Am nächsten Morgen begibt sich Maximilian ins Bad. Das kühle Wasser der Dusche lässt ihn schnell munter werden. Nach kurzer Zeit kommen ihm die Gedanken von gestern Abend wieder in den Sinn. Er schüttelt mehrmals den Kopf und sagt leise vor sich hin: »Ich kann es nicht gewesen sein. Patricia war meine große Liebe. Der wirkliche Täter lebt unbehelligt irgendwo in dieser Stadt. Vielleicht war er sogar beim Gerichtsprozess anwesend und hörte sich das Urteil genüsslich an.«
Bei diesen Worten steigt Wut in ihm auf. Niemals zuvor war Maximilian so fest entschlossen, Patricias Tod zu rächen. Er zieht sich den Bademantel an und tritt ans Fenster. Voll düsterer Gedanken schweift sein Blick über die langsam erwachende Großstadt. Wie am gestrigen Abend fesselt ihn der reizvolle Ausblick nicht. Für ihn gilt nur eine Maxime: Der Mörder muss gefunden werden und seine gerechte Strafe erhalten. Für das Verbrechen soll er büßen.
Beim tieferen Nachdenken wird ihm die Schwere der Aufgabe bewusst. Weder von Seiten der Polizei noch von seinen einstigen Freunden kann er Unterstützung erwarten. Allein auf sich gestellt muss es ihm gelingen, den Täter ausfindig zu machen. Ohne sich dessen bewusst zu sein, kommen ihm die Bilder aus dem Gerichtssaal in den Sinn. Die Erinnerungen daran sind mit einem Male so stark, dass er alles Gegenwärtige vergisst und sich gedanklich in den Ablauf des Geschehens vor fünf Jahren hineinversetzt.
»Ich bin unschuldig. Niemals wäre mir in den Sinn gekommen, meine Ehefrau zu töten. Sie müssen mir glauben«, äußert Maximilian Cuver vor dem Landgericht Berlin nach Verlesen der Anklageschrift des Staatsanwaltes.
Der Pflichtverteidiger legt ihm beruhigend die Hand auf den Arm und sagt leise: »Warten wir doch die Beweisaufnahme ab. Danach können wir uns immer noch äußern. Ich stehe auf Ihrer Seite und werde mich voll und ganz für Sie einsetzen.«
Als erster Zeuge wird Hauptkommissar Ingo Berger von der dritten Mordkommission Berlin aufgerufen. Der Vorsitzende Richter beginnt mit der Vernehmung und fordert ihn auf, den Verlauf des Geschehens in der Wohnung von dem Ehepaar Cuver zu schildern.
In kurzen Sätzen berichtet der Hauptkommissar über seinen Einsatz in der Mordnacht: »Beim Eintreffen in der Wohnung begab ich mich nach einer kurzen Verständigung mit der Pathologin ins Wohnzimmer. Die Luft war alkoholgeschwängert. Der Angeklagte machte auf mich einen ziemlich benommenen Eindruck. Trotzdem schilderte er mir präzise, was vor ungefähr einer Stunde geschah. Herr Cuver gab an, seine Frau in der Küche tot aufgefunden zu haben. Andere Personen befanden sich nicht in der Wohnung und die Korridortür war beim Eintreffen meiner Kollegen verschlossen.« Der Richter hält eine Plastiktüte hoch und fragt: »Was konnten Sie bezüglich des Tatwerkzeuges feststellen?«
»Es handelt sich um ein großes und äußerst scharfes Fleischermesser. Es gehört zu einem Set aus einem Messerblock, welcher sich bei der Tatortbesichtigung offen auf dem Zubereitungstisch der Küche befand. Am Griff stellten wir ausschließlich die Fingerabdrücke des Angeklagten fest. Es ist der eindeutige Beweis, dass Herr Cuver die Tat begangen hat.«
»Wodurch und von wem haben Sie von dem Verbrechen Kenntnis erhalten?«
»Den Beamten in der Notrufzentrale erreichte ein anonymer Anruf aus einer öffentlichen Telefonzelle. Daraufhin verständigte er die Besatzung des Streifenwagens. Als die diensthabenden Kollegen in der besagten Wohnung gegen vier Uhr noch Licht bemerkten, stiegen sie aus, um die Information des Anrufers zu überprüfen. Als auf wiederholtes Läuten nicht geöffnet wurde, verschafften sich die Beamten gewaltsam Eintritt zur Wohnung. Beim Betreten der Küche überraschten sie den Angeklagten, der mit dem Messer in der Hand neben seiner ermordeten Ehegattin kniete.«
»Gab es noch weitere Hinweise, die darauf schließen lassen, den Angeklagten mit der Tat in Verbindung zu bringen.«
»An seinem Gesicht und an dem Hemd wurden Blutspuren der Ermordeten festgestellt.«
Aufgeregt ruft Maximilian dazwischen: »Natürlich befand sich Blut von Patricia an mir. Vor Verzweiflung habe ich meinen Kopf auf ihre Brust gelegt, um zu spüren, ob ihr Herz noch schlägt.«
Der Richter geht über den Einwurf von Maximilian hinweg und sagt zu dem Hauptkommissar: »Abschließend habe ich noch eine Frage. Wurde von Ihnen außerdem etwas Auffälliges in der Wohnung festgestellt, was Sie bewog, den Angeklagten mit der Tat in Verbindung zu bringen? In dem Bericht ist zu lesen, dass andere Täter aus Ihrer Sicht nicht in Betracht kommen.«
»Selbstverständlich verdächtigen wir nicht grundlos eine Person. Wie sich bei der Untersuchung des Tatortes herausstellte, wurde die Korridortür von innen zweimal verriegelt. Da sich zu dem Zeitpunkt der Tat keine weitere Person in der Wohnung befand, kann nur der Angeklagte das Verbrechen begangen haben. Trotz der eindeutigen Beweise bestritt er jedoch bei den Vernehmungen hartnäckig, der Mörder seiner Ehefrau zu sein. Eine hinreichende Erklärung für die Behauptung ist er uns bis heute schuldig geblieben. Außer den ständigen Beteuerungen konnte Herr Cuver nichts zu seiner Entlastung vorbringen.«
»Sie sprachen anfangs davon, dass Alkohol mit im Spiel gewesen sei und der Angeklagte einen recht benommenen Eindruck machte.«
»Das ist richtig. Es handelt sich dabei um den Zeitpunkt, als ich die Wohnung betrat. Bei dem folgenden ersten Gespräch hatte bei ihm jedoch eine gewisse Ernüchterung eingesetzt. Es ist anzunehmen, dass er über das Geschehen selbst sehr erschrocken war und ihm erst nach und nach die Tragweite seines Handelns bewusst wurde. Unsere Kollegen im Labor stellten am nächsten Tag fest, dass zum Tatzeitpunkt der Tat die Blutalkoholkonzentration sehr hoch gewesen ist. Es könnte sein, dass bei Herrn Cuver dadurch einige Gedächtnislücken aufgetreten sind. Zumindest wäre das eine Erklärung für sein Leugnen, die Tat begangen zu haben.«
Ohne den geringsten Anflug von Emotionen äußert der Vorsitzende Richter zu dem Hauptkommissar: »Danke für die Ausführungen. Sie können im Zuschauerraum Platz nehmen.«
Der nächste Aufruf gilt Lisa Morani. Ohne Maximilian eines Blickes zu würdigen setzt sie sich in den Zeugenstand. Nach der Feststellung der Angaben zu ihrer Person bittet der Vorsitzende Richter um eine Schilderung des Abends und fragt zielgerichtet: »Bemerkten Sie im Verlauf der Geburtstagsparty eine gewisse Disharmonie zwischen Herrn und Frau Cuver?«
»Keineswegs. Eigentlich verlief die Feier wie in unserem Freundeskreis üblich in ausgelassener Stimmung. Leider trübte zum Schluss der reichliche Alkoholgenuss von Maximilian die gute Laune. Nachdem er auf der Couch einschlief, verabschiedeten wir uns von Patricia. Sie war natürlich enttäuscht, dass wir nicht ihr groß angekündigtes Frühstück einnehmen wollten. Ich verwies auf den Zustand ihres Mannes. Nachdem sie sich von dem Wahrheitsgehalt meiner Worte überzeugt hatte, zeigte Patricia für unser Verhalten volles Verständnis.«
Der Richter unterbricht ihre Ausführungen und fragt: »Äußerte sich Frau Cuver dahingehend, sich wegen des Fehlverhaltens ihren Ehegatten einmal richtig vorknöpfen zu wollen?«
»Dazu gab es von ihr eine kurze Bemerkung. An den genauen Wortlaut erinnere ich mich nicht mehr. Patricia tat mir in dem Moment leid. Es war doch ihr dreißigster Geburtstag. Da wollte sie es richtig krachen lassen. So hatte sie es mir jedenfalls bereits im vorab angekündigt. Ein betrunkener Ehemann entsprach zu diesem Zeitpunkt sicher nicht unbedingt ihrer Vorstellung.«
»Wann haben Sie denn von dem Geschehen in der Wohnung ihrer Freundin Kenntnis erhalten?«
»Selbstverständlich waren wir alle über das Verhalten von Maximilian sehr enttäuscht und verließen gemeinsam das Haus. Noch in der Nacht klingelten die Beamten der Kriminalpolizei bei mir. So erfuhr ich von der schrecklichen Tat und kann es noch immer nicht begreifen. Warum musste er Patricia so etwas Schreckliches antun?«
Читать дальше