verdutzten Tiere vor und zurück oder zur Seite, aber erntete nur verständnislose Blicke und völlige Gleichgültigkeit. Sobald ich mich entfernt hatte, begannen die Pferde erneut, sich mit dem Gras zu beschäftigen.
Und als ich so weit war, einen Angriff auf die gegnerischen Pferde zu reiten, folgten mir meine Truppen keinen Schritt. Sie hoben nicht einmal die Köpfe. Also wendete ich im Galopp, durchbrach die eigenen Reihen, wendete erneut und trieb die erschreckten Tiere vor mir her auf die Weißen und Grauen zu. Wir lieferten uns eine erbitterte Schlacht. Den härtesten Kampf hatte ich mit dem gegnerischen Heerführer, einem wolkenweißen Hengst, dem Vater der meisten Fohlen auf der Weide. Ich provozierte ihn mit meinen erbitterten Angriffen derart, dass er mich beißen wollte. Beinahe hätte er mich verwundet, wenn ich nicht in der Hitze der Schlacht, mitten im Galopp, mein Pferd verlassen und ihn bestiegen hätte.
»Du musst deine Schlachtordnung bis zum Ende beibehalten!«, hörte ich eine Stimme hinter mir.
Überrascht sah ich mich um. Ich hatte mich unbeobachtet gewähnt. Ein Fremder hatte sich der Herde unbemerkt genähert. Nun sah er mir amüsiert zu, wie ich den weißen Hengst auf ihn zutraben ließ.
»Wenn du es nicht tust, werden sich deine Männer schnell in Einzelkämpfe verwickeln«, fügte er an, als ich nahe genug war.
»Friede sei mit Euch!« Er war weit geritten und das Pferd war müde. Ich ergriff die Zügel. »Seid Ihr heil und gesund?«
»Das bin ich«, beantwortete der andere den traditionellen Gruß. »Bist du selbst heil und gesund, mein Sohn?«
»Dank Tenger, ja. Ist Friede in Eurem Ordu?«
»Wir leben in Frieden. Noch .« Ein Grinsen huschte über das Gesicht des Fremden. »Habt ihr gute Weiden?«
»Haben wir«, bestätigte ich. Nachdem die formelle Begrüßung des Fremden beendet war, konnte ich die Fragen stellen, die mich wirklich interessierten. »Woher kommt Ihr?«
»Ich heiße Subotai und komme aus Fürst Temudschins Lager.«
Jede Handbreit von Subotai war ein Krieger. Die kräftigen Schultern sprachen von täglichen Schwertübungen, die muskulösen Arme von einem mühelos gespannten Langbogen. Er bewegte sich mit der beherrschten Selbstdisziplin eines lauernden Schneeleoparden. Selbst die feinen Muskeln um die Augen und in den Mundwinkeln hatte er unter Kontrolle. Ich habe Subotai in all den Jahren niemals lächeln sehen. Niemals.
»Mein Name ist Temur. Wohin führt Euch Euer Weg?«
»In Fürst Todas Ordu. Ich habe eine Botschaft für ihn.«
»Das Lager ist eine Stunde entfernt. Ich werde Euch hinführen.«
»Kannst du deine Truppen solange allein lassen, Temur Noyan?«, fragte er spöttisch.
»Sie kommen ohne mich zurecht«, sagte ich stolz.
Ich sprang ab, ließ den Weißen traben und sattelte mein Pferd. Dann führte ich Subotai in unser Ordu.
Jesutai eilte uns entgegen, als er mich mit dem Fremden ankommen sah, und ergriff die Zügel beider Pferde. Dann nutzte ich meine Chance und huschte vor Subotai in die Jurte des Fürsten, um seinen Besuch anzukündigen. Wenn er sich selbst vorstellte, hatte ich keine Gelegenheit mehr, die Jurte zu betreten und zu erfahren, welche Nachricht Subotai dem Beki überbringen sollte. Jesutai band eilig die beiden Pferde fest und folgte ihm.
»Ich bringe Euch eine Nachricht von Eurem Cousin Temudschin«, grüßte Subotai den Beki.
»Wie geht es meinem Cousin ?«, fragte Toda, der dem Gast seine Silberschale mit Arkhi füllte. Die Erwähnung des Verwandtschaftsgrades war ungewöhnlich und unnötig.
»Es geht ihm gut. Er ist gesund«, sagte Subotai, während er sich auf einem Kissen auf der Gästeseite der Jurte niederließ.
»Wie geht es seiner Gemahlin Börte?«
»Es geht auch ihr gut, Toda. Wie auch seinen Söhnen Dschutschi, Tsagatai, Ogodei und Tolei. Es geht seinen Herden gut und die Weiden sind saftig.«
Toda sah Subotai überrascht an, weil er die traditionellen Grußfragen derart unhöflich beantwortet hatte.
»Und die Zahl seiner Gefolgsleute steigt unaufhaltsam«, fügte Subotai an. Er sah Toda dabei nicht an, sondern konzentrierte sich auf den Boden seiner Trinkschale.
»Das freut mich für meinen Cousin.« Ich hörte Todas Gedanken förmlich durch die Jurte jagen.
»Temudschin wünscht Euch in seinem Ordu begrüßen zu können.« Subotais mangelndes diplomatisches Geschick wurde durch seine Menschenkenntnis und seine überragenden strategischen Fähigkeiten mehr als aufgewogen. Jedes Wort traf wie ein präzise gezielter Pfeil. »Die Bekis haben einen Kuriltai einberufen. Sie wollen einen Khan wählen.«
Toda schwieg.
»Die Fürsten Altan und Kuschar haben bereits ihre Ansprüche auf den Titel zurückgewiesen und erklärt, dass sie Temudschin wählen werden. Fürst Satscha ist noch unentschlossen, ob er verzichten soll, aber er ist kein ernstzunehmender Rivale für Temudschin.« Subotai stellte seine Trinkschale vor sich auf den Boden. Toda war zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, um diese Geste zu bemerken. Aber Subotai war nicht beleidigt. »Temudschin wünscht, dass Ihr, Fürst Toda, ebenfalls an diesem Kuriltai teilnehmt.«
Toda schien aus einem Traum zu erwachen. »Er wünscht es?«
»Noch ist er nicht gewählt«, lenkte Subotai ein.
»Bestehen daran noch irgendwelche Zweifel?«
»Ihr selbst könntet Eure Ansprüche anmelden, Fürst Toda. Ihr seid genauso verwandt mit der Herrscherfamilie Kutula Khans wie es Kuschar und Altan und Temudschin sind.«
»Du dienst deinem Fürsten Temudschin schlecht, wenn du mir zu diesem Schritt rätst, Subotai.« Toda schüttelte den Kopf. »Was ist mit Dschamuga? Wünscht Temudschin auch seine Anwesenheit?«
»Es wäre besser für ihn, wenn er nicht käme!« Wenn Subotais Bemerkung Toda überzeugen sollte, sich Temudschin kampflos zu unterwerfen, hatte sie ihr Ziel verfehlt.
Subotai erhob sich. »Ich soll Euch ausrichten, dass Temudschin Euch die Entscheidung überlässt, ob Ihr zum Kuriltai erscheint und Euer Wahlrecht wahrnehmt oder nicht. Aber Ihr solltet die Konsequenzen bedenken, wenn er zum Khan gewählt wird und Ihr nicht unter seinen Wahlmännern wart.«
Toda sah zu Subotai auf und machte keine Anstalten, sich zu erheben. »Was hat er vor? Will er jeden umbringen, der ihn nicht gewählt hat? Will Temudschin die Steppe mit Strömen von Blut tränken? Nicht einmal die Hälfte der Bekis steht hinter ihm. Will er Frieden oder Krieg?«, fragte Toda.
»Kommt zum Kuriltai und fragt ihn selbst!«
Toda brauchte zwei Tage, um zu entscheiden, dass er nicht an der Ratsversammlung der Fürsten teilnahm. Stundenlang hatte er sich mit seinen Kriegern beraten und die Alternativen gegeneinander abgewogen. Ein Bündnis mit Temudschin gegen Dschamuga. Ein Bündnis mit Dschamuga gegen Temudschin. Eine Allianz mit Togrul Khan von den Kereit, einem Volk im Westen, um Temudschin und Dschamuga von zwei Seiten einzuschließen. Die Verlegung des Lagerplatzes nach Süden, um allen Kampfhandlungen auszuweichen. Keine der Alternativen war wirklich erstrebenswert. Am dritten Tag nach Subotais Abreise verkündete er seine Entscheidung.
Kökschu verlieh seinem Unmut Worte: »Wenn Ihr nicht gehen wollt, Toda, dann lasst es bleiben. Ich werde gehen.«
Obwohl meine Mutter Kökschus Versuchen, in ihr Bett zu gelangen, unermüdlich Widerstand leistete, hatte sie sich entschlossen, ihn zum Kuriltai in Temudschins Lager zu begleiten.
»Wir werden Großmutter besuchen«, sagte sie, als sie mir ihren Entschluss verkündet hatte.
»Ich habe eine Großmutter?«, fragte ich überrascht.
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