Jenny Kutzner
Vergeben und Vergessen
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Inhaltsverzeichnis
Titel Jenny Kutzner Vergeben und Vergessen Dieses ebook wurde erstellt bei
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Impressum neobooks
Das Schwierigste bei dem Versuch die eigene Geschichte zu erzählen, ist wohl der Anfang.
Es gibt unzählige Möglichkeiten, wie und vor allem wann man beginnen könnte und ich habe lange vor einer leeren Seite an meinem Rechner gesessen, bevor ich endlich den Mut aufbrachte den ersten Satz niederzuschreiben. Ich verlor jedoch schon bald die Scheu vor dem jungfräulichen Weiß und meine Finger begannen immer schneller über die Tastatur zu rasen. Nach einigen Seiten zwang ich mich aufzuhören und las. Beim ersten Mal schien mir meine Geschichte auf den Punkt gebracht, beim zweiten Mal jedoch fand ich es schrecklich. So viele Worte, die nicht einmal ansatzweise beschrieben, was mit mir geschehen war.
Für diese Geschichte, diesen kurzen Abschnitt meines sonst so behüteten Lebens, schien alles was vorher gewesen war ohne Bedeutung zu sein. Damals war mein Leben nahezu perfekt und nichts hatte darauf hingewiesen, dass sich das jemals ändern würde. Im Gegenteil – Peter, mein Kollege und noch viel wichtiger, seit fast drei Jahren mein fester Freund, hatte mir endlich einen Heiratsantrag gemacht und ich war überglücklich.
Ja, das war ich wirklich, denn bereits bei unserer ersten Begegnung in der kleinen Redaktion meiner Heimatstadt war ich mir sicher, dass er in mein Leben gehörte. Er war charismatisch, gutaussehend und besaß diese Ausstrahlung, die man entweder liebte oder hasste. Ich liebte sie – ich liebte ihn!
Peter war schon immer sehr impulsiv und wenn er sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann setzte er seine Ideen kompromisslos durch. Ich glaube, dass ihn gerade diese Eigenschaft zu einem verdammt guten Journalisten machte, denn wenn er an einer Story dran war, dann vergaß er alles um sich herum, manchmal sogar mich. Es hätte alles so perfekt werden können. Wir hätten nach Monaten der Vorbereitung ein wunderschönes Kleid kaufen, eine köstliche Torte auswählen, die passende Lokalität zum Feiern suchen und uns in einem romantischen Schloss, im Beisein von Familie und Freunden, das Jawort geben können. Aber wie ich schon sagte, wenn Peter sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war er nicht so einfach wieder davon abzubringen und nun hatte er sich in den Kopf gesetzt, mich in Las Vegas zu heiraten. So kam es, dass wir uns nur knapp eine Woche nach seinem Heiratsantrag am Flughafen wiederfanden.
Wir hatten uns ein Taxi genommen, das uns am Terminal absetzte. Es war noch früh am Morgen, trotzdem herrschte bereits ein reges Aufkommen. Es war laut und hektisch – nahezu im Sekundentakt donnerten die Flugzeuge über unsere Köpfe hinweg. Das war nicht gerade die geeignete Umgebung für mich, um mein Unwohlsein und dieses Flattern in meinem Bauch in Schach zu halten. Es war nicht etwa die bevorstehende Hochzeit, die mir den Angstschweiß auf die Stirn trieb. Im Gegenteil, ich war mir in meinem Leben noch nie einer Sache so sicher gewesen. Doch selbst mit diesem vorfreudigen Gedanken, schaffte ich es nicht meine Angst vor dem Fliegen zu vertreiben.
Peter steckte dem Taxifahrer ein paar Scheine zu und kam dann mit unseren Koffern zu mir herüber. Wir stellten uns in die Schlange am Schalter und gaben unsere Koffer auf, besser gesagt, versuchten wir es. Denn während Peters Koffer ohne Beanstandung bereits auf dem Laufband in die tiefen Gefilde des Flughafens verschwand, weigerte sich die stark geschminkte Schalterdame meinen Koffer, der laut ihrer Waage drei Kilo zu schwer war, an Board zu verfrachten. Natürlich hätte sich dieses Problem mit einem kleinen Aufpreis aus der Welt schaffen lassen, doch Peter setzte lieber auf die Wirkung seines Charmes und warf ihr sein gewinnendstes Lächeln zu. Es schien zu funktionieren, unter ihrem pinkfarbenen Rouge begann tatsächlich eine natürliche Röte durchzuschimmern und sie ließ meinen Koffer weiterziehen. Von da an war es noch eine Stunde, bis wir an Bord gehen sollten. Eine Stunde, bis wir endlich durch einen dieser schmalen Gänge zu unseren Sitzplätzen gehen konnten und die Peter damit verbrachte, lauthals letzte Anweisungen für die nächste Ausgabe in sein Telefon zu diktieren. Eine Stunde, bis jeder seinen Platz eingenommen hatte und sich die Türen schlossen. Als das Flugzeug sich in Bewegung setzte, schaltete Peter endlich sein Telefon aus und die Stewardessen begannen mit ihrem kleinen Kabarett. Das Flugzeug stoppte ein letztes Mal, die Turbinen begannen zu heulen – und ich spürte, wie ich es ihnen gleich tat. Dicke Tränen begannen mir über die Wangen zu laufen. Ich starrte geradeaus und begann nach Peters Hand zu tasten. Als ich sie fand, hielt ich sie so fest, bis die Knöchel meiner Hand weiß hervortraten. Das Flugzeug fing mit zunehmender Geschwindigkeit an immer stärker zu vibrieren und das tiefe, monotone Brummen der Motoren wurde von einem nervenzerreißenden Kreischen abgelöst. Die einzigen Gedanken, die in diesem Moment in meinem Kopf herumschwirrten, galten sämtlichen katastrophalen Möglichkeiten, die dieses Flugzeug zum Absturz bringen konnten. Oh ja, ich habe Flugangst. Mein Atem und mein Herzschlag beschleunigten sich, als das Flugzeug begann sich von der Startbahn zu lösen und als es sich in die Luft erhob, hatte ich für einen kurzen Moment das Gefühl, dass beides aussetzen würde. Ich versuchte fieberhaft an etwas anderes zu denken, an etwas Schönes, an die Hochzeit mit Peter und als mir bewusst wurde, dass Peters Hand noch immer meinem eisernen Griff stand hielt, spürte ich, dass alles gut werden würde. Ich hatte auf einmal keine Angst mehr. Ich war schließlich viel zu jung um zu sterben. Mit dieser Erkenntnis begann ich mich zu entspannen. Ich schloss meine Augen, eine wohlige Wärme durchflutete meinen Körper und eine Woge aus Licht umhüllte mich. Dann war alles ganz still.
Als ich meine Augen wieder öffnete, war plötzlich irgendwie alles ganz anders. Peter hielt zwar noch immer meine Hand, aber ich spürte weder die Vibrationen, noch hörte ich die Motorengeräusche des Flugzeugs. Doch vielmehr als das irritierte mich das Fehlen der Wärme auf meiner Haut und dieses sanften Lichtes. All das war nicht einfach nur verschwunden, es schien, als wäre es nie da gewesen. Ich versuchte zu sprechen, doch es kam nichts als ein leises Stöhnen aus mir heraus und auch als ich mich bewegen wollte, spürte ich einen eigenartigen ziehenden Widerstand. Es gelang mir mein Gesicht zu berühren und da war eine Art Maske, es musste eine dieser Sauerstoffmasken sein. Vielleicht hatte Peter sie mir aufgezogen, als ich bewusstlos geworden war.
Ich packte sie und zog daran, doch ich bekam sie nicht ab, etwas hinderte mich daran. Als ich mich umschaute, sah ich, wie ein halbes Dutzend Menschen um mich herumstanden und begriff, dass sie mich festhielten. Wie konnte das sein? Ich saß doch in einem Flugzeug, das gerade dabei war abzustürzen! Also wieso lag ich? Und warum ließen sie mich nicht die Maske abnehmen? Auf einmal fingen die Menschen an wild durcheinander zu schreien und ich wurde schrecklich müde.
Als ich wieder zu mir kam, stand ein Mann vor mir. Er war vielleicht Mitte fünfzig und trug eine Brille, über deren Rand er mich mit gesenktem Kopf anblickte. »Ich bin Dr. Miller. Sie sind hier in einem Krankenhaus. Ihr Mann hat sie zu uns gebracht.« Er löste seinen Blick von mir und schaute nach rechts. Ich sollte wohl seinem Blick folgen und das tat ich auch. Neben dem Bett standen kompliziert wirkende Maschinen, die für weiß Gott was gut waren. Eine davon war allerdings ziemlich selbsterklärend, sie besaß eine kleine Anzeige auf der Vorderseite, auf der eine zackige, rhythmisch durchgehende Linie dargestellt wurde. Etliche Kabel endeten darin, deren Anfänge vermutlich auf meinem Körper zu finden waren. »Ihr Mann ist hier. Er wartet vor der Tür.«
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