Frauen und Kinder finden liebevolle Aufnahme in dem Gehöft. Ich fahre mit Fräulein Bärbel nach Swinemünde. Eine Kupplung ist nicht zu beschaffen. Vielleicht in Usedom! Auch dort ist nichts zu machen! Also wieder zurück nach Garz! Dort ist inzwischen Lenz eingetroffen und hat bereits die alte Kupplung ausgebaut. Wir fahren nun gemeinsam zum Flugplatz Garz. Und siehe da! Wir bekommen von der Luftwaffe eine neue Kupplung! Unentgeltlich!
Am Nachmittag kommt ein Paatziger Wagen vorbei. Wir erfahren, dass in letzter Minute Herr von Flemming und sein Bruder aus Paatzig herausgekommen sind. Die beiden Brüder von Flemming werden morgen Vormittag hier in Garz erwartet. Da wir noch auf den zweiten Treckerzug des Zoldekower Motortrecks warten wollen, übernachten wir noch einmal bei den freundlichen Leuten in Garz. Wir wollen dann am nächsten Vormittag den Holzbulldog und Herrn von Flemming erwarten und dann weiterziehen über Usedom nach Demmin, wo in Erdmannshöhe bei Bekannten und Landsleuten eine Zwischenstation und Sammelpunkt für alle Treckwagen verabredet ist. Am nächsten Vormittag treffe ich mich mit Herrn von Flemming. Er hat wenig gerettet und muss nun mit seinem kranken Bruder flüchten wie Hunderttausende andere. Er billigt meinen Plan, mit den Zoldekower Leuten und Gespannen über Demmin westwärts über die Elbe bis in die Lüneburger Heide zu ziehen. Wir nehmen Abschied. Ich gebe den Abmarschbefehl, und es geht flott westwärts nach Usedom. In Usedom kurze Rast. Dann passieren wir gegen Abend die große Peenebrücke und halten bei Einbruch der Nacht auf der Straße in einem windgeschützten Waldstück. Hier lodern wieder viele Wachfeuer, und Menschen und Tiere drängen sich um die Wärme. Wieder eine Nacht auf der Landstraße! Es ist bitterkalt. Ich gebe daher um 2 Uhr in der Frühe Abmarschbefehl und beleuchte mit einer kleinen Laterne vorausgehend dem langsam fahrenden Trecker den glatten Weg. Um 5 Uhr sind wir in Anklam. Hier sind alle Straßen und der Markt mit Fahrzeugen verstopft. Kurzer Aufenthalt! Dann geht es bei Hellwerden weiter nach Jarmen. Die Straßen werden besser und die Landschaft wird ebener. Wir können ein schärferes Tempo vorlegen und treffen gegen 12 Uhr in Erdmannshöhe ein, wo gute Freunde uns begrüßen und gastfreundlich aufnehmen.
Seit einer Woche essen wir zum ersten Male wieder an einem gedeckten Tisch und schlafen dann wie tot in richtigen Betten. Nachmittags kommt von Usedom ein Telefonanruf: Unser Holzgasschlepper liegt auf offener Straße fest mit gebrochener Schwungscheibe. An eine Reparatur ist nicht zu denken. Wir müssen ihn abschleppen. Aber der 15jährige Kurt Potratz muss erst eine Nacht schlafen. Montag früh fährt er mit dem Stockschlepper los und kommt um 12 Uhr in der Nacht mit den beiden Wagen und dem defekten Schlepper in Erdmannshöhe wieder an.
Inzwischen ist auch der Schwenzer Gummitreck, bestehend aus zwei Gummischleppern und vier Gummiwagen in Erdmannshöhe angekommen. Wir hängen hinter den Famoschlepper jetzt drei Gummiwagen, hinter den Stock und den Normag je zwei; ein Wagen wird mit Pferden bespannt. Der Holzgasbulldog muss in Erdmannshöhe stehen bleiben, da an eine Reparatur wegen der Unmöglichkeit Ersatzteile zu beschaffen, nicht zu denken ist.
Am Nachmittag donnern über den niedrigen Wolken in Richtung Osten schwere Bomberverbände über uns hinweg. Der feindliche Angriff gilt Swinemünde. Mir ist wie dem Reiter, der über dem Bodensee geritten ist. Die armen Flüchtlinge und Treckfahrzeuge, die noch vor und in Swinemünde liegengeblieben sind!
Freitag, den 16. März. Wir nehmen Abschied von Erdmannshöhe und unseren lieben Gastgebern. Wir wünschen ihnen, dass sie auf ihrer Scholle sitzen bleiben können. Um 7 Uhr ist Abmarsch. An der Spitze wieder der jetzt geschlossen fahrende Motortreck. Es folgen von Wotenick aufschließend die bespannten Trecks von Zoldekow und Schwenz. In Triebsees wird Rast gemacht und warmes Essen aus unserer Feldküche ausgegeben. Dann geht es über die mecklenburgische Grenze flott weiter in Richtung Rostock. Unterwegs überholen wir einen Treck aus Alt-Storkow und treffen dort liebe Bekannte aus Pommern. Auf dem Gute Wendenhof bei Sanitz finden wir Nachtquartier mit dem Motortreck. Durch den Rundfunk hören wir von einem furchtbaren Angriff der Amerikaner auf das mit Flüchtlingen und Trecks überfüllte Swinemünde. Zum ersten Male fällt im Wehrmachtsbericht das Wort vom Brückenkopf Dievenow. Das heißt also, dass unsere bisherige pommersche Heimat in der Hand der Russen ist. – Wird die Oderfront halten?
Mein Vertrauen in einen erfolgreichen Widerstand unseres Ostheeres ist geschwächt, nachdem ich so viele Zeichen des Zusammenbruchs gesehen habe. Und im Westen dringt eine starke englische und amerikanische Armee über den Rhein unaufhaltsam ins Herz Deutschlands vor.
Sonnabend früh um 7 Uhr ist Abmarsch. Wir fahren auf guter Straße über Sanitz nach Rostock. Hier werden wir durch einen Polizeiposten angehalten und in eine Nebenstraße geleitet. Es sollen uns auf Befehl der Kreisleitung unsere drei Trecker und sieben Gummiwagen abgenommen werden, da man diese angeblich zu Befestigungsarbeiten der Festung Rostock gebraucht. Ich fahre selbst mit dem Polizeioberleutnant zur Kreisleitung und mache den zuständigen Leuten dort klar, dass man unmöglich 145 Menschen, darunter 50 Kinder, mit ihrer letzten geretteten Habe auf die Straße setzen kann. Das hat Stunden gedauert. Unsere Absicht, heute noch bis Kirchstück zu kommen, muss aufgegeben werden. Wir fahren in den sinkenden Abend bis Wismar, wo wir bei völliger Dunkelheit ankommen und nach vieler Mühe eine Unterkunft finden im bereits überfüllten Kindergarten. Sonntag früh, um 9 Uhr, geht es beim Klang der Glocken aus Wismar heraus in Richtung Schwerin. Es ist ein schöner Märztag. Sattgrün leuchten die Roggenfelder, blaugrün schimmert der Raps auf den fetten Lehmböden. Überall sieht man festlich gekleidete Menschen, die dem langen Treck erstaunt nachschauen. Hier ist noch ein friedliches Land. Hoffentlich bleibt es vor dem Schicksal unserer pommerschen Heimat bewahrt.
Um 11 Uhr treffen wir in Kirchstück, der zweiten Etappenstation ein. Herr von der Meden, der mit seiner Familie hier vorläufig untergekommen ist, hat für uns Quartier gemacht. Ich kann ihm seine Tochter Bärbel wohlbehalten übergeben, er selbst muss am Nachmittag desselben Tages noch abreisen. Er hat einen Stellungsbefehl zum Ersatzbataillon in Stettin. In Kirchstück liegt deutsche Wehrmacht im Quartier. Wir müssen daher ohne Ruhetag am nächsten Tage weiterziehen. Immerhin haben wir einen halben Ruhetag. Wir werden rührend betreut und versorgt von v. d. Medens.
Montag früh Abschied von v. d. Medens, besonders von Bärbel, die fast ein Jahr Freud und Leid mit uns geteilt. Unser Marsch geht durch Schwerin, die alte schöne Stadt zwischen Buchenwäldern und Seen, in Richtung Lützow. Unterwegs überholen wir viele Treckfahrzeuge, die alle nach Schleswig-Holstein hinauf wollen. Die Pferde sind zum Teil abgetrieben. Krepierte Tiere liegen allenthalben im Straßengraben. Aber die Menschen hasten nicht mehr so wie auf unserer bisherigen Wegstrecke. Sie fühlen sich bereits in Sicherheit und lagern gemütlich in der warmen Märzsonne.
In Lützow biegen wir von der Haupttreckstraße, die über Gadebusch-Ratzeburg nach Holstein führt, nach Süden ab in Richtung Wittenburg. Wir wollen möglichst bald über die Elbe, um unser Endziel, die Gegend von Amelinghausen in der Lüneburger Heide zu erreichen. Mittagsrast machen wir in Boddin bei alten Bekannten. Voller Wehmut denken wir an die schönen Zeiten, die wir hier vor 15 Jahren erlebten. Wir machen gleichzeitig Quartier für die bespannten Fahrzeuge, die uns in zweitägigem Abstand folgen. Dann fahren wir durch Wittenburg über Lehsen nach Brahlstorf. Wir wollen versuchen, über Neuhaus die Elbfähre bei Katemin zu erreichen. In Brahlstorf erfahren wir, dass die Fähre für Trecks gesperrt sei und wir bei Lauenburg über die Elbbrücke müssen. Wir übernachten in drei Partien in Dammereez, im Hirschkrug und in Dersenow. Die letzte Nacht in Ostelbien ist warm und regnerisch. Die Meldungen, die wir abends im Hirschkrug hören, sind beunruhigend. Der Zusammenbruch der Westfront scheint unaufhaltsam zu sein. Im Osten steht die Ostfront in schweren Abwehrkämpfen gegen die russischen Großangriffe. Es wird gemunkelt von Verhandlungen mit den Westmächten.
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