Am Nachmittag machte ich einen Rundgang durch die begehbaren Teile dieser ehemals stattlichen Burg und der Nachbar-Ruine. Hier waren nur wenige Teile ohne Sicherheitsvorkehrungen zu besichtigen. Zwischen den beiden Castles befand sich eine offene Zisterne. Wer hier hinein fallen würde, hätte keine Überlebenschance. Die einzige Stelle, wo man sich noch halbwegs sicher bewegen konnte, war ein Gang mit Gewölbe, der aussah, als ob er in die Nachbarburg führen würde. Eine fast freistehende Treppe führte zu einem imaginären weiteren Stockwerk und endete an einer Wand, die jene Treppe von unten stützte.
Ich bereitete mich schon darauf vor, dass heute Nacht wieder etwas Ungewöhnliches passieren könnte, denn, warum führt man mich schon wieder hier her? Doch jetzt befand ich mich wieder draußen auf den Wiesen, lag auf einer Decke und starrte in den Himmel. Was hatte es mit dieser Burg auf sich? Über der ganzen Anlage hing eine eigentümliche Atmosphäre, so als läge hier etwas verborgen, das nach Leben lechzt. Langsam dämmerte ich mit meinen verrückten Gedanken in einen Schlaf hinüber.
Als ich aufwachte, lag schon eine Dämmerung über dem Ganzen, und ich erinnerte mich an einen lebhaften, merkwürdigen Traum. Doch waren nur noch die Gefühle vorhanden, an irgendeine Situation konnte ich mich nicht mehr erinnern.
Ein heftiger und kalter Wind zog wieder über die Küste und ließ mich leicht frösteln. Und so bezog ich das neue Domizil in der Burg, das wenigstens wind- und regengeschützt war und schaute durch das zerbrochene Fenster auf die See. Dicke, schwarze Wolken lauerten schon draußen weit auf der See, um bald hier ihr Unwesen zu treiben, indem sie dann Regen und Sturm aufs Land jagten. Unten, nun noch ein Stockwerk weiter, schlugen wieder heftig die Wellen an die Felswände unterhalb der Burg. Die Flut hatte bereits wieder eingesetzt. Es war schon beängstigend, wenn man sich vorstellte, in diese aufgewühlte See zu stürzen. Doch, wo ich mich gerade aufhielt, gab es weniger Bedenken dazu.
Ich schaute auf die Uhr: es war sieben Uhr abends. Die Wolken kamen überraschend schnell näher und verdunkelten die ganze Küste. Ein heftiger Wind pfiff übers Gebäude und ließ den Sand von der Decke rieseln. Es war schon unangenehm hier. Warum bin ich überhaupt noch in diesem furchtbaren Castle? Morgen fahre ich weg! Das nahm ich mir fest vor. Allerdings wusste ich noch nichts von den Ereignissen, die bereits auf mich warteten.
Als es auch im Raum dunkler wurde, legte ich schon mal die Taschenlampe bereit. Es war mir, als hätte ich in dem allgemeinen Geheule des Sturmes und des Schlagens der Wellen an die Wände ein Hundegebell vernommen. Doch bei diesem Wetter geht bestimmt keiner mit dem Hund spazieren. Und, bei diesem Wetter jagt man sowieso keinen Hund vor die Tür …, dachte ich!
Ich muss sagen, dass ich so um Mitternacht damit gerechnet hatte, dass etwas Seltsames passieren würde, aber dass es bereits gleich losgehen könnte, noch am Abend, hätte ich nicht gedacht. Hier auf meiner Luftmatratze war es einigermaßen auszuhalten, hier war ich doch etwas geschützt vor dem starken Wind. So saß ich da und wartete ab. Ich muss bekloppt sein, dachte ich so bei mir, sich irgendwie in eine unbekannte, vielleicht lebensgefährliche Situation treiben zu lassen. Also, wie gesagt, morgen fahre ich weiter!
Etwas Licht fiel noch durch die Öffnung, wo vorher mal eine Tür eingebaut war. Als dann plötzlich ein Blitz aufzuckte, sah ich an der Wand, dort an der Tür, den riesigen Schatten eines Hundes. Zuerst dachte ich, dass er sich hierher geflüchtet hätte vor dem Wetter, aber es war anders. Wie gebannt schaute ich zur Tür. Eigentlich war ich viel zu verwirrt, um etwas Genaues zu erkennen. Doch dann bemerkte ich, dass sich der Schatten in den Raum begab, in dem bei mir gerade die Hoffnung schwand, dass das alles nur irgendwelche Hirngespinste wären. Bevor er in den Raum trat, blieb er an der ehemaligen Tür stehen und schaute in meine Richtung. Selten hatte ich solch einen großen Hund gesehen. Soweit ich erkennen konnte, war es ein irischer Wolfshund. Sein Knurren konnte ich auf die paar Meter genau vernehmen. Hatte ich eine Chance gegen ihn? Wohl kaum ohne Waffe. Ein paar Schritte kam er auf mich zu gestürmt, dann machte er plötzlich halt, als würde er zurückgerufen. Doch es war niemand da, der ihn begleitete.
Vielleicht zwei Meter stand er bereits vor mir, und ich konnte seinen Atem riechen. Ich bewegte mich nicht auf meiner Luftmatratze. Was für ein Gigant von Hund. Ein schöner, soweit ich das bei dem schummrigen Licht noch erkennen konnte. Langsam kam er auf mich zu. Mir blieb das Herz stehen. Doch dann fing er an zu schwänzeln, so, als würde er mich kennen oder erkennen. In zwei Schritten war er bei mir und tastete mich ab mit einer von seinen mächtigen Tatzen. Seine lange und heiße Zunge flutschte mir durchs Gesicht. Wenn mich jetzt jemand gestochen hätte, ich glaube, ich hätte keinen Tropfen Blut abgegeben.
Was war geschehen, dass diese Wendung eintrat, wo ich mich doch schon als zerrissen und blutend hier liegen sah. Er trug ein Halsband, so viel konnte ich sehen, aber, … wo kam er her? Ich brachte den Mut auf, ihn zu berühren und versuchte ihn etwas zu kraulen. Es gefiel ihm sogar, und er setzte sich gleich neben mich, dabei ließ er mich nicht aus den Augen. In mir entstand so etwas wie eine stille Begeisterung für diese Begegnung, doch die Angst ließ nicht mehr zu. Mit einem Mal sprang er auf und lief ein paar Schritte voraus, blieb stehen und schaute zu mir. Sollte ich ihm folgen?
Ich wusste von unserer Senta, dass alle Hunde so ähnlich handelten. Nun, ich probierte es. Mühsam schälte ich mich aus dem Schlafsack, immer den Hund im Blickwinkel. Er lief wieder ein paar Schritte weiter und wartete erneut. Keine Frage, er wollte, dass ich ihm folgen sollte. Als ich mich ihm näherte, rannte er los, raus aus dem Raum über die Steinbrocken in die ehemalige Eingangshalle, die nur noch einen mit Gras überwachsenen Steinhaufen darstellte. Dort lief er schnurstracks zu einem Seitengang, der auch nicht besser aussah, auch hier fehlte die Decke und Teile der Wände. Er bewegte sich über die Steine, als wäre er darin geübt. Ich folgte ihm schnell, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren.
Plötzlich blieb er stehen. Ich war dann doch einigermaßen perplex: dort wo er stehen blieb, befand sich eine Tür. Wie konnte in den Trümmern überhaupt so etwas existieren? Sie müsste doch längst verrottet sein. Direkt, als ich den Hund erreichte, stellte er sich auf die Hinterbeine und drückte mit den Vorderpfoten den Türgriff herunter. Die Tür sprang auf! Und beim Hineinstürmen in den Raum drückte er die Tür weiter auf.
Es war ein dunkler Raum, der durch Kerzen erhellt war. Wohnte also doch irgendjemand hier in den Ruinen? Ich machte einen Schritt nach vorne und blickte in einen warmen, mit Möbeln ausgestatteten Raum, der nach Veilchen roch. Hier, wo ich gerade stand, lag der Dreck noch meterhoch, und dort befanden sich wunderbare Kacheln auf dem Boden. Dann flog die Tür mit einem heftigen Schlag zu, und ich stand verdutzt davor im Dunkeln. Nochmals die Tür zu öffnen wagte ich nicht, irgendetwas hielt mich zurück, und ich begab mich wieder zurück über die Steine in die ebenfalls dunkle Räumlichkeit der Ruine.
Das Gewitter schien sich zu verziehen, und ich saß mit Herzklopfen auf meinem Schlafsack und zwickte mich, um festzustellen, ob ich träumte. Aber es war kein Traum, oder kann man sich auch im Traum zwicken?
Ich lehnte mich an die Wand und begann alles zu überdenken, dabei schloss ich die Augen, da man in diesem dunklen Raum sowieso außer dem Fenster nichts erkennen konnte.
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