1 ...6 7 8 10 11 12 ...39 Der Observer beobachtete das alles und berichtet, was eigentlich gar kein Geheimnis ist. Während sich ganz Deutschland und die halbe Welt über den Fall der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze freute, begann hinter den Kulissen schon das Zerreden dessen, was daraus folgen müsste. Nämlich der Bau von Verkehrswegen für die neu ausgerichteten Verkehrslawinen. Darunter auch der Autobahn A44, der als "Projekt Deutsche Einheit" bald eine große Bedeutung zuerkannt werden sollte.
Daran beteiligten sich zuerst und vordergründig Politiker aus parteistrategischer Sicht. Nicht aus Sorge um das Wohlergehen seiner Bürger. Da steckt noch viel mehr dahinter, als nur die grundsätzliche Straßenbauablehnung. Manchen Politikern ging es gleich um die gesamtpolitische Neuausrichtung Links oder Rechts, also mehr Anpassung an die Ex-DDR oder die BRD. Mehr Konzentration auf den Wirtschaftsaufschwung im Osten oder bleibt es dort etwa bei dem, was schon lange praktiziert wurde? Anfang der 90er war noch vieles offen. Anfang der 90er war noch viel mehr offen, als Otto Normalverbraucher ahnt.
In einem Staat mit repräsentativer Demokratie ist es die Bestimmung der Bundesregierung, die übergeordneten Grundsatzentscheidungen zu fällen. Offenbar geschieht das aber nicht immer sachgerecht. Fehlentscheidungen bestätigen und beschädigen die Regel. Jedoch was richtige und was falsche Entscheidungen sind, ist eine Frage des Standpunktes. In jedem Falle muss aber gelten, dass auch ein freiheitlicher Rechtsstaat in der Lage sein muss, ein demokratisch beschlossenes Vorhaben durchzusetzen.
Über die politischen Querelen hinaus beteiligten sich an den Attacken auf das Großprojekt vielerlei Fachleute aus den unterschiedlichsten Disziplinen. Berufene und unberufene. Leider auch manche selbsternannte „Experten“. Einige beriefen sich zu ihrer eigenen Entlastung auf "die Wissenschaft". Darunter auf ausgewiesene Koryphäen, aber auch auf „Spezialisten“, die sich selbst dazu ernannt haben und sich ständig gegenseitig als Experten zitieren. Unter letzteren hatten die Agitatoren, die einseitig gegen die A44 ausgerichteten waren, in der Öffentlichkeit leider meist die Oberhoheit. Denn sie sind „mitteilsamer“. Leider ist die öffentliche Meinung zuweilen ebenso ungerecht wie die Obrigkeit. In dem zur Weltliteratur zählenden Kollossalwerk Simplicissimus schrieb H.J. von Grimmelshausen schon im Jahre 1669, dass auch damals nicht das Interesse der Allgemeinheit im Vordergrund stand, sondern „ein jeder tat was er wollte und nicht, was er tun sollte“ (damals ging es um den Wiederaufbau nach dem zuvor beendeten 30-jährigen Krieg).
Heute erscheinen einige Gegner der A44 unwillkürlich als weltfremde Theoretiker. Andere (wenn man ihnen noch etwas Positives zugestehen will) als praxisferne Idealisten, die bei der Abwägung zwischen ihrem persönlichen Wunschdenken und dem für die Allgemeinheit Notwendigen allzu einseitig denken. In der Mehrzahl sind es aber offensichtlich eher Sektierer. Den Harmloseren davon ist es vielleicht nicht bewusst, aber bei vielen ist es sicherlich schon Absicht und Ziel, bei jenen Bürgern für Verwirrung zu sorgen, die sich in der Flut der Aspekte Für und Wider nicht mehr zurechtfinden. Diese unsicheren Kantonisten werden mit oft grundfalschen Argumenten immer wieder so durcheinander gebracht, dass sie es einfach aufgegeben haben, dem auch noch eine eigene Meinung hinzuzufügen. Bequemer ist es, eine andere zu verinnerlichen, eine die von begabten Propagandisten gut vorgekaut angeboten wurde.
The same procedure as every year
Um diese rechtzeitig erkennbare Entwicklung zu vermeiden, hätte das Feld besser nicht nur den Wechselwinden der Politik und den folgsamen örtlichen Anhängern überlassen werden dürfen. Man hätte anfangs auch kompetente Verkehrsplaner mit einer entsprechenden Authorisierung zur technischen Begründung der Autobahn ausstatten sollen, damit die öffentliche Meinung einen gut fundierten Gegenpol zu den lautstarken Kritikern gefunden hätte. Lassen wir das den Observer in aller Bescheidenheit sagen.
Heute sind die Probleme nun auch für diejenigen Politiker sichtbar, die seinerzeit die Augen davor verschlossen haben. Wie gehen sie mit dem unendlich langen Dilemma um? Viele dieser Zunft aus dem rot-grünen Lager versuchen jetzt in unredlicher Manier, die Verzögerungen auf ominöse Fehler zu schieben und diese denen anzulasten, die sich am meisten um sachgerechte Lösungen bemüht haben, die aber das absehbare Desaster beim besten Willen nicht verhindern konnten. Auch jenen, auf die man in internen Konferenzen vor 20 Jahren partout nicht hören wollte.
Jetzt wo die Mittel für den Straßenbau knapp geworden sind, lässt es sich nicht mehr verheimlichen, dass Fehler gemacht worden sind. Es muss nur deutlich gemacht werden, wann und von wem. Wo also der Hase im Pfeffer liegt. Am deutlichsten wurde das im Herbst 2011, wo die Bürger erfuhren, dass für ihre Ortsumfahrungen kein Geld mehr verfügbar ist. Obwohl die Entwürfe dafür oft schon seit Jahrzehnten fertig waren (näheres im Anhang).
Wie bereits erwähnt, war und ist für richtungweisende Weichenstellungen nur das oberste Management autorisiert und das ist sehr parteiisch, da an die gerade herrschenden Regierungsparteien gebunden. Damals Rot-Grün. So ist das nicht, Herr Klarmann, schimpft da ein sich getroffen fühlender Politiker! Nicht? Dann ziehe ich die Aussage zurück, entgegnet der Bürgervertreter. Wir wollen nicht vom Kern ablenken.
In einer parlamentarischen Demokratie ist die Parteilichkeit prinzipiell ja in Ordnung. Man muss das aber öffentlich aufrichtig zugeben. Und man darf nicht klammheimlich den Eindruck erwecken, als hätten die nachgeordneten Planer 1 plus 1 nicht richtig zusammengezählt und dass angeblich wegen derartigen „Planungsfehlern“ das Baurecht verzögert worden ist.
Eigentlich sollte das alles im Grundsatz vielen Bürgern entlang der überlasteten Straßen schon klar sein. Aber tatsächlich wussten das die allermeisten Schimpfenden an den Stammtischen nicht. Und auch manchen, die es eigentlich hätten wissen können, ist der Überblick über die tatsächlichen Steuerungskompetenzen und Verantwortlichkeiten verloren gegangen.
Zwar haben die regionalen Zeitungen die wichtigsten Fakten zeitnah und weitgehend neutral berichtet, doch ist ein Zeitungsbericht meist schnell vergessen und sein Inhalt wird bald nach dem Lesen zum Altpapier abgelegt. Ferner haben nur wenige lärmgeplagte Anwohner an den überlasteten Bundesstraßen und noch weniger Autofahrer, die in den Staus genervt werden, eine Zeitung abonniert, die darüber informiert. Schon gar nicht die ortsfremden Fernfahrer, die von den Anwohnern so gern von der Straße verbannt würden und die ihrerseits nicht verstehen, dass es 30 Jahre dauert, bis ihnen geeignetere Verkehrswege angeboten werden. Solche die dem offenkundigen Verkehrsnotstand wirksam abhelfen.
Aber auch bei regelmäßigen Zeitungslesern ist man erstaunt über den oft nur rudimentären Informationsstand. Offenbar lesen nur Wenige die vertiefenden Berichte aufmerksam, vollständig oder überhaupt. Und letztendlich haben viele Leser die häufig widersprüchlichen Nachrichten kaum halbwegs nachvollziehbar werten und einordnen können. Wenn an einem Tage der BUND die A44 in Grund und Boden verdammt, weil nicht alle Frösche standesgemäß wie küssbare Prinzen behandelt worden sind und am nächsten Tage die Information zu lesen ist, dass nach umfangreichen Forschungen schon längst unzählige Unterführungsbauwerke speziell für eben diese Frösche eingeplant worden waren, dann wird es für Lieschen und Hänschen Müller recht schwierig, den Überblick zu behalten. In späteren Kapiteln werden diese etwas saloppen Vorabaussagen untermauert.
Fehlinformationen haben sich schon etabliert
Jedenfalls haben sich im Laufe der Zeit an den Stammtischen der Region viele Gerüchte mehr oder weniger fest etabliert. Das zu vermeiden, wäre eigentlich eine wichtige Aufgabe im Rahmen der zu Planungsbeginn gerne und oft propagierten offenen Planungskultur gewesen. Doch - wie der Observer schon sagte - Verkehrsplaner in staatlichen Diensten sind zur Information über richtungweisende Entscheidungen nicht autorisiert. Weder dürfen sie sich in den frühesten Planungsphasen öffentlich äußern, als die Weichen für die Linienführung gestellt worden sind, noch danach, als es zum korrigieren der falschen Weichenstellungen noch Zeit gewesen wäre. Dass sie falsch waren, ist heute eine der nettesten Umschreibungen dessen, was sich längst als Riesenproblem erwiesen hat.
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