Da sah ich ihn und mir wurde ganz heiß: Geschätzte eins fünfundachtzig groß, schlank, aber kräftig, dunkelbraune, leicht gewellte Haare, dunkle Augen, olivfarbene Haut – ein Orientale. Gefesselt starrte ich in seine Richtung. Mein Herz schlug schneller, als er mich ansah. Etwas in seinem Blick ließ mich innerlich erzittern. Er sah so stolz aus, so männlich!
Ich spürte die körperliche Begierde in mir aufsteigen, hatte ich doch schon ewig keinen Mann mehr gehabt, aber da war noch viel mehr. Seine Blicke und seine Körperhaltung verrieten ihn – auch er fand mich offensichtlich attraktiv. Dieser Mann ließ mich wieder zu einer begehrenswerten Frau werden.
Nach einem intensiven Blickwechsel und den ausgetauschten eindeutigen Signalen kam das Objekt meiner weiblichen Begierde mit zwei Drinks in der Hand zu mir. Mit einem zauberhaften Lächeln in den Augen sprach er mich an, den Moment nutzend, als meine beiden Begleiter auf der Tanzfläche ihr tänzerisches Können zum Besten gaben.
Ich war entzückt und verlegen zugleich. Wir fühlten uns von Anfang an magisch zueinander hingezogen.
Kapitel 2
Offenbach, August - September 2022
Majid zog mich schnell in seinen Bann, überhäufte mich mit Komplimenten und ich wurde zunehmend ein willenloses Opfer seiner raffinierten Verführungskünste. Nach einer gefühlten Ewigkeit sexueller Enthaltsamkeit genoss ich meine neue Liebe in vollen Zügen. Wir liebten uns fast jeden Tag und mir war völlig egal, was Majid von der sexuellen und kulturellen Freiheit der deutschen Frauen dachte – ich begehrte seinen warmen Körper, seine zärtlichen Hände auf meinen wohlgeformten, weiblichen Rundungen. Meine kleine Zweizimmerwohnung in der Innenstadt von Offenbach bot uns die begehrte Abgeschiedenheit für unsere endlosen Bettmanöver.
„Himmlisch war's, wenn ich bezwang
Meine sündige Begier,
Aber wenn's mir nicht gelang,
Hatt ich doch ein groß' Pläsier.“
Heinrich Heine
In meinen Augen war Majid der ideale Lover. Trotz seiner fast vierzig Jahre war er auf dem Höhepunkt seiner sexuellen Leistungsfähigkeit.
Ich zerfloss förmlich in seinen Umarmungen und gab mich ihm hin, ohne über die Konsequenzen oder über die doch noch recht unsichere, gemeinsame Zukunft nachzudenken. Ich wollte seine Frau, sein bester Freund sein, mit allem Drum und Dran. So schnell wie möglich, aber das war nicht so einfach.
Er war so anders als die Männer, die ich bisher hatte. Ich war von Majids gefühlvoller Art mir gegenüber einfach überwältigt. Er schaute mich die ganze Zeit so liebevoll an, berührte zärtlich meine Hände, strich mir über die Haare – es war mehr, als ich nach so einer kurzen Zeit erwartet hätte. Mit jedem Blick, mit jedem Wort fühlte ich seine Gefühle zu mir. Meine anfängliche Skepsis, ob er es ehrlich mit mir meinte, verflog mit der Zeit. Ich fing an, ihm zu vertrauen, mein Herz sagte, dass es nicht nur gespielt sein konnte. Fortwährend machte mir mein wundervoller Jordanier nette Komplimente, er gab sich Mühe, sein Deutsch zu verbessern und brachte mir bei, wie man leckere Gerichte aus seiner Heimat zubereitete.
Er sprach nicht viel über sich. Aber einiges erfuhr ich dennoch über ihn, vor allem über seine Familie in Amman, der Hauptstadt Jordaniens und seinen Beruf als Juwelier. Er wollte in Europa nach Geschäftskontakten Ausschau halten und war von einem alten Studienkommilitonen nach Frankfurt eingeladen worden. So hat mich das Schicksal in seine Arme getrieben. Majid war Witwer, seine jordanische Frau Nur und seine kleine Tochter Jamila waren vor fünf Jahren bei einem Hausbrand ums Leben gekommen. Er erzählte mir, dass die Brandursache bis heute nicht geklärt wurde. Die Ermittlungen der Polizei waren eingestellt worden. Natürlich habe ich nicht viele Fragen gestellt – ich konnte mir vorstellen, wie schmerzhaft das für ihn war. Das Einzige, was ich für ihn tun konnte, war, für ihn da zu sein und sein Schweigen zu akzeptieren.
Über seine Familie habe ich nur erfahren, dass sie sehr traditionell lebt. Sie besaßen in Amman ein schönes, großes Haus und auf dem Land ein Anwesen mit einem Stück Land, auf dem sie Ziegen und Schafe züchteten. Sie gehörten einem alten, als vornehm geltenden Beduinen-Stamm der Sani an, die als besonders künstlerisch und handwerklich begabt galten. Schon sein Vater war ein traditioneller Goldschmied, Majid hatte sein Talent geerbt. Er war sehr stolz auf seine Kunst und das, was er sich mit eigenen Händen erarbeitete. Majid präsentierte mir einige Exemplare der von ihm designten und handgemachten Schmuckstücke, die er als Muster für eventuelle Geschäftspartner in einem großen Koffer aus schwarzem Leder mitgebracht hatte. So schönen Schmuck hatte ich bisher noch nie gesehen. Als klar wurde, dass wir ineinander verliebt waren und zusammenbleiben wollten, hat mir mein Märchenprinz einen wunderschönen goldenen Armreif und ein Paar goldene, mit kostbaren Rubinen verzierte Ohrhänger geschenkt. Die Schmuckstücke erinnerten wahrlich an Ali Babas Sesam öffne dich. Ich war überglücklich und fühlte mich wie eine Prinzessin. In meinen Gedanken wanderte ich in meine Jugend zurück, erinnerte mich an all die orientalischen Prinzessinnenbücher, die ich damals wie ein trockener Schwamm aufgesogen hatte. Ich hatte in meiner Nase wieder den Geruch fremder Welten. In meinen Träumen wollte ich schon immer auf einem Kamel durch den Wüstensand reiten, in einer grünen Oase Rast machen, von den wohlschmeckenden Datteln kosten. Ich sah vor meinen Augen ganz deutlich imaginäre, geheimnisvolle Bilder des Orients. Ich hatte den heißen Wüstenwind förmlich auf meiner Haut gespürt.
Jetzt war ich eine erwachsene Frau, aber die Welt von damals hatte mich nie wirklich losgelassen. Meine Familie fand meine Vorliebe für die Welt aus 1001 Nacht gewöhnungsbedürftig. Aber sie ließen mich gewähren. Wahrscheinlich hatten sie gehofft, es würde sich mit der Zeit einfach abschwächen oder sogar ganz verschwinden. Aber im Gegenteil, meine ungestillte Sehnsucht steigerte sich, wurde noch viel intensiver.
Majid sprach mit der Zeit ganz gut deutsch, er hatte einige Jahre Deutsch bei einem Privatlehrer gelernt. Ich fand es natürlich toll und war noch mehr davon überzeugt, dass es kein Zufall sein konnte mit uns beiden. Es war eine schicksalhafte Begegnung. Manchmal fragte ich mich, warum er gerade mich auserwählt hatte. An mir war doch nichts Besonderes – eins zweiundsechzig klein, zweiundsiebzig Kilo Lebendgewicht, saphirblaue Augen und blonde, schulterlange Haare. Mein Hüftgold störte ihn anscheinend nicht. Und ich hatte immer solche Komplexe deswegen. Ich aß gern, am liebsten Schokolade und Eis, aber auch etwas Herzhaftes verschmähte ich ungern, was sich auf der Waage bemerkbar machte. Dagegen anzukämpfen fiel mir schwer. Diäten brachten nichts, irgendwann hatte ich dann aufgegeben, versuchte meine Rundungen zu akzeptieren. Ich kam mit mir ins Reine. Eine beachtliche Portion Humor, Lebenslust, Kreativität, gepaart mit einem leichten Hang zu Hysterie, ja, so war ich. Eigentlich fand ich mich ganz gut so, wie ich war. Manchmal konnte ich aber auch melancholisch sein. Ich war weiß Gott nicht ohne Makel! Also warum gerade ich, warum wählte Majid ausgerechnet mich aus?
Schon nach ein paar Wochen zog er bei mir ein. Wir entschlossen uns, zu heiraten – es ging nicht anders. Majid war Moslem. Er sagte mir eines Tages bei einem Spaziergang am Mainufer, dass seine strenggläubige Familie niemals eine außereheliche Beziehung akzeptieren würde. Meine frische Liebe zu Majid wurde damit auf eine harte Probe gestellt. Heiraten wollte ich eigentlich nicht. Am dreizehnten August machte mir mein Jordanier einen überraschenden Heiratsantrag. Romantisch und einfallsreich für einen Mann, ganz nach meinem Geschmack. Es war ein Samstag und ich wollte nach einem üppigen Frühstück eigentlich gleich zur Mia. Wir waren zum Shoppen verabredet. Majid kaute in der Küche an seinem letzten Brötchenhappen, als es unten an der Tür klingelte. »Ja«, rief ich in den Hörer der Gegensprechanlage und drückte, ohne eine Antwort abzuwarten, auf den Knopf, um die Tür zu öffnen. Wer kann das sein? Wir erwarteten niemanden. Ich öffnete nur widerwillig die Wohnungstür und sah genervt auf die Uhr.
Читать дальше