Es war die Küche und Aufenthaltszimmer in einem, und es war nicht sehr warm hier aber sehr gemütlich, und ich dachte noch, dass ich hier wohnen könnte… „Sie haben sich aber ein Wetter ausgesucht, um zu malen. Eh …, mm …, können wir mal sehen, was Sie da gerade so gemacht haben da draußen?“, meinte sie lächelnd.
Ich nahm meinen Schal ab, öffnete die Jacke und klappte die Mappe auf. Sie waren erstaunt über die vielen Skizzen und Zeichnungen, und gaben mir zu verstehen, dass sie so was noch nie gesehen hätten. Zum Teil waren es aber auch nur Farbskizzen, also Farbflecke mit Beschriftungen, die für mich wichtig waren, um im Atelier zu arbeiten, wenn die Reise irgendwann einmal vorbei sein sollte - etwas, das bald nicht mehr so sicher war.
„Darf ich mir was aussuchen?“ Ich hatte damit gerechnet, dass ich das gefragt wurde, denn es war oft so, wenn ich irgendwo malte, dass man mich nach einem Bild oder einem Entwurf fragte. Sie nahm eine der Skizzen, die ich vor ihrem Haus, unten am Wasser angefertigt hatte. Es war eine sehr stimmungsvolle Darstellung der Boote. „Darf ich was fragen?“, so sprach ich die beiden an, „Gibt es hier irgendwo eine Ruine oder ein altes Gemäuer?“ Sofort erfolgte eine Antwort – von beiden gleichzeitig. „Nicht weit von hier gibt es zwei zusammengefallene Castles. Es sind doch zwei, oder? Ja, das wäre was für Sie zum Malen. Direkt an den Felsen, aber auf einer Anhöhe. Dort lebten die S… und die …, wie hießen die noch?“ Sie sah ihren Mann fragend an. „Es war irgendetwas mit …, mit …“ Er wusste es auch nicht mehr. Bestimmt war es mit der Zeit unwichtig geworden wie die ehemaligen Nachbarn hießen. Vor allem, wenn es sie schon lange nicht mehr gab. Wie sie sagten, wären diese Castles im Mittelalter – oder so! - erbaut worden, und man sollte sie nicht betreten, es könnte gefährlich sein, da sie sehr baufällig wären.
Nun, die Herausforderung, dort mal einen Blick drauf zu werfen, ließ mir keine Ruhe. „Was für ein verrücktes Wetter, jetzt scheint wieder die Sonne.“ Er hatte wieder den Vorhang zurückgezogen und blinzelte aus dem Fenster.
Ich war hier in Schottland ohne Fahrzeug, was vielleicht etwas unüberlegt schien. Zu Fuß musste ich alles erledigen, was Zeit kostete, oder per Anhalter, was ich auch oft genug wahrgenommen habe. Sehr oft kam das Angebot von den Fahrern selbst. Und durch die Gespräche mit den Einheimischen erfuhr ich dann von malerischen Stellen, die ich sonst nie erfahren hätte, und man machte dann hin und wieder sogar einen Umweg, um mich direkt an einen schönen Flecken zu bringen. Oft genug fuhr ich auch mit dem Überlandbus oder durfte auch mal mit dem Postauto mitfahren.
Es wurde wieder hell draußen: der Alte hatte recht, das Wetter spielte verrückt. Ich verabschiedete mich und freute mich noch über die Gespräche, den heißen Tee und natürlich darüber, dass man hier so gastfreundlich war. Es war klar, dass ich mir die Ruinen nicht entgehen lassen wollte und schlug gleich den Weg in diese Richtung ein.
Das Gras war doch sehr hoch und in Büschel zerzaust, und so konnte ich nicht so schnell weiterkommen, wie ich es gern gehabt hätte. Gott sei Dank hatte ich mich entschlossen, Stiefel zu tragen, während ich hier auf der von mir festgelegten Exkursion war, und so hatte ich immer noch trockene Füße, während ich durch das nasse Gras stapfte. Es gab nur wenige Hügel, und man konnte schon von weitem sehen, dass sich etwas Dunkles, Großes weit weg abzeichnete. Das war mein Ziel!
Dort angekommen, eröffnete sich mir eine Trümmerlandschaft, die aus verfallenen Mauern bestand, mit schwindelerregend hohen Kaminen, halben Türmen, die an wackelige Bauklötzchen erinnerten, und fast alles war mit einer dick verkrusteten Erde übergossen. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, aber beim ersten Anblick der Ruinen spürte ich plötzlich ein Gefühl von fast unerträglicher Betrübnis. Die eigentümlich öde Landschaft drum herum, die zerrissenen und ausgespülten Mauern, die bestimmt viele schreckliche Erinnerungen in unsere Zeit brachten, stachelten meine Phantasie an, hier eine interessante Begegnung zu erwarten. Kein alberner Gedanke konnte hier das bedrängende Gefühl verscheuchen, das ich gerade spürte. Eine eigentümliche Atmosphäre umgab diese schwarzgrauen Mauern, die man vor Jahrhunderten mit Sorgfalt geplant und gestaltet hatte und die jetzt wie ein Haufen Dreck unwichtig die Landschaft in ihrem Ausdruck nicht verschönerten.
Eine grandiose Burgruine! Selbst hier, in dieser Steinwüste, blühte zwischen den Moosen und Flechten noch das Heidekraut, und für mich unbekannte kleine, weiße Blümchen standen haufenweise wie hingeworfen ebenfalls zwischen den alten Mauern. Es sollten zwei Burgen sein, wie mir diese Leute von vorhin gesagt hatten. Es sah aber aus, als ob es nur eine einzige riesige Burg gewesen sei. Diese beiden Ruinenfelder lagen direkt am Meer, direkt am Wasser. Auf der einen Seite fiel der Fels steil wie in einer Schlucht hinunter zur See, und die Überreste ragten wie Skelette der Geschichte aus dem Boden. Doch welche Geschichte verbarg sich hinter diesen Steinen? In diesem Licht, das gerade die Wolken sprengte, war es eine fantastische Gelegenheit, etwas Besonderes aufs Papier zu bringen, und sogleich turnte ich über die Trümmer und suchte den richtigen Blick in diese schattenreiche Ruine, um dann schnell ein paar Skizzen hinzuwerfen, bevor wieder eine dicke Wolke alles in ein verschwommenes Grau tauchen könnte. Ich fragte mich, ob man überhaupt dieses Trümmerfeld begehen könne, ob es nicht lebensgefährlich wäre, sich hier aufzuhalten. Nun, es wurde langsam dunkel, und ich entschloss mich, hier zu bleiben, vielleicht würde sich morgen noch etwas ergeben, was mir ein „Toll …“entlocken könnte.
So war ich am Überlegen, ob ich mein Zelt aufbauen sollte, direkt vor der Ruine, oder ob man die Nacht zwischen den Gemäuern verbringen könne. Nachdem meine Zeichenutensilien verstaut waren, stieg ich durch die Überbleibsel der vergangenen Zeit, um vielleicht einen Raum zu finden, der wenigstens etwas regengeschützt wäre.
Es ergab sich, dass in einem größeren Gebäude, dessen Außenseite hoch aus dem Meer aufstieg und das noch vier Stockwerke besaß, ein großer Raum im Erdgeschoss genau das war, was ich suchte. Die Decke war kein solides Gewölbe. Doch hier könnte man es trotzdem eine Nacht aushalten - warum sollte gerade jetzt die Decke einstürzen? Also, Gepäck herbei, die Luftmatratze aufblasen und den Boden einigermaßen an einer Stelle zum Hinlegen vorbereiten. Hier kam kein Regen oder Sturm herein. Noch einen Blick durch das Loch, in dem einst ein Fenster saß …, die Möwen kreischten, und man hörte die Wellen der Brandung, die unter mir an die Felsen klatschten. Es war einfach fantastisch - ein weiter Blick übers Meer …! Als ich so da stand und halb verzaubert in die Ferne sah, glaubte ich Musik zu hören. Irgendetwas griff nach meiner Seele in diesem Augenblick, und die Tränen waren nicht weit. Nach einer Weile verdrängte ich das Gefühl und hielt mich natürlich für gefühlsduselig. Eine völlige Dunkelheit gab es hier nicht, das war mir längst klar geworden. Die Sonne, die hier in diesen Breiten fast zur Mitternachtssonne wurde, beleuchtete die Landschaft in einem unvorstellbaren Rot, und die Ruinen sahen aus, als wären es Kulissen für ein bizarres Bühnenstück, das noch folgen sollte. Schade, dass ich meine Gitarre nicht mitgenommen hatte, denn jetzt wäre der Moment gekommen, wo man gefühlvolle Lieder für sich selbst spielen könnte. Wann käme so ein Augenblick wieder? Morgen werde ich schon weiter sein, vielleicht drüben, auf der Westseite oder in den Highlands, worauf ich mich auch schon richtig freute. Einige Stunden verbrachte ich noch draußen vor den Ruinen, bis die Müdigkeit mich erfasste und ich dann wieder über Brocken, die halb verfallene Treppe hinunter in diesen Raum stieg, um zu schlafen. Schnell in den Schlafsack, Kapuze hoch und weg war ich.
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