So saß er an seinem Tisch und freute sich darauf, dass sich seine Freundin in einigen Minuten zu ihm setzen würde. Das hatten sie gerade per Handy miteinander vereinbart. Die Aussicht, dass sie bei ihm sein würde und die damit verbundene Möglichkeit sich abzulenken beruhigte ihn.
Sie kam mit dem Zug aus Berlin, wo sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen war. Es ging um eine Stelle bei einer bundesweit tätigen Kulturgesellschaft zur Förderung des Theaterwesens, die auch eine Filiale an ihrer beider Wohnort hatte.
Als er sie ankommen sah, freute er sich, auch wenn sie nicht besonders glücklich wirkte, und sie winkten sich bereits aus einiger Entfernung zu. Sie umarmten sich, und an einem leichten Zittern spürte er, dass sie gestresst war. Er war neugierig zu erfahren, was sich bei dem Gespräch in Berlin für sie ergeben hatte. Nachdem sie ein Glas Wein bestellt hatte, erzählte sie ihm von den ihr eröffneten beruflichen Aussichten, dass das Gespräch grundsätzlich zwar erfolgreich verlaufen sei, sich im Ergebnis für sie allerdings eine schwierige Entscheidung ergeben habe, denn eine offene Stelle sei ihr nur für Berlin vorgeschlagen worden.
„Du willst die Stelle annehmen?“, fragte Markus Nell sie mit einem nicht überhörbaren Zweifel in seiner Stimme, denn die Aussicht auf eine erneute Wochenendbeziehung erschien ihm wenig erbaulich. Sie hatten sich bereits bis vor einem Jahr eine Zeit lang nur an den Wochenenden sehen können, eine Zeit, die sie beide – so dachte er – gerne hinter sich gebracht hatten.
„Das ist eine einmalige Chance für mich, Micky.“
Er mochte es nicht, wenn sie ihn „Micky“ nannte, denn er empfand es, von wem auch immer ausgesprochen, als eine Verunstaltung seines Namens, wie die meisten Kurzformen, zumal er Micky dem Namen „Michael“ zuordnete.
Er glaubte, dass er einen schönen Namen trug, einen alten, biblischen Namen, auch wenn er weder gläubig noch irgendwie sonst religiös war. Außerdem sprach sie ihn meistens nur dann derart an, wenn sie ihn mit dem Ziel einer Bitte zu entsprechen, umschmeicheln wollte. Und diese Bitte war ihm nur allzu schnell offensichtlich.
Diese Art der Abwechslung von seinem eben erlebten Lokaltermin war nicht gerade das, was er sich erhofft hatte. Er lehnte sich zurück und atmete tief durch.
„Du willst unser Zusammenleben wieder in eine Wochenendbeziehung umwandeln, oder besser, die Zeit wieder zurückdrehen?“
„Wir wohnen auch hier nicht in einer Wohnung, weil du es bisher nicht wolltest, was ich ohnehin nicht verstehen konnte, und du hast kaum Zeit. Wie oft sehen wir uns denn in der Woche? So groß wäre der Unterschied nun auch wieder nicht, wenn ich während der Woche nicht da wäre“, holte sie aus.
„Das ist ja wohl ein riesiger Unterschied, ob man in zwei Wohnungen innerhalb einer Stadt wohnt, oder in einer Entfernung von siebenhundert Kilometern.“
Sie schaute kurz etwas unsicher vor sich auf den Tisch, nahm einen kräftigen Schluck Wein, als müsse sie sich beruhigen, ein Verhalten, das ihm nicht entging, blickte ihn an und entgegnete, dass er das verstehen müsse, dass in ihrer Stadt beruflich für sie als Theaterwissenschaftlerin nichts zu holen sei, dass sie sich oft genug beworben habe und nicht für alle Zeit Nebenjobs ausüben wollte und dass Berlin eine schöne Stadt sei. „Vielleicht wäre auch für dich...“
„Ich verlasse diese Stadt mit Sicherheit nicht“, unterbrach er sie. „Und schon gar nicht nach Berlin. Jeder Dahergelaufene läuft nach Berlin!“, redete er sich immer mehr in Rage, worauf sie entgegnete, dass sie keine Dahergelaufene sei, und warum er sich so aufrege, sie habe gehofft, dass er sich über ihren Erfolg freuen würde, eine Hoffnung, die er nicht nachzuvollziehen in der Lage war. Sie versuchte ihn mit dem Hinweis zu besänftigen, dass sie noch einige Tage Bedenkzeit bekommen habe, um sich zu entscheiden.
Kaum hatte sich Markus Nell wieder beruhigt, holte ihn die Erinnerung an das Interview und die damit verbundenen Umstände wieder ein, meldeten sich diese Erlebnisse in seinem Gedächtnis zurück. Er wusste selbst nicht genau, warum dieses Erlebnis die Stärke besaß, von ihm derart Besitz zu ergreifen.
So erzählte er ihr nach einer längeren Pause davon. Ihre erste Reaktion bestand zu seinem Erstaunen, ja, mehr zu seinem Verdruss in der gleichen Frage, die ihm im Labor die junge Wissenschaftlerin gestellt hatte.
„Hast du die – wie heißt's? Leuchtschrift? Hast du sie nicht gesehen?“
„Ich suchte meinen Interviewpartner, und ich war schon in Eile nach der Sucherei des Eingangs zum Institut. Da passte eine Leuchttafel wohl nicht ins Bild, und wenn sie noch so viel und in welchen Farben auch immer geleuchtet hätte.“
Er merkte nicht, wie aufgebracht er sprach, auch entging ihm die erhöhte Lautstärke seiner Stimme, dass sie sich erschrocken in den Stuhl zurückfallen ließ.
Auch ihren an dieser Stelle logisch richtigen Hinweis, dass damit doch alles in Ordnung zu sein schien, er eben das Schild aus von ihm selbst genannten Gründen nicht gesehen habe, schien er nicht zu hören. Stattdessen kam ihm wieder das vorher andiskutierte Streitthema in den Sinn, und er versuchte ihre Gefühle für ihn anzusprechen, indem er zum Ausdruck brachte, was sie ihm bedeutete. Sie wies ihn darauf hin, dass er vielleicht einfach zu viel Stress habe und etwas dagegen tun sollte.
„Ich würde dich schon jetzt vermissen, wenn du die Stelle dort annehmen würdest, so weit weg. Das würde in der Tat Stress für mich bedeuten.“
„Ich dich auch, und es steht ja noch nichts fest“, gab sie zurück.
Sie versucht wieder die Balance zwischen ihnen herzustellen, dachte er, immer muss sie Konflikten aus dem Wege gehen. Ihre Befürchtungen gegen meine Hoffnungen, und sie merkt nicht, dass diese unterschiedlichen Gefühle nicht aufzurechnen sind, weil sie nicht denselben Wert haben. Er antwortete darauf nicht, auch wenn er in ihrer Aussage eine Frage verspürte.
Nachdem sie ihn darauf hingewiesen hatte, dass sie zu ihrem Yoga-Abend gehen wolle, verabschiedeten sie sich, und Markus Nell verstand nicht, warum sie diesen nicht ausnahmsweise ausfallen lassen konnte. Yoga-Abend gegen Beziehung. Ihre Interessen gegen meine, gegen unsere. Seine Kopfschmerzen nahmen zu und kurze Zeit nach ihr verließ auch er das Café.
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