Alle Kraft verließ mich, als ich Peter mitten im Türrahmen stehen sah. Die Tasse fiel zu Boden und zersprang in tausend Einzelteile. Der heiße Kaffee ergoss sich über meine nackten Füße und ein weiterer Schrei verließ meine Kehle.
Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob ich wegen dem Schmerz oder dem Schock aufschrie. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus beidem. An die nächste halbe Stunde kann ich mich nur noch schemenhaft erinnern, aber ich glaube, dass mich Peter, noch in der Tür stehend fragte, wie meine Schicht gewesen wäre und wann ich nach Hause gekommen sei. Wir müssen dann unser Gespräch irgendwann ins Schlafzimmer verlegt haben, denn meine nächste klare Erinnerung an diesen Morgen ist, wie ich mir auf dem Bett sitzend meine Socken anzog. Peter war mir gefolgt und stand in der Schlafzimmertür. Ich fühlte mich in die Enge getrieben und ahnte, dass mir nun das Gespräch bevorstand, was ich mit Peter seit langem schon hätte führen müssen. Nur dass er nun die Zügel in der Hand hielt. Ich fühlte mich schlecht und dachte ich müsste mich jeden Augenblick übergeben.
»Erzähl keinen Scheiß Hannah!« Es drehte sich alles und ich öffnete das Fenster, um wieder klarer im Kopf zu werden.
»Hannah, was ist in letzter Zeit mit dir los?«
Ich versuchte Peter in die Augen zu sehen und seinem Blick standzuhalten, doch es ging nicht. Zum einen, weil dieser absurde Hass gegenüber Peter in mir aufstieg und zum anderen mischten sich nun auch noch diese schrecklichen Schuldgefühle dazu.
»Ich hab dich in der Bar gesehen!«
Seine Worte hallten durch meinen Kopf und ich begriff nur langsam. Das Schwindelgefühl nahm wieder zu. Das Einzige, was dem entgegen wirkte war diese Wut, die mich zu übermannen drohte und ich ließ es zu. Mein Puls kletterte unaufhörlich in die Höhe und anstatt das Gespräch auf einer ruhigen Ebene zu belassen, wurde ich immer lauter und ich hörte wie meine Stimme anfing sich zu überschlagen.
»Spionierst du mir etwa hinterher?!«
Peter wurde von meinen Ausbruch überrascht. Für einen Moment schien auch er nicht mehr zu wissen, was er sagen sollte und ich nutzte die Gunst des Augenblickes, um aus dem Schlafzimmer zu fliehen. Doch Peter packte mich am Oberarm und hielt mich fest.
»Ich hab mir doch nur Sorgen gemacht.«
Ich versuchte mich aus seinem Griff zu lösen. Immerhin bekam ich meinen rechten Arm aber so weit frei, dass ich ihm eine kräftige Ohrfeige geben konnte. Sein Griff löste sich etwas und ich stieß ihn von mir weg. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte rückwärts in den Flur. Mein Brustkorb hob und senkte sich, als ob ich einen Marathon hinter mir hätte und mein ganzer Körper zitterte.
»Als ich nach Hause kam, habe ich versucht dich anzurufen, aber dein Handy war aus. Also bin ich los. Ich dachte du würdest dich freuen, wenn ich dir Gesellschaft leisten würde.«
Nach Luft ringend, starrte ich ihn nur weiter an.
»Das war wohl ein Irrtum, was?«
Allmählich normalisierte sich meine Atmung wieder und ich setzte mich neben ihn.
»Peter...ich weiß nicht...«
»Was du sagen sollst?«, unterbrach Peter mein Gestammel und mir wurde heiß und kalt zugleich.
»Als ich bei der Bar ankam, wollte ich gerade reingehen, als ich dich dort mit diesem Typ sitzen sah.«
Ich schaute verlegen zwischen meinen Beinen hindurch auf den Boden. Zum ersten Mal seit langer Zeit nahm ich in seiner Stimme so etwas wie Zorn wahr und ich fühlte mich ein wenig erleichtert.
»Wie lange...?« Ein Kloß in meinem Hals verhinderte, dass ich weiter sprechen konnte und ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen.
»Als er anfing dich anzufassen bin ich gegangen!«
Meine Tränen begannen sich ihren Weg nach draußen zu bahnen. Auch wenn sich meine Gefühle für Peter verändert hatten, so hatte er es dennoch nicht verdient es so zu erfahren.
»Du hast gesagt, du müsstest arbeiten! Für wie blöd hältst du mich eigentlich?« Die Tränen liefen mir nun über die Wangen und ich konnte sie nur immer wieder wegwischen.
Er sprang auf und streckte mir seinen Arm entgegen. »Hast du das von ihm?« In der Hand hielt er die Autogrammkarte, die ich neben der Kaffeemaschine hatte liegen lassen.
»Was? Ja!«
Peter zerknüllte die Karte und warf sie quer durch den Flur.
»Warum hast du dich mit ihm getroffen?«
»Ich hab mich nicht mit ihm getroffen. Wir sind uns nur zufällig über den Weg gelaufen!« Ich sprang ebenfalls auf.
»Du willst mir ernsthaft erklären, dass du mit einem wildfremden Kerl, den du vorher noch nie im Leben gesehen hast, in die Kiste springst?« Seine eisblauen Augen starrten mich herausfordernd an.
»Ja!« Ich hatte keine Ahnung warum, aber offenbar brachte mein Eingeständnis Peter dazu seine Strategie zu ändern.
»Wenn du etwas Zeit brauchst, also ich meine für dich, dann ist es in Ordnung. Versprich mir nur, dass du dich nicht mehr mit diesem Kerl triffst.«
Auf einmal fand ich die Worte, die ich die ganze Zeit gesucht hatte.
»Es hat überhaupt nichts damit zu tun, dass ich einen Freiraum für mich brauche.«
»Womit dann? Hannah, bitte, erkläre es mir! Wir sind verheiratet. In guten wie in schlechten Tagen. Wie wir es uns versprochen haben! Hannah, erinnerst du dich denn...«
Wir standen uns direkt gegenüber und ich konnte erkennen, wie ihm mit jedem einzelnen Wort, das seine schmalen Lippen verließ, mehr und mehr ein Licht aufging.
»Nicht!? Genau das ist der Punkt, Peter!«
Als Dr. Rousseau und Peter mir versuchten zu erklären, dass die Hochzeit tatsächlich stattgefunden hatte, konnte ich ihnen damals einfach nicht glauben. Ich weigerte mich es zu akzeptieren. Erst als Peter mir die Heiratsurkunde zeigte und Fotos, wie wir uns vor dem Altar küssen, war ich bereit die Wahrheit anzunehmen. Meine eigenen Erinnerungen an diesen Tag kamen allerdings bis heute nicht zurück.
»Ich kann mich einfach nicht daran erinnern, dass ich dir mein Eheversprechen gegeben habe. Und ich würde es auch jetzt nicht wiederholen! Ich ertrage dich nicht mehr!«
Es sprudelte einfach aus mir heraus. Ich schämte mich dafür, aber ich genoss es sogar ein wenig, wie Peter mich fassungslos anschaute und benommen zurückwankte.
»Sag so etwas nicht, bitte! Wir kriegen das wieder hin!«
»Ich kann das nicht mehr. Es tut mir leid, Peter.«
Ich ließ ihn im Flur stehen, nahm meinen Mantel und verließ unser Haus. Es war alles gesagt und irgendwie fühlte ich mich auf einmal so leicht, dass ich, ohne mich ein einziges Mal umzuschauen, die Straße hinunterging. Es war zwar vielleicht die falsche Art und Weise, wie ich Peter aus meinem Leben strich, aber ich wusste, dass es das einzig Richtige war.
Max stand in der 23. Etage des Wolkenkratzers vor einem der großen, bodentiefen Fenster und blickte hinunter, direkt auf den weitläufigen Park, der sich vor dem riesigen Gebäudekomplex erstreckte. Wie gerne hätte er das Fenster geöffnet und einen tiefen Atemzug der herrlichen Spätsommerluft genommen, aber dieser Psycho-Doc musste seine Praxis ja unbedingt in einer der oberen Etagen führen. Max wollte nicht dort sein, er hatte kein Problem. Zumindest keines, wobei ihm der Doc behilflich sein konnte. Aber ihm blieb nichts anderes übrig. Ein Richter hatte ihn dazu verdonnert, nachdem die junge Frau, die er in der Nacht vor der Bar zu Boden gerissen hatte und die ihr so verdammt ähnlich sah, Anzeige erstattet hatte. Doch einmal in der Woche eine Stunde in diesem karg eingerichteten Raum abzusitzen, war eindeutig besser als Gefängnis oder ein Psychiatrieaufenthalt. Wenigstens ließ er Max in Ruhe. Wahrscheinlich hielt er diese richterlich angeordneten Sitzungen für genauso nutzlos, wie Max es tat. Die letzten vier Wochen, seit er diese Praxis aufsuchte, hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt. Meistens saß der Doc hinter seinem Schreibtisch und machte sich Notizen. Max glaubte nicht, dass die Notizen ihm galten. Was gäbe es da schon zu notieren? Dass er Woche um Woche mehr Gewicht verlor und die abgewetzte Lederjacke, die früher sein breites Kreuz betont hatte, mittlerweile ihn zu tragen schien? Vielleicht notierte er sich auch, dass Max an Schlafstörungen litt, denn dazu musste ihm niemand in die Psyche schauen, das konnte jeder seinem Gesicht ablesen. Dunkle Augenringe entstellten sein Gesicht und die Wangen wirkten eingefallen. Wenigstens war er nicht der Einzige, der in letzter Zeit nicht sonderlich viel Schlaf bekam. Mike, wie der Doc sich ihm bei der ersten Sitzung vorgestellt hatte, trug heute dieselben verräterisch, verquollenen Augen zur Schau, die nicht nur von einer schlaflosen Nacht stammen konnten. Auch die etwas verkrümmte Haltung, die er auf seinem Schreibtischstuhl einnahm, verstärkte Max` Vermutung, dass er die letzten Tage wohl nicht in seinem Ehebett verbracht hatte. Diese Sitzung würde heute ganz sicher anders verlaufen. Das hatte Max schon gespürt, als er aus dem Aufzug stieg und Penny, Mikes Sprechstundenhelferin, ihn sofort zu Mike durchgewinkt hatte. Daher überraschte es Max nicht sonderlich, als der Doc die Akte, die er bis eben hinter seinem Schreibtisch sitzend durchging, zuklappte und zu ihm an das Fenster trat.
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