An der Elbe, im Hamburger Westen aufgewachsen, zog es mich immer wieder an den Strom, den großen Schiffen nachzuschauen. Es war klar und stand für mich von jeher fest: „Du fährst einmal zur See!“
Familiär hingegen war ich nicht vorbelastet, Vater Versicherungskaufmann, Mutter, zu ihrem großen Leidwesen nur noch Hausfrau. Früh verstarb der Vater. Bei Mutter war der Wunsch zur See zu fahren, dann durchsetzbar.
Der Vater einer Mitschülerin war Inspektor bei einer Hamburger Reederei, somit war die Weiche gestellt. Ich schmiss die Schule, und Mutter meldete mich in Bremervörde zur Seemannsschule an.
Drei Monate dauerte die seemännische Grundausbildung, gleichzusetzen mit einer Berufsschule an Land. Die Schulzeit wurde als Fahrzeit angerechnet. Damals war man sehr bemüht, das Berufsbild Matrose als Beruf anzuerkennen. Heute bekommt man einen Schiffsmechaniker-Facharbeiterbrief für den integrierten Einsatz an Deck und in der Maschine. Aus dem Moses wurde ein Jungmann, später der Leichtmatrose. Zwei Jahre vergingen recht schnell. Es waren schöne Zeiten mit guten Reisen und für heutige Verhältnisse langen Liegezeiten. Ende gut, alles gut, ich habe die Prüfung bestanden, und voller Stolz hielt ich meinen Matrosenbrief in den Händen. Nun war ich Janmaat. Eine neue Entscheidung stand an. Meine Reederei bot mir an, im Hause Reedereikaufmann und Schiffsmakler zu lernen.
Die Alternative war, zwei Jahre als Matrose vor dem Mast zu fahren, um dann das Steuermannspatent zu machen. Ich blieb an Land und nahm das Angebot der Firma an. –
Binnenschiff „TANNENBERG“ – Versorger zwischen Hamburg und Rendsburg
Es war einmal bei „Max“ im „Heuerstall“ im früheren Hamburger Seemannshaus, von den Seeleuten das „Weiße Haus am Meer“ genannt, das heutige Hotel Hamburg.
Morgens so gegen 10 Uhr, saßen vier Leute im Warteraum, hofften auf ein neues Schiff, spielten Karten. Max, der Heuerbaas, rieft aus: „Ein Matrose für „MANGAN“ - Reederei Komrowski, weltweite Trampfahrt. Keine Miene wurde verzogen. Man schaute weiter in seine Karten. - Wollt ihr nicht? Hein stand auf, bewegte sich im Zeitlupentempo, um mit Max auf Augenhöhe zu kommen. „Da fahr man alleine. Never-come-back-Line und 2,80 Mark Proviantsatz.“ „Kuddel, du gibst! Weiter geht’s. Nach zweistündigem Vorlesen und Ausrufen von Schiffs- und Reedreinamen konnte Max zwei Leute vermitteln. Der Rest ging wieder dahin, woher er gekommen war, in den Silbersack zu Erna. So ging es in den 1960er Jahren zu im weißen Haus am Meer, und niemand ist auch nur auf die Idee gekommen, auf einem Binnenschiff zu fahren. Seeleute sahen die Binnenschiffer als Schreber unter den Fahrensleuten.
Das änderte sich bei mir selbst total, nachdem ich das Binnenschifferpatent A in Kiel in Empfang nehmen konnte. Es hat sich ergeben, dass ich nach meiner Seefahrtzeit über diverse Tätigkeiten im Hamburger Hafen zur Binnenschifffahrt gestoßen bin. Es eröffnete sich mir eine ganz andere Welt, in der man etwa nicht von einer Lademarke, sondern von Einsenkmarken spricht. Ein Binnenschiff, wie die TANNENBERG kann 1.040 to Ladung befördern und wird von einer Zwei-Mann-Besatzung gefahren.
– Liegeplatz der TANNENBERG an der Ölmühle in Hamburg –
Anfang der 1960er Jahre konnte ein Küstenmotorschiff von 499 BRT (Vermessungswunder) eben gerade einmal 750 to laden. – Diese Schiffe wurden allerdings mit einer Besatzung von 8 bis 11 Mann gefahren. Wer hier der Meinung ist, dass es sich ja um ein Zweiwachenschiff handelt mit jeweils sechs Stunden Wache, dem sei gesagt, dass ein Binnenschiff pro Tag 16 Sundenfahren darf, mit zwei Mann wohlgemerkt.
So etwas wie Festmacher sind in der Binnenschifffahrt völlig unbekannt. Man arbeitet mit Hakentau, Bootshaken und doppelter Bucht. – Beim Laden unter der Schütte wird laufend verholt, die Leinen durchgeholt und gefiert was das Zeug hält. Das gehört zum Binnenschifferalltag.
Einen Bootshaken hatte ich das letzte Mal beim Übungsmanöver „Mann über Bord“ in der Hand.
Kurzum, eines Wintermorgens stand ich in Harburg vor meinem neuen Arbeitsplatz, „TANNENBERG I“. Es war lausig kalt, und der Eigner ließ auf sich warten. Das Schiff war komplett vernagelt, also abgeschlossen, voll abgeladen, Freibord ca. 20 cm, im Ruderhaus eine Schiefertafel mit der Aufschrift: „Auf Abruf für NOK (Nord-Ostsee-Kanal)“.
Nach mehreren Telefonaten, trafen wir uns in einem spanischen Restaurant. Der Eigner, „Siggi“ erzählte kurz, dass es am kommenden Sonntag losgehen solle.
– Das Ruderhaus der TANNENBERG –
Man fährt grundsätzlich mit der Tide mit 650 Umdrehungen per Minute. Der Hauptmotor, 8 Zylinder Deutz, Baujahr 1964, noch verhältnismäßig jung, wenn man bedenkt, dass der Rumpf des Schiffes schon 100 Jahre auf dem Buckel hat. 750 Umdrehungen wäre Vollast, aber eine alte Oma läuft ja auch keine 10,0 mehr auf 100 m.
Das Einsatzgebiet des Schiffes war in den letzten Jahrzehnten die Unterelbe. Geladen wurde nahezu ausschließlich nur für einen Kunden, nämlich für die Vollkraft Rendsburg. Futtermittel-Mischwerk, überwiegend Sojaschrot unterschiedlicher Qualität. Man unterscheidet hier zwischen leichter und schwerer Ware. Ladestelle war meistens die Oelmühle Hamburg.
Wenn alles gut läuft, dauert so ein Ladevorgang drei bis vier Stunden.
Volle Ladung Soja – Unter der Schütte der Ölmühle in Hamburg. Man unterscheidet drei Qualitäten: schwere Ware, leichte Ware und Mische. Ein guter Schütter ist für die gleichmäßige Beladung zuständig. Eine zu weit aufgeklappte Schütte ergibt „Berge“, und die Luke lässt sich nicht mehr schließen. Spätestens dann muss von Hand getrimmt werden.
Für die Strecke Hamburg – Rendsburg im Kiel-Kanal benötigten wir zwölf Stunden, sechs Stunden für die Elbe bis Brunsbüttel.
Wenn es briest, fährt man durchs „Kartoffelloch“, scheint die Sonne, von roter Tonne zu roter Tonne. Die Steuerautomatik hilft. Das Schiff, ursprünglich in Holland für das Isselmeer gebaut, hat zwei Eigenschaften, über die normale Binnenschiffe nicht verfügen: eine hohe Back, dadurch ein gutes Seeverhalten. Es bestand die Erlaubnis, bis Windstärke 6 die Unterelbe zu befahren. Wer das Revier kennt, weiß, dass es auf der Unterelbe richtig pusten kann.
Passieren Leuchtfeuer Juelsand auf der falschen Seite, außerhalb des Fahrwassers, da es hier eisfrei ist.
Ballastschiff: Um Gewicht in das Schiff zu bringen, wurde der Laderaum durchgehend einen Meter geflutet.
TANNENBERG I verfügt über ausgezeichnete Flussradargeräte, passt eigentlich gar nicht zum „Liegenden Büssing-Lenkrad“ mit dem die Maschine umgesteuert wird. Das Schiff steuert gut. Die schon etwas ausgelatschte Rudermaschine gewährleistet nach einiger Konzentration einen guten Geradeauslauf.
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