Auffälligstes Interieur war jedoch ein von einem passend geformten Stahlrohrständer festgehaltenes beinahe mannshohes goldfarbenes Evette-Schaeffer -Kontrabass-Saxophon. Es mochte beinahe hundert Jahre alt sein und befand sich in einer dem Fenster, dem Heizöfchen und der Kochnische abgewandten Ecke des Raumes, dort, wo die Temperatur auch während des Lüftens oder Kochens am stabilsten gehalten werden konnte. Das betagte, aber dem Anschein nach immer noch funktionstüchtige riesige Blasinstrument war, neben den Schallplatten und dem Fernseher, seiner Kleidung und dem üblichen Hausrat, der einzige Gegenstand, der ihm persönlich gehörte, denn Henry hatte einschließlich der Selbstbauregale möbliert gemietet.
Neben Sieglinde, auf einem niedrigen Kachel-Couchtischchen, standen eine halb-volle Flasche Rotkäppchen-Sekt und zwei Glasflöten, nur eine davon benutzt und mit etwas Restinhalt. Das verwendete Glas wies weiche Lippenstiftspuren auf, wie er erkannte. Ihr Lippenstift, ohne Zweifel, auch wenn die Farbe dort verblasste. Schon seit seiner frühen Jugend konnte er, wie man ihm zuweilen bestätigte, gut beobachten, und so betrachtete er auch die auf dem Sofa liegende junge, attraktive Frau zunächst trotz ihrer Reize weniger lüstern, als beinahe schon sezierend.
Siggi war lediglich ein halbes Jahr jünger als er selbst und vor wenigen Wochen erst großjährig geworden. Das eher schmale Gesicht wurde bis auf die Schultern herab umspielt von leicht lockigem, dichtem braunem Haar und betonte die Wirkung ihrer graugrünen, dabei etwas orangerot gesprenkelten Augen. Diese standen minimal schräg neben dem Ansatz einer neckisch spitzen Nase, was ihr insgesamt etwas recht katzenhaftes gab. Ihr Mund wirkte sinnlich, vielleicht ein wenig zu klein, befand sich jedoch in Übereinstimmung mit dem sonstigen Aussehen. Sie hatte sich insgesamt nur sehr wenig geschminkt, die Lippen wirkten allerdings voll und rot.
„Du bist betrunken“, stellte sie kurz kichernd fest, nachdem sie sich aus der Decke geschält hatte und behände aufgestanden war, damit sie einander umarmen und küssen konnten. Sie trug zu West-Jeans einen einfachen langärmligen Pulli, der sofort eine gewisse statische Elektrizität zwischen ihnen erzeugte.
Er fasste sie sanft beidseitig am Kopf und strich ihre Haare dort hinter die kleinen, anliegenden Ohren zurück, weil er wusste, dass ihr diese Berührung besonders gut gefiel. Erfreut bemerkte er dabei auch, dass sie die halbpfenniggroßen runden goldenen Ohrstecker trug, welche er ihr neulich zum achtzehnten Geburtstag geschenkt hatte: Es waren teure kleine Dinger von acht Karat, die ihn nicht nur ein Heidengeld aus seinem ohnehin schmalen Budget, sondern – mit Zustimmung seiner einfühlsamen Mutter - auch Altgold in Form eines kleinen gleichreinen Kettchens aus dem Familienbesitz gekostet hatten. Leider gehörte er nicht zu der privilegierten Schicht, die im Intershop für Westdevisen leichter an so etwas herankamen. Aber für Siggi war ihm nichts zu teuer, und er wischte den Gedanken an die Ausgabe schnell beiseite. Beinahe schämte er sich innerlich dafür, dass er überhaupt darüber nachdachte. Henry rang sich ein leichtes, schiefes Grinsen ab.
„ Du wohl nicht?“, bemerkte er leise, ohne die Flasche auf dem Tisch weiter zu betrachten, aber ihren deutlichen Sekt-Atem spürend, bevor ihre Zungen sich berührten. Sie umarmte ihn um die Hüften, stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte den Kopf etwas nach oben, denn mit ihren knappen 165 cm Größe ohne Schuhe hätte er sich sonst sehr weit zu ihr herabbeugen müssen. In einem leidenschaftlichen Spiel küssten beide eine kurze Zeit miteinander, bevor sie sich langsam mit einer geschickten Bewegung von ihm löste und betont körperberührend an ihm vorbeidrängte, um zur Kochnische hinüber zu gelangen.
„Und, was hat es gegeben?“, fragte sie dort angekommen mit unschuldiger Stimme. „Haben deine Sänger wieder vom Leder gezogen?“ - Sieglinde sprach weiterhin beinahe reines hochdeutsch. Er wusste allerdings, dass sie ursprünglich aus der Gegend um Gotha in Thüringen stammte. Dort lebten ihre Eltern vormals, zu denen sie, anders als er selbst inzwischen zu den seinen, einen recht intensiven Kontakt pflegte. Siggis Vater war nicht sehr begeistert gewesen, als sie ihnen im Anschluss an ihre Großjährigkeitsfeier verkündete, das Weihnachtsfest in diesem Jahr allein mit ihrem Freund verbringen zu wollen – verwehren konnten und mochten sie es ihr aber nicht. Ihre Eltern feierten ohnehin nicht groß Weihnachten. Das war für sie offenbar lediglich ein dekadentes, konsumorientiertes westliches Fest mit vorgeschobenem religiösem Hintergrund.
Sie öffnete den kleinen Kühlschrank und fand darin eine kaum angebrochene Schlager-Süßtafel , welche sie herausnahm. Viel mehr beinhaltete er auch nicht – etwas Margarine, ein bisschen Milch in einer Glasflasche, ein durchsichtiger Beutel mit noch ein paar wenigen Scheiben Aufschnitt und ein Töpfchen selbstgemachter Zwetschgenmarmelade von der Hauswirtin. Das Fachgestell für die Eier war leer.
„Auch ein Stück?“, fragte sie, bevor er antworten konnte, und hielt die Tafel dabei etwas in die Höhe. Er verneinte es, also brach sie lediglich eines für sich selbst aus der geöffneten Packung heraus, um den Rest dann wieder in dem kleinen Fach innen in der Tür zu verstauen. Kauend und schmatzend stellte sie bereits die nächste Frage, bevor er noch auf ihre erste der Sänger wegen eine sie zufriedenstellende Antwort zu finden vermochte. „Ist alles klar mit unserer kleinen Reise? Ich freue mich schon so sehr darauf!“
Siggi konnte, wenn sie es wollte, ohne Unterbrechung in einem fort quasseln, wenn man sie ließ. Bei allen Fragen, die noch folgten, setzte sie zudem automatisch ein „Ja“ seinerseits voraus, wenn er nicht schnell genug das Gegenteil zum Ausdruck brachte. Den Fernseher hatte sie unterdessen nebenbei längst ganz abgestellt und damit begonnen, sich in seinem Beisein auszukleiden, während er bis auf die Unterhose dasselbe tat und sich im Waschbecken der Kochecke noch die Zähne putzte. Unter ihrer Oberbekleidung kam sogleich sehr aufreizende Unterwäsche zum Vorschein, wie sie nur aus einem Westladen stammen konnte und auch dort nicht eben günstig zu erwerben war. Wahrscheinlich hatte sie sich das nicht von Kosakendollars , sondern tatsächlich von etwas richtiger Mark gekauft, welche sie von ihrem Onkel aus dem Westen zum gleichen Anlass erhalten hatte, wie von ihm die Ohrringe. Endlich achtzehn – das war schon etwas ganz Besonderes…
Die bordeauxrote Dessous-Garnitur mit schwarzen Rüschen kontrastierte augenfällig zu ihrem immer noch etwas von der letzten Sommerfrische sonnengebräunten, gutgebauten Körper: Sie besaß eine schlanke, dennoch weibliche Figur, dünne aber nicht dürre Arme und Beine mit jedoch recht strammen Oberschenkeln, einen kaum wahrnehmbaren Bauchansatz sowie fest sitzende, etwas mehr als apfelsinengroße runde Brüste, die von der Reizwäsche betont wurden. Ein dünnes, langes Gold-kettchen mit einem kleinen herzförmigen Anhänger baumelte von ihrem Hals herab bis beinahe in deren Zwischenspalt. Aus dem winzigen Stoffdreieck vor ihrer Scham drängelten sich links und rechts ein paar kurze Härchen hervor – anders als unter den Achseln hatte sie sich dort nicht gänzlich rasiert.
Er konnte die Augen kaum von ihr lassen, während er das alte Sofa mit wenigen oft getanen Handgriffen auseinanderklappte und zum Doppelbett für den Rest der Nacht umfunktionierte. Die zugehörigen Decken und Kopfkissen befanden sich im Kasten darunter. Das eigene Verlangen war ihm sehr deutlich zu spüren. „Gibt es etwas besonderes zu feiern?“, fragte er etwas heiser, nachdem sie endlich zu reden aufgehört hatte. Ihr Aufzug kam sicher nicht von ungefähr.
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